Serie Familie

Eine ganz normale Familie - Mannheimer Pflegeeltern berichten

Fast 90 000 Kinder und Jugendliche leben in einer Pflegefamilie - die Gründe sind verschieden. Zwei Familien aus Mannheim berichten, wie sie Pflegeeltern wurden und welche Rolle die leibliche Mutter noch spielt

Von 
Stefanie Ball
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In Mannheim wurden im vergangenen Jahr 20 Kleinkinder in Fremdpflegefamilien vermittelt. © Uwe Anspach/dpa

Mannheim. David ist jetzt drei Jahre alt. Eigentlich heißt er anders. Doch sowohl sein Name als auch der seiner Eltern wurden für diese Geschichte geändert. Nicole und Christian Neuer sind nämlich nicht Davids leibliche Eltern, sie sind die Pflegeeltern. Seine leibliche Mutter lebt in einer anderen Stadt, David kann sich nicht an sie erinnern.

Zu Treffen, die anfangs vereinbart worden waren und regelmäßig stattfinden sollten, ist sie nie gekommen. „Es ist schwer für sie, David nicht zu sehen, aber es ist noch schwerer, ihn zu sehen und dann immer wieder Abschied nehmen zu müssen“, sagt Nicole. Also haben sie die Treffen eingestellt. Bis auf Weiteres.

Für David sind die Pflegeltern die richtigen Eltern

Für David ist Nicole die Mama und Christian der Papa. Er kennt es nicht anders, und er hinterfragt es auch nicht. Nicole sagt, David sei ein fröhlicher, schlauer Junge. „Es war Liebe auf den ersten Blick, und so ist es bis heute geblieben.“ Sie hätten gerne eigene Kinder gehabt, aber das klappte nicht. So wurden sie Pflegeeltern.

Adoption und Pflege

  • Der Pflegekinderdienst der Stadt Mannheim hat 2022 insgesamt 46 Kinder beziehungsweise Jugendliche in Pflegeverhältnisse vermittelt. Davon wurden 26 Kinder bei Verwandten untergebracht. 13 von ihnen waren sogenannte unbegleitete minderjährige Ausländer, die aus ihrer Heimat nach Mannheim zu Verwandten wie Onkeln, Tanten oder älteren Geschwistern geflüchtet sind.
  • In sogenannte Fremdpflegefamilien werden in der Regel Kinder zwischen null und drei Jahren vermittelt. 2022 waren das 20.
  • Wer Pflegeeltern sein möchte, muss sich auf eine grundlegende Eignungsprüfung und Vorbereitung auf die Aufgabe einlassen.
  • Bei Interesse – die Stadt Mannheim ist immer auf der Suche nach Pflegefamilien: Pflegekinderdienst, Telefon: 0621/293-6260 oder per E-Mail an pflegekinderdienst@mannheim.de beziehungsweise mannheim.de/pflegeeltern. sba

Den Schwiegereltern hätten sie das erst erzählt, als alles beschlossen gewesen sei. Für den Schwiegervater sei es schwer gewesen, sich damit abzufinden, dass sein Sohn keine eigenen Kinder bekommen kann. „Jetzt liebt er David über alles.“ Nicole hat eine Freundin, auch bei ihr hat sich der Kinderwunsch bislang nicht erfüllt. Doch ein Pflegekind aufnehmen? „Sie sagt, was für ein Glück wir mit David haben, aber sie traut sich das nicht zu.“

Kurzzeitpflege im Falle von Notsituationen

Neben der Kurzzeit- und Bereitschaftspflege, die einspringt, wenn bei Familien das Leben aus dem Ruder läuft, gibt es die Vollzeit- oder Dauerpflege. Die Gründe, wenn ein Kind nicht bei seinen leiblichen Eltern bleiben kann, sind vielfältig, manche Mütter sind noch minderjährig und nicht in der Lage, ein eigenes Kind zu erziehen.

Daneben spielen psychische Erkrankungen eines Elternteils, Drogenabhängigkeit oder Vernachlässigung eine Rolle. Die Kinder bleiben dann ein paar Wochen oder Monate, manchmal aber auch Jahre oder für immer bei Pflegeeltern. Aktuell leben rund 87 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland in einer Pflegefamilie.

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Das Jugendamt spielt in allen Fällen eine wichtige Rolle, sowohl das Kind und die Pflegefamilie als auch die Herkunftsfamilie werden begleitet; einmal im Jahr wird ein individueller Hilfeplan erstellt. Es geht darum, Probleme zu besprechen und Ziele, die gesetzt wurden, zu kontrollieren. Schließlich erhalten die Pflegeeltern auch ein Pflegegeld - wie viel, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich, in der Regel sind es zwischen 700 und 900 Euro pro Monat.

Auch die leiblichen Eltern sind weiter präsent, sie haben die Berechtigung, ihr Kind zu sehen. In welchem Umfang, wird individuell entschieden. Eine sogenannte Rückführung zur Herkunftsfamilie ist möglich, selbst nach Jahren noch - vorausgesetzt, die Situation hat sich so verbessert, dass das Kindeswohl nicht mehr gefährdet ist. Für die Pflegefamilien ist das ein Alptraumszenarium, tatsächlich passiert dies nur selten.

Marlene kennt auch ihre "Bauchmama"

Auch Karin und Peter Boch, die in Wirklichkeit anders heißen, sind Pflegeeltern, ihre Tochter ist inzwischen elf Jahre alt. Als sie zu ihnen kam, war sie eins. Für Marlene ist Karin die Mama und Peter der Papa. Dass sie eine „Bauchmama“ hat, weiß sie. Wichtig ist das nicht für sie, sie will vor allem eins sein: Ein ganz normales Kind in einer ganz normalen Familie. „Marlene ist unser größtes Glück“, sagt Karin. Sie hätten immer Kinder gewollt. Doch das klappte nicht. „Wir haben über Auslandsadoption nachgedacht und kamen so zum Jugendamt.“ Dort habe man ihnen von der Möglichkeit erzählt, Pflegeeltern zu werden. So kam Marlene in ihr Leben.

Bei Nicole und Christian Neuer hängen im Wohnzimmer an einer Wand Familienfotos, viele zeigen einen lachenden David. Nicole sagt: „Wir könnten uns gut vorstellen, noch ein zweites Pflegekind aufzunehmen.“

Freie Autorin

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