Mannheim. Nur der Glockenschlag von St. Sebastian übertönt die Stille auf dem Marktplatz. Immer wieder ist der helle Klang zu hören, als um kurz nach 15:30 Uhr Oberbürgermeister Christian Specht zusammen mit der Mutter und einer Schwester Rouven Laurs am Marktplatzbrunnen steht. Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, sein Landes-Kollege Thomas Strobl sowie Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer und Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz sind an die Stelle getreten, an der Rouven Laur vor einem Jahr in Kopf und Hals gestochen worden war, und an der nun eine Tafel und ein Stein an den nur 29 Jahre alt gewordenen Polizisten erinnern.
Mit deren Enthüllen endet eine Gedenkfeier, die in Erinnerung bleiben wird. Die kraftvollen Töne des Bläserensembles zu Beginn erinnern an die tägliche Gefahr, in die sich Polizisten begeben. Eindringliche Momente des Gedenkens an Rouven Laur und eindrückliche Minuten des Zuhörens und des Nachdenkens ergänzen das Programm.
1.500 Menschen sind gekommen, um zu erinnern. An jenen Tag vor genau einem Jahr, dem 31. Mai 2024, an dem der Marktplatz von einem Ort „des Dialogs und des fröhlichen Miteinanders“ zu einem Ort des Verbrechens wurde, wie Specht auf der aufgebauten Bühne erklärt. Der Oberbürgermeister erinnert an die Trauer und das Entsetzen, die das Attentat und Rouven Laurs Tod bundesweit ausgelöst hat. „Das war kein verordnetes Gedenken, sondern die aufrichtige Teilnahme unzähliger Menschen, die hier am Marktplatz jeden Tag sichtbar sind und auch heute wieder hier sind“, sagt er und erinnert an jene Frau, die seit einem Jahr ehrenamtlich die Blumen an der provisorischen Gedenkstätte auf dem Marktplatz gepflegt hat.
Auch die Gedenktafel sei ein Wunsch vieler gewesen. „Vielen Dank für all diese Zeichen, die belegen, dass Rouven Laur in Mannheim unvergessen ist.“ Specht erinnert aber auch an die Verletzten der „Bürgerbewegung Pax Europa“, der das Attentat eigentlich galt. „Wir wünschen Ihnen von Herzen alles Gute, auch wenn wir in einigen Fällen Ihre politischen Ansichten nicht teilen.“
Doch so unvergessen Rouven Laur bleiben soll, so sehr hat die Tat eines aus Afghanistan stammenden Mannes eben auch eine politische Dimension. Das Attentat hat die bis heute anhaltende Migrationsdebatte neu angefacht. Nicht zum ersten Mal stellt man sich an diesem Nachmittag die Frage: Wie hätte wohl Rouven Laur selbst auf diese Debatte geblickt? Der Polizist, der, wie Specht es sagt, Menschen auf Augenhöhe begegnen wollte, indem er auch Arabisch gelernt hat, und der jenen helfen wollte, „die seine Hilfe benötigten“?
Die Debatte sei teilweise „verletzend, spaltend und herabwürdigend“ geführt worden. In Mannheim aber weniger als anderswo. „Wir in Mannheim wissen, dass die Frage von Gut und Böse keine Frage von Religion, Herkunft oder Hautfarbe ist“, sagt Specht und verweist unter anderem auf den afghanisch-stämmigen Chirurgen, der um Laurs Leben gekämpft hat. „So wie Rouven Lauer für Demokratie, Freiheit und ein humanistisches Menschenbild eintrat, so treten wir in Mannheim dafür ein, dass jeder und jede, der oder die sich zu unserer freiheitlichen Demokratie und zur Würde jedes Menschen bekennt, zu unserer Stadtgesellschaft zugehörig werden kann. Auch dafür stehen wir heute miteinander ein.“
Neben Thomas Seidelmann, dem Bürgermeister von Laurs Heimatgemeinde Neckarbischofsheim, ist auch Peter Kurz gekommen. Es sei wichtig, an die Persönlichkeit und die Werte zu erinnern, die der Polizist vertreten habe, sagt Mannheims früherer Oberbürgermeister dieser Redaktion. „Diese Werte vertreten wir auch als Stadtgesellschaft.“
Für uns fühlt sich der Tod von Rouven an wie mächtige Wellen, die uns immer wieder überrollen.
Indes verliest Specht einen Brief von Familie Laur. „Ein Jahr ohne Rouven. Ein Jahr ohne unseren Sohn. Ein Jahr ohne unseren Bruder. Ein Jahr, das sich anfühlt wie eine Ewigkeit und gleichzeitig, als wäre es gestern gewesen.“ Beim Gedanken an Rouven fühle sich die Familie wie an einem ruhigen See stehend. „Ein Stein wird geworfen und die Kreise ziehen sich immer weiter. Aber für uns sind es keine Kreise, es sind Wellen. Für uns fühlt sich der Tod von Rouven an wie mächtige Wellen, die uns immer wieder überrollen.“
Die große Anteilnahme bewegt sie sehr, schreibt die Familie. Und doch solle der Tod ihres Sohns und Bruders nicht umsonst gewesen sein. „Messerverbotszonen mögen ein guter Anfang sein. Aber es sind nicht die Messer, die Menschen töten, es sind die Menschen, die sich damit für Gewalt entscheiden, gegen andere, gegen das Leben“, mahnen Laurs. Sie berichten von „vielen sehr dunklen Tage, an denen wir nur funktionieren“ und anderen, „an denen wir versuchen, trotzdem wieder die hellen Momente im Leben zu erkennen und zu lernen, dankbar zu sein“. Dankbar für jeden, der ihnen helfe, „über Wasser zu bleiben“.
Im Publikum steht ein Mannheimer, der am 31. Mai 2024 direkt neben dem Stand der islamkritischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ gewesen ist. Er habe das Geschehene inzwischen verarbeitet. Dennoch sei es ihm ein Anliegen gewesen, heute hierherzukommen. „Vor allem für die Polizei ist es wichtig, heute zu zeigen, dass wir hinter ihr stehen. Gerade in diesen Zeiten, in denen sie von verschiedenen linken Gruppen so stark kritisiert wird.“
Nach dem offiziellen Programm bildet sich eine lange Schlange an Menschen, die vor der Tafel Blumen niederlegen. Ein Polizist aus Rouven Laurs Einsatzzug steht neben der Tafel. Immer wieder reichen Menschen ihm die Hand. Manche senken ihren Kopf. An diesem Tag, auf diesem Platz, in diesen Minuten zeigt sich die Wertschätzung der Stadtgesellschaft gegenüber der Polizei. Und so ist der Marktplatz in diesen Momenten vieles: Ein Ort der Tat. Ein Ort des Gedenkens. Und ein Ort des Zusammenhalts.
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