Stadtgeschichte

Warum Erinnerung an die Naziverbrechen so wichtig ist

In Feudenheim wurden zehn Stolpersteine verlegt. sie erinnern an Juden, die von den Nationalsozialisten mitten aus dem Leben gerissen und in Lager deportiert wurden. Der OB nutzte das zu einer Mahnung

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Peter W. Ragge
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Vier kleine Messingquader, eingelassen in das Pflaster vor dem Haus Hauptstraße 88: Mit Stolpersteinen wird in Feudenheim an von Nationalsozialisten ermordete Juden gedacht. © Michael Ruffler

Mannheim. Vor einem Geschäft für Kindermode, vor einer Pizzeria - sie liegen direkt auf dem Gehweg der Hauptstraße, man stößt mitten im Alltag auf sie, und das soll genau so sein: Zehn Stolpersteine für von den Nationalsozialisten ermordete Juden wurden jetzt in Feudenheim verlegt. „Man hat sie ja auch mitten aus dem Leben gerissen“, so Alois Putzer, Vorsitzender vom Verein für Ortsgeschichte, der die Verlegungen initiierte.

„Man soll wirklich über die Steine stolpern“, sagt Rolf Schönbrod von dem Arbeitskreis, der in Mannheim die Verlegungen organisiert. Sie seien Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse zwischen 1933 und 1945 ebenso wie „ein Mahnmal, dass so etwas nie wieder passiert“.

Projekt Stolpersteine

  • Die Stolpersteine gehen auf den Künstler Gunter Demnig zurück, der damit an Opfer des Nationalsozialismus – Juden, Sinti und Roma, Widerstandskämpfer, Zwangssterilisierte und viele mehr – erinnert.
  • Sie gelten als das weltweit größte dezentrale Mahnmal. Bisher sind in 27 europäischen Ländern 90 000 der kleinen Steine mit den auf Messingblech gravierte Namen sowie Lebensdaten und -orten verlegt.
  • Seit 2007 werden Stolpersteine auch in Mannheim verlegt. Initiiert wurde das von einem Arbeitskreis unter Federführung der Naturfreunde, dem aber viele weitere Organisationen und Personen angehören. Die Finanzierung erfolgt über Spenden.
  • Das Buch „Auf den Spuren der jüdischen Mitbürger Feudenheims“ von Alois Putzer, herausgegeben vom Verein für Ortsgeschichte, ist im Verlag Waldkirch erschienen.
  • Zusätzlich zu Feudenheim wurden auch in der Oststadt Stolpersteine verlegt. Nächste Woche wird auf diese Weise zudem an die vier Mannheimer Buben Otto Wertheimer, Max Leiner, Fritz Löbmann und Sami Adelsheimer erinnert, die – obwohl zwischen 11 und 2 Jahre alt – von den Nationalsozialisten nach Gurs deponiert, vom Kinderhilfswerk OSE gerettet, aber dann dennoch von den Nazis aufgespürt und wie ihre Familien in Auschwitz ermordet wurden.

Und das ist auch Putzer wichtig. Schon in den 1960er Jahren hat er als Physiker an der Universität Heidelberg mit israelischen Wissenschaftlern zusammengearbeitet, nun als Pensionär die Geschichte der einst großen, aktiven Jüdischen Gemeinde Feudenheims erforscht. Sie verfügte über eine eigene Synagoge, ein Schulhaus, einen Friedhof.

Doch ab dem 20. Oktober 1940, als über 6500 badische und pfälzische Juden, darunter über 2000 Mannheimer, von den Nationalsozialisten in das Lager Gurs in die Pyrenäen verschleppt und ab 1942 in Vernichtungslagern umgebracht wurden, erlosch diese Gemeinde. Gurs selbst war zwar kein Vernichtungslager, aber durch Hunger, Kälte und Krankheit kamen dennoch dort viele Menschen um.

„Es waren unschuldige, wehrlose Bürger, die Oper des Naziregimes wurden, nur weil sie eine andere Religion hatten als die Mehrheit der Bevölkerung“, so Putzer. Zuvor hätten die Juden in Feudenheim „mitten unter uns, als Teil des Orts und gut integriert gelebt“. „Gerade in Zeiten des Aufkommens rechtsradikaler Strömungen“ sei es dem Verein für Ortsgeschichte wichtig, „ein Zeichen der Erinnerung an die Naziherrschaft zu setzen, dort, wo sie gelebt haben“, mahnte Putzer, „damit so etwas nie wieder passiert“.

Lange gut integriert

Insgesamt 14 Feudenheimer Juden wurden im Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. Für vier Opfer verlegte der Verein bereits 2020 und 2022 die Stolpersteine, nun folgten zehn weitere dieser kleinen Mahnmale aus Messing.

