Stadtgeschichte

Der langsame Niedergang der Mannheimer Kauffmannmühle

Einst Mannheims erste Dampfmühle, dann lange leer und als Standort einer Privatuni im Gespräch. Was in der Kauffmannmühle passierte, ehe sie Anfang Februar ausbrannte - und das nicht zum ersten Mal

Von 
Peter W. Ragge
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Die Kauffmannmühle 1910, von der Firma Simon, Bühler und Baumann Frankfurt, Hersteller der Mühlenmaschinerie, als Werbung verwendet. © Rhein-neckar-Industriekultur

Mannheim. Die Fassade wird niedriger, der Schuttberg höher: Der Abriss des vor über einer Woche ausgebrannten Teils der Kauffmannmühle im Jungbusch geht voran. Doch damit verliert Mannheim eines der wenigen erhaltenen Mühlengebäude und ein „charakteristisches Beispiel des Industriebaus des 19. Jahrhunderts“, wie Andreas Schenk, Architekturexperte im Marchivum, das imposante, unter Denkmalschutz stehende Gebäude beschreibt.

Kauffmannmühle – der Name des Anwesens geht auf die Gründerfamilie zurück. Zunächst eröffnet, so ergibt sich aus Unterlagen im Marchivum, der Heidelberger Händler Eduard Kauffmann 1839 in der Mannheimer Innenstadt ein Geschäft für Material-, Farb- und Spezereiwaren, also Gewürze. Doch er stirbt auf der Überfahrt nach Amerika, wohin er nach der 1848/49er-Revolution fliehen will. Seine Frau führt den kleinen Laden weiter, und die Söhne machen daraus dann ein Großhandelsunternehmen für Hülsenfrüchte und Mehl.

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Zunächst handeln sie nur – aber ab 1875 wollen sie selbst produzieren. Dazu kaufen sie zwei Mühlen im Schriesheimer Tal, aber das ist viel zu weit weg von der schnell wachsenden Großstadt Mannheim und den Verkehrswegen.

Kauffmannmühle: Beispiel für industrielles Bauen des 19. Jahrhunderts

Daher entscheiden sie sich für einen Neubau – in Mannheim, an der Hafenstraße beim Verbindungskanal. So entsteht 1881 bis 1883 das Gebäude, das jetzt ausgebrannt ist. Es ist damals etwas ganz Besonderes, denn die Mühle wird nicht von Wind- oder Wasserkraft angetrieben, sondern – nach englischem Vorbild und erstmals in Mannheim – von einer Dampfmaschine. Erste Mannheimer Dampfmühle Ed. Kauffmann & Söhne lautet daher der Firmenname.

Die Planung übernehmen, so Marchivum-Fachmann Andreas Schenk, Hans Bittinger aus Regensburg für den Ingenieurbau sowie die Mannheimer Architekten Philipp Jelmoil und Karl Blatt. Sie entwerfen ein sechsgeschossiges Gebäude und auf der anderen Seite der Hafenstraße, zum Verbindungskanal hin, eine zweigeschossige Lagerhalle. Dazwischen führt, über die Straße hinweg, ein Steg mit Förderband.

Der Abriss läuft: Von der alten Kauffmannmühle sind am Montag nur noch wenige Reste zu sehen. © Stefanie Ball

Schenk spricht von einem „charakteristischen Beispiel industriellen Bauens des 19. Jahrhunderts“. Das überwiegende Material seien einfache Backsteine, damals ein kostengünstiges, widerstandsfähiges und leicht zu verarbeitendes Material. Die „relativ schlichte Gestaltung der Fassade“, so der Marchivum-Bauexperte, sei „teils funktional, teils finanziell bedingt“ gewesen. Aber „trotz aller Pragmatik“ wäre „der Ansatz zu einer repräsentativen baukünstlerischen“ Gestaltung erkennbar, verweist Schenk auf rote Gliederungen der sonst gelben Backsteinfront, eine Attika und zinnenförmige Verzierungen am Magazin. Derartigen „neuromantischen Stil“, wie er es nennt, treffe man oft im Hafen an, weil er „Eindruck erzeugt, aber doch nicht übertrieben dekorativ wirkt“, erklärt der Experte.

