Kultur

Endlich wieder bühnenreif - Mannheimer Unitheater feiert Comeback

Von 
Lisa Uhlmann
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Theaterpädagogin Christine Heinzel (Mitte) gibt Gian Wiget und Studentin Lucia Frackenpohl Fuentes Tipps bei der Probe in der Schlossuni. © Lisa Uhlmann

Als die Direktorin der Schauspielschule mit französischen Fachwörtern um sich wirft, rutscht der junge Schauspielschüler tiefer in seinen Sitz. „Französische Wörter machten ihm schon immer Angst“, erklärt plötzlich sein Gedanke den Zuschauern. Moment Mal: Ein Gedanke, der spricht? „Bitte spiel das etwas lauter, energischer“, unterbricht Regisseurin und Theaterpädagogin Christine Heinzel die Szene. Ein kurzes Nicken von Studentin Annette Beyer, dann schlüpft sie wieder zurück in ihre Rolle als Gedanke des Schauspielschülers Joachim Meyerhoff.

Zwar wirkt die Probe in der Alten Lehrbuchsammlung des Mannheimer Schlosses beim Besuch so ganz ohne Bühne auf den ersten Blick etwas Fehl am Platz. Aber macht beim längeren Zuschauen ziemlich viel Spaß. Schließlich inszenieren die Studierenden der Universität Mannheim zum ersten Mal seit fast 20 Jahren wieder ein neues Theaterstück - und spielen dabei auch ein bisschen sich selbst.

Das Besondere: Die neue Truppe probt seit Herbst 2019, hat sich während und wegen der Corona-Pandemie fast zwei Jahre lang nicht mehr gesehen. Umso glücklicher sind die Studis, dass sie das einst berühmte und eines der ältesten Universitätstheater Deutschlands, damals bekannt als „Compagnia Palatina“ (pfälzische Truppe), nun wieder aufleben lassen - allerdings unter dem neuen Namen „Unitheater Mannheim“.

Das Mannheimer Unitheater damals und heute

  • Die Premiere des Stücks: „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ nach Joachim Meyerhoff und Gil Mehmert, aufgeführt vom Unitheater Mannheim, findet am Mittwoch, 25. Mai um 20 Uhr im Theaterhaus G7 statt. An weiteren drei Abenden führt die Studierendentruppe ab 20 Uhr das Stück erneut auf: 26., 27. und 28. Mai.
  • Das Stück ist eine Inszenierung des Erfolgsromans des Schauspielers Joachim Meyerhoff. Darin beschreibt er witzig, ironisch, tragisch und komisch seinen Werdegang als Schauspielschüler.
  • Das Unitheater, damals bekannt unter dem Namen „Compagnia Palatina, wurde Anfang der 1970er gegründet. Aufführungen gab es anfangs in der Aula der Schlossuni, dann in den Katakomben. Seit 1985 hatte das Theater seinen festen Platz im Westflügel des Ehrenhofs.
  • Heute umfasst das Ensemble elf Schauspielende und drei Produktionsmitglieder. Das Studitheater wurde im Herbst 2019 wieder zum Leben erweckt und sollte im Mai 2020 dann Premiere feiern. Wegen der Pandemie musste das Ensemble Mitte März, nur sechs Wochen vor Premiere, die Proben abbrechen.
  • Das Interesse an der Truppe war bereits so groß, so dass nur die Hälfte der Bewerber teilnehmen konnte. Innerhalb von zwei Semestern hatten sich mehr als 45 Studis beworben. Die Studis können sich bei der Produktion neben der Schauspielerei auch als Projektmanagerin, Regie-Assistenten, Dramaturgin und Marketingexperten einbringen und ausprobieren. lia

 

Groß gemacht hat die Theatertruppe vor rund 50 Jahren Germanist und Schauspieler Thomas Butz. Der ist zu dieser Zeit selbst eine schillernde Figur: Weil er als französischer König nackt über die Bühne des Nationaltheaters läuft, erhält Butz ein Theaterverbot. Mehr aus Trotz heraus gründet der Künstler daraufhin seine eigene Theatergruppe an der Uni Mannheim, die er auch als Wunderkiste bezeichnet. In über 30 Jahren bringt Butz mehr als 40 Stücken nicht nur auf die Bühne im Schloss - sondern tourt damit durch die ganze Region. 1989 verwandelt der Leiter des Studententheaters mit einem Stück zur Französischen Revolution sogar den Mannheimer Marktplatz in eine Bühne.