Vor der Hauptstraße 88 wird nun an Emilie Reinmann sowie die vier ledigen Geschwister Jakob (geboren 1864), Julchen (1871), Helene (1872) und Isidor (1874) Reinmann erinnert, die erst eine vom Vater gegründete Metzgerei in der Talstraße führten. 1924 erwarben sie das Gebäude des Bürgerlichen Brauhauses in der Hauptstraße 88 und betrieben dort ihre koschere Metzgerei. „Viele Feudenheimer haben dort gekauft, nicht nur Juden, denn die Familie war gut integriert“, weiß Putzer. Doch das änderte sich gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und steigerte sich 1938, „als sie einfach keine Ware mehr bekamen und das Geschäft an einen christlichen Metzger übergeben mussten“. Sie durften noch kurze Zeit hier wohnen, bis der Staat dann auch alle Mietverträge mit Juden verbot.

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Nach Südfrankreich deportiert, starben vier der Geschwister 1941 im Lager. Emilie Reinmann (geboren 1875) war anfangs mit ihren Geschwistern im Lager Récébédou und danach bis 1944 im Lager Noé, beides Nebenlager von Gurs. Nach dem Einmarsch der Alliierten und ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft lebte sie bis 1949 im Kloster St. Astier (Dordogne). Durch die Leiden der Lagerhaft schwer erkrankt, wurde sie von ihrer Tochter 1949 nach Haifa geholt und verstarb dort nach wenigen Wochen am 20. Oktober 1949.

Nur wenige Meter weiter, in Höhe von Hauptstraße 66, erinnert nun ein Messingmahnmal im Gehweg an Selma Elise Seelig geb. Frohwein (geboren 1887). Sie heiratete 1921 den Witwer Max Seelig, der aber bereits 1934 starb. Seit Anfang 1940 wohnte Selma Elise Seelig in Feudenheim im Haus von Berta und Gustav Kahn, für die dort bereits Stolpersteine liegen. Sie wurde mit ihnen ins Lager Gurs deportiert, von dort 1942 in das Todeslager Auschwitz transportiert und ermordet.

Mahnung von OB Specht

In der Eichbaumstraße in Feudenheim wird nun an Karl Freund und seine Frau Jettchen geb. Kaufmann erinnert. Der Installateur war schon nach der Reichspogromnacht 1938 kurz im KZ Dachau inhaftiert, 1940 dann mit seiner Frau ins Lager Gurs deportiert worden. Er kam 1942 mit 588 Erwachsenen und 280 Kindern nach Auschwitz-Birkenau und dort unmittelbar nach der Ankunft in die Gaskammer, Jettchen wurde zwei Jahre später in Auschwitz ermordet.

Das Leid anfangs überlebt haben der Viehhändler Jeremias Fuld und seine Frau Mina. Nach Gurs deportiert, konnten sie 1942 von Marseille aus über Casablanca in die USA emigrieren. Jeremias starb dort aber, in der Haft erkrankt, schon im Jahr darauf, seine Ehefrau Mina dann 1959.

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Für alle stimmte Amnon Seelig, der Kantor der Jüdischen Gemeinde, das Totengebet an. Und neben Stadträtin Claudia Schöning-Kalender, mehreren Bezirksbeiräten, Vereinsvertretern und Pfarrerin Dorothee Löhr nahmen auch Schüler der Feudenheim-Realschule und des Gymnasiums, die sich vorher mit der Geschichte der Jüdischen Gemeinde des Orts befasst haben, teil.

„Das ist ein wichtiges Zeichen“, begrüßte Oberbürgermeister Christian Specht, dass sich die junge Generation mit dem Thema beschäftige. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, verdeutlichte Specht mit einem Zitat aus dem Talmud die Bedeutung der Stolpersteine. Bewusst sei er kurzfristig zu der Verlegung gekommen, „weil das in der jetzigen Zeit noch mehr Bedeutung hat“. Gerade habe er mit der Bürgermeisterin von Haifa telefoniert und „von den katastrophalen Auswirkungen des Krieges“ gehört, „dessen Basis auch Antisemitismus ist“. Die Stolpersteine seien eine enorm wichtige Mahnung, „sich immer wieder zu vergewissern, wie wichtig eine Demokratie ist, dass wir sie immer wieder verteidigen müssen, wie wertvoll friedliches Zusammenleben aller Religionen ist“, mahnte Specht. Zugleich appellierte er an alle Menschen, den Frieden in der Stadt zu bewahren, und verurteilte „jegliche Demonstrationen, bei denen das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird“.

Redaktion Chefreporter

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