Cannabis-Legalisierung

Ein Joint, zwölf Jahre Sucht: Wie ein Mannheimer seine Cannabis-Abhängigkeit überwand

Es fängt an auf der Klassenfahrt und endet mit dem Überfall auf eine Bäckerei. Wie ein Mannheimer die Kontrolle verlor - und was ihm geholfen hat, seine Cannabis-Sucht zu überwinden

Von 
Stefanie Ball
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Es begann mit einem Zug. Dann rutschte Sebastian (Name geändert) in die Cannabissucht ab. Wie er es dort hinausgeschafft hat. © CasarsaGuru/iStockphoto

Mannheim. Er braucht dringend Geld, um die Kaution zu bezahlen. Sebastian Klein will mit seiner Freundin zusammenziehen, sein Anteil an der Kaution beträgt 700 Euro. Die hat der damals 28-Jährige nicht. Er hat seinen Job verloren und lebt vom Arbeitslosengeld. Doch das weiß seine Freundin nicht. Sie weiß auch nicht, dass er fast alles Geld, das er hat, für Drogen ausgibt. Cannabis.

Sebastian ist süchtig nach Cannabis: Irgendwann überfällt er eine Bäckerei

Sebastian Klein, der im wahren Leben anders heißt, für diese Geschichte aber anonym bleiben möchte, ist zu dem Zeitpunkt bereits seit fast zwölf Jahren abhängig. Morgens, mittags, abends ein Joint, und das jeden Tag. Lange geht das gut, und lange merkt auch niemand, wie groß die Sucht ist. Alle im Freundeskreis rauchen Gras, auch seine Freundin. Doch niemand so exzessiv wie er. Niemand so lange wie er.

Sebastian Klein besorgt sich eine Spielzeugpistole, er will eine Bäckereifiliale überfallen. Er sieht keinen anderen Ausweg. „Ich konnte das Bild, dass ich Drogen konsumieren kann und alles läuft, nicht aufgeben“, sagt er. Die Hemmschwelle, eine Bäckerei zu überfallen, sei kleiner gewesen als die, sich die Drogensucht einzugestehen.

Cannabis-Legalisierung

  • Cannabis zu Genusszwecken zu legalisieren, ist ein zentrales Projekt der Ampel-Koalition.
  • Laut dem Gesetzentwurf, den das Kabinett bereits gebilligt hat, soll der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum sowie der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, straffrei möglich sein.
  • Eigentlich wollte der Bundestag das Gesetz schon Ende vergangenen Jahres verabschieden. Über Details des nach wie vor umstrittenen Projekts gab es aber immer wieder Streit.
  • Neben der Möglichkeit des Eigenanbaus soll es Anbauvereinigungen geben, über die Konsumenten Cannabis beziehen können. Allerdings müssen diese dafür Mitglied in einem solchen Cannabis-Club sein. Hier gilt die Besonderheit, dass für „Heranwachsende“ (18- bis 21-Jährige) der Gehalt von THC (Tetrahydrocannabinol) im Cannabis zehn Prozent nicht übersteigen darf. THC sorgt für die berauschende Wirkung. Die Clubs dürfen maximal 500 Mitglieder haben, eine Weitergabe an Nicht-Mitglieder ist nicht erlaubt.
  • Mit der Legalisierung verbindet sich die Hoffnung, den illegalen Markt einzudämmenCannabis vom Schwarzmarkt ist häufig mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden, da es giftige Beimengungen oder Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide enthalten kann.
  • Flankierend zur Legalisierung sollen die Präventionsangebote ausgebaut werden; dafür sind sechs Millionen Euro vorgesehen.
  • Denn das Bundesgesundheitsministerium warnt, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aufgrund des Reifeprozesses des Gehirns bis zu einem Lebensalter von 25 Jahren besonders anfällig für psychische, physische und soziale Auswirkungen sind - selbst wenn sie nur kurzfristig Cannabis konsumieren.
  • Die Auswirkungen des neuen Gesetzes sollen in den ersten vier Jahren evaluiert werden.
  • Weil der Anbau und Besitz künftig straffrei ist, geht die Bundesregierung davon aus, dass sich die Anzahl der gerichtlichen Strafverfahren wegen cannabisbezogener Delikte „stark“ verringern wird.