Schauspielerei als Therapie

Nun aber will Theatergruppenleiterin Heinzel ein neues Kapitel aufschlagen. Premierenort für das Stück mit dem Titel „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“, ist das Theaterhaus G7. Die Spielstätte bietet den Laienschauspielern aus den Fachrichtungen Psychologie, Medienwissenschaften, Germanistik, Betriebswirtschaftslehre oder Jura eine Bühne bietet für ihr großes Comeback.

Die Geschichte der neuen Produktion dreht sich um den jungen Joachim Meyerhoff und seine tragisch und komische Studienzeit an einer Münchener Schauspielschule. Dabei durchlebt er bei absurden Schauspielübungen, ernsten Gesprächen und dem Zusammenleben mit seinen Großeltern ein Wechselbad der Gefühle. „Das ist eine tolle Rolle, weil Joachim so verschlossen ist und es liebt, jemand anderes zu sein. Manchmal bricht alles aus ihm heraus“, sagt Psychologie-Student Gian Wiget, der die Hauptrolle spielt. Der 19-Jährige sieht in seiner Figur viel von sich selbst, das Herumschreien und aus der Haut fahren zu spielen ist für ihn wie eine Art Therapie.

Wie aber kann es sein, dass das einst so berühmte Unitheater in Vergessenheit geraten ist - und wie kommt es, dass es nun wieder aufblüht? Antworten darauf hat Regisseurin Heinzel. Sie ist diejenige, die Unirektor Thomas Puhl auf einer Veranstaltung noch vor der Pandemie darauf anspricht - mit Erfolg. Beide beschließen spontan, die Gruppe wieder zum Leben zu erwecken. „Das Unitheater sollte damit wieder eine kreative Stelle sein, in der Studis aus unterschiedlichen Fakultäten aufeinandertreffen“, erinnert sich Heinzel.

Langsam zu Ende geht es mit der Compagnia Palatina übrigens damals, als das Arkadentheater 2009 renoviert werden und die Hochschulgruppe ihren Schlüssel abgeben soll. Denn bis dahin sind die Arkaden Zuhause, Probeort und Lagerraum für Requisiten, Bühnenbilder und Kostüme der Schauspielgruppe. „Jetzt proben wir in den Vorlesungsräumen im Ehrenhof West oder bei mir daheim“, erklärt damals der sichtlich enttäuschte Leiter Butz dem Mannheimer Morgen. Und auch heute hat das wiederbelebte Unitheater bislang kein neues Zuhause gefunden, proben die Laienschaupielende in Seminarräumen im Ehrenhof West.

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Allerdings will Leiterin Heinzel bewusst nicht in die Fußstampfen ihres berühmten Vorgängers treten, der manchen vielleicht noch als Moderator im Barockkostüm beim ersten Mannheimer Schlossfest in Erinnerung geblieben ist. Während Butz gerne vergessene Klassiker inszenierte, setzt die Theaterpädagogin lieber auf zeitgenössische Stücke, die nahe an der Lebenswelt der Studis sind. „Das Theater-Spielen ist für die Studierenden sehr intensiv, sie müssen sich hier nämlich mit ähnlichen Fragen auseinandersetzen, wie sie sich ihnen auch im Studium stellen: Wer bin ich und was mache ich hier eigentlich?“, sagt die 54-Jährige.

Wer bin ich eigentlich?

Wie die Studierenden die Proben und ihre Rolle im Stück so finden? „Als Gedanke bin ich wie ein allwissender Erzähler, nur interagiere ich mit den anderen Figuren“, sagt die 22-jährige Annette Beyer. Für sie ist die Rolle herausfordernd, schließlich spielt sie keine echt Person. Oft fragt sie sich deshalb: Wer bin ich eigentlich? Für die Medienwissenschaftlerin und ihre Mitspielerinnen und Mitspieler ist die Theatergruppe schon jetzt deutlich mehr als nur ein Zeitvertreib: Nach zwei Jahren Online-Studium sind die ersten Proben vor Ort für so manchen Erstsemestler sogar der erste direkt Kontakt zu anderen Studis an der Uni. Für einige waren die Proben sogar der einzige Grund, um überhaupt die Uni vor Ort zu besuchen, oder in Mannheim wohnen zu bleiben.

Wie das Stück nun am Ende ausgeht? Bis zur Premiere werden die Studis mit Heinzel jede freie Minute nutzen, um zu üben - und geben beim Probenbesuch noch einen kurzen Einblick in den letzten Akt: So steht Joachim an seinem letzten Tag an der Schauspielschule plötzlich alleine da, mit einem Zettel mit der Aufschrift „bühnenreif“ in der Hand. „Während alle einen Job ergattern, heißt es bei uns: Jedes Mal euphorisch vorgestellt - und euphorisch abgelehnt“, kommentiert da nur sein Gedanke sarkastisch.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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