Mannheim ist in jenen Jahren Endpunkt der Rheinschifffahrt. Die Wirtschaft floriert, die Stadt wächst. Nach kurzer Zeit wird daher in der Hafenstraße wieder groß gebaut. 1904 gibt die Firma die Erbsenschälerei und Graupenproduktion auf, setzt allein auf Weizen. Dafür wächst 1905 das Lagerhaus auf der Seite zum Verbindungskanal hin durch ein Silo und ein weiteres Magazin. Der 30 Meter hohe Mittelturm, durch Pilaster und Blendbögen gegliedert, fasst 70 000 Zentner und sei, so Schenk, ein „stattliches Wahrzeichen des Mühlenbetriebs“ gewesen.

30 Meter hohe Flammen schlagen aus der Mühle

Nachdem zwei Brüder schon früher ausscheiden, führt Friedrich Kauffmann das Unternehmen allein, ab 1900 mit seinem Sohn Otto. Der verkauft seinen Anteil 1918 an die Pfälzischen Mühlenwerke. Den Zweiten Weltkrieg überlebt die Mühle, trotz vieler Bombenabwürfe auf den Hafen, zwar relativ unbeschadet. Aber 1960 endet der Mühlenbetrieb, weil „Überkapazitäten abgebaut“ werden müssten, wie es heißt. Dann wird das Anwesen zwar teilweise vermietet, aber „lange Zeit vernachlässigt“, wie Andreas Schenk bedauert.

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1982 macht schon einmal ein Großbrand Schlagzeilen, es ist vom „größten Schadensfeuer der letzten Jahre“ und Millionenschaden die Rede. Über 30 Meter hohe Flammen schlagen aus einer der Lagerhallen am Fuße des Silos, wo Dämm- und Baumaterialien lagern und Räume einer Firma für Antennenanlagen sind. Das Silogebäude, das noch 5000 Tonnen Weizen und Roggen enthält, kann die Feuerwehr ebenso wie andere Lagerhallen zwar retten – aber der älteste, von der Gründungsphase der Mühle stammende Teil brennt aus. Zunächst bleibt die – erhaltene – Außenfassade stehen, aber sie wird 1983 abgerissen.

Der Steg über die Hafenstraße zwischen Lager und Verwaltung, hier auf einem Foto aus den 1950er Jahren, wurde 1983 abgerissen. © Marchivum

Zwischen 1987 und 1989 soll die damals gerade mal fünf Jahre alte Privatuniversität von Witten/Herdecke nach Mannheim umziehen – unter anderem in die Kauffmannmühle. Der langjährige Universitätspräsident Konrad Schily, erst SPD- und dann FDP-Politiker, propagiert diesen Umzug vor allem der naturwissenschaftlich-technischen Fakultäten, und auch der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth befürwortet ihn. Doch die Finanzierung scheitert, weil Spenden der Industrie nicht wie geplant fließen.

Getreidesilos werden umgebaut

Erst 1995 wird der Komplex unter Denkmalschutz gestellt. Kurz zuvor, Ende 1994, kauft der Projektentwickler Reinhard Suhl die Gebäude beidseits der Hafenstraße von den Pfälzischen Mühlenwerken. Die zunächst von Suhl 2001 präsentierten Pläne für ein „Zunftviertel“ mit Handwerkern und Künstlern werden aber nie realisiert. Stattdessen entstehen ab 2013 in den zweistöckigen Lagerhallen, ab 2017 im Getreidesilo Eigentumswohnungen und Lofts. Gegenüber, wo es nun gebrannt hat, gibt es ebenso Pläne für Wohnungen. Aber nun ist „durch den furchtbaren Brand wohl ein weiteres bedeutendes Industriedenkmal verloren gegangen“, bedauert der Verein Rhein Neckar Industriekultur.

Redaktion Chefreporter

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