Er lungert vor der Bäckerei herum, dann zieht er den Schal vors Gesicht, zückt die Spielzeugpistole, betritt den Laden und sagt: „Ich will das Geld.“ Die Verkäuferin entgegnet: „Muss das jetzt sein?“ Sie gibt ihm das Geld, Sebastian Klein nimmt es und läuft davon. Es dauert ein halbes Jahr, ehe die Ermittlungen die Polizei zu seiner Wohnung führen. „Ich war damals nicht zu Hause, meine Freundin hat die Tür geöffnet.“ An diesem Tag endet Sebastian Kleins altes Leben.

Cannabis-Sucht: Mit dem ersten Joint auf Klassenfahrt fing es an

„Ich brauchte den Knall“, sagt er heute, vierzehn Jahre später. Der 42-Jährige ist verheiratet, mit seiner damaligen Freundin, sie haben zwei kleine Kinder. An seinen letzten Joint erinnert er sich noch, das war in seiner Wohnung mit einem Freund und seiner Freundin. Er weiß, dass er angeklagt wird und vielleicht ins Gefängnis muss. Er weiß: „Ich muss aufhören.“ Jahrelang ist Kiffen für Sebastian Klein Normalität. Er glaubt, sein Leben im Griff zu haben. Dass ihm längst die Kontrolle entglitten ist, erkennt er jetzt zum ersten Mal.

Den ersten Joint raucht Sebastian Klein auf einer Klassenfahrt nach Rom. Da ist er 16 Jahre alt. Er geht auf eine Gesamtschule, hat gute Noten, er will Abitur machen. Sechs Wochen nach der Klassenfahrt eine Party, wieder hat jemand Gras dabei, Sebastian Klein denkt: „Ach, das war gut, ich probiere es noch mal.“ Wenige Monate später hat er eine Telefonnummer von einem Dealer in seinem Handy eingespeichert. Einen Tag ohne Joint gibt es nicht mehr. „Ich bin morgens aufgestanden und habe eine Tüte gedreht.“

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Er wohnt bei seinen Eltern, sein Zimmer liegt unter dem Dach. „Ich habe selbst aufgeräumt und meine Wäsche gemacht, es gab keinen Grund für meine Mutter oder meinen Vater, in mein Zimmer zu kommen.“ Er öffnet das Fenster, wenn er raucht. So bleibt seine Sucht scheinbar unentdeckt. Auch deshalb, weil er weiter gut in der Schule mitkommt. Rückblickend sagt er, vielleicht hätten die Noten noch besser sein können. Aber es reicht fürs Abitur. Es reicht für eine Lehre. Es reicht für ein Studium. Sebastian Klein ist nie so stoned, dass er morgens nicht aus dem Bett kommt. Oder Termine verpasst.

Trotzdem ist er sich sicher, dass seine Eltern etwas geahnt haben müssen. „Das nicht zu bemerken, ist ausgeschlossen“, sagt er. Er will seinen Eltern keine Schuld geben. Er sagt, er hätte dichtgemacht, wenn sie ihn auf seinen Drogenkonsum angesprochen hätten. „Sie haben sich Sorgen gemacht, wussten aber nicht, wie sie damit umgehen sollten.“ Er ist sich auch sicher, dass er bei einem anderen Freundeskreis nie mit Cannabis in Kontakt gekommen wäre. So aber ist es normal, zu konsumieren. Am Wochenende, auf Partys. „Für die anderen waren das Phasen.“ Für Sebastian Klein nicht.

Sebastian zieht nach Mannheim - erster Versuch eines Entzugs

Als er Anfang 20 ist, zieht er von dem Ort, in dem er aufgewachsen ist, nach Mannheim. Er denkt, wenn ich erstmal weg bin von zu Hause, kann ich auch mit den Joints aufhören. Sechs Wochen geht das gut. Dann kennt er die richtigen Partys und die Dealer. „Kiffer finden überall zueinander.“ Sebastian Klein hat immer einen Job, auch als Jugendlicher. Wenn es mal knapp wird, greift er bei seinen Eltern ins Portemonnaie. Rund 600 Euro kostet ihn seine Drogensucht im Monat.

Später, als er arbeitet, ist immer genug Geld da. „Das, was andere für Klamotten ausgegeben haben, habe ich für Drogen ausgegeben.“ Äußerlich habe man keinen Unterschied gemerkt. „Ich habe meine Jeans eben etwas länger getragen, und wenn ein Möbelstück kaputt war, blieb das einfach so.“ Doch dann verliert er seine Arbeitsstelle. Er sagt, er wisse nicht, ob das wegen oder trotz seines Drogenkonsums war. Jedenfalls wird es ab da finanziell eng, und das Lügengebäude wächst. Bis es an jenem Morgen in der Bäckerei zusammenbricht.

Nach dem Überfall: Sebastian wird clean

Sebastian Klein besorgt sich einen Anwalt, schließt mit der Angestellten der Bäckerei einen Täter-Opfer-Ausgleich, begibt sich beim Mannheimer Drogenverein in Therapie. Als er ein halbes Jahr später auf der Anklagebank sitzt, sind die Richter überzeugt: Es geht in die richtige Richtung. „Das Gericht hat mir auch zugutegehalten, dass ich in dem Moment des Überfalls emotional überfordert war.“ Er wollte ja kein Geld für Drogen, sondern für die Kaution. Sebastian Klein erhält eine Bewährungsstrafe. Die ist inzwischen verjährt. Nach anderthalb Jahren sagt ihm seine Therapeutin: „Das war’s.“ Sebastian Klein gilt als clean.

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Trotzdem wird ihn seine Drogenvergangenheit ein Leben lang begleiten. Die geplante Cannabislegalisierung sieht er deshalb zwiegespalten. „Mir ist noch nicht ganz klar, wie ich damit umgehe, wenn es dann einfacher ist, sich Cannabis zu besorgen.“ Sobald der Geruch eines Joints in seine Nase steigt, springen die alten Synapsenverbindungen an und suggerieren ihm: „Oh, spannend!“

Doch in der Therapie hat Sebastian Klein gelernt, mit seinen Emotionen umzugehen. Nach den Gründen von Wut und Angst zu suchen, die er verspürt, und so die Ursachen anzugehen. Das konnte er lange nicht. In seinem Elternhaus sei nie offen über Gefühle gesprochen worden, und als er in die Pubertät kam und auch später wusste er nicht, wie er seine Emotionen einordnen sollte. Also hat er gekifft. „Der Joint war ein Problemschieber.“ Er habe sich bekifft klarer gefühlt als nüchtern.

Cannabis in Deutschland: Komplette Verbannung unmöglich

Emotionen zuzulassen, musste Sebastian Klein erst lernen, und jetzt sieht er seinen kleinen Sohn, der auch manchmal nicht weiß, wohin mit seiner Wut und seiner Angst. Dann hilft er ihm, seine Gefühle zu sortieren. Was er ihm sagt, wenn er älter wird und anfängt auszugehen, weiß er noch nicht. Er hofft aber, dass seine Kinder stark sein werden und aufgeklärt. Dass sie wissen, was Drogen im Gehirn auslösen können und dass Cannabis süchtig machen kann. „Wir können Drogen nicht wegsperren, es wird immer einen Markt geben und Menschen, die darauf hängen bleiben.“

Was gewesen wäre, wenn er selbst nicht hängen geblieben wäre, darüber denkt Sebastian Klein nicht nach. „Das, was ich heute bin, ist die Summe meiner Erfahrungen.“ Er habe Pech gehabt. Aber auch viel Glück.

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