Stadtsynode - Das Evangelische Dekanat in Mannheim muss aus Kostengründen etwa ein Drittel seiner Kirchen aufgeben – aber welche?

Das soll mit den Kirchen in Mannheim passieren

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
Auf der Vorschlagsliste der Kirchen, die aufgegeben werden sollen: die Lutherkirche in der Neckarstadt. © Thomas Tröster

Mannheim. Man spürt, dass es ihm nicht leicht fällt, darüber zu sprechen. „Schmerzhaft“ – dieses Wort fällt bei Dekan Ralph Hartmann mehrfach, wenn es darum geht, über Kirchenschließungen zu sprechen. „Ich weiß, dass das Wahnsinnsschmerzen erzeugt“, ist er sich bewusst. An anderer Stelle sagt er: „Das tut weh!“ Und man habe sich den Weg nicht einfach gemacht, unterstreicht mehrfach Ralf Daum, seit Juli 2020 der Vorsitzende der Stadtsynode, also des aus mehr als 100 Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen bestehenden Kirchenparlaments, das am Freitag und Samstag tagt und dem dann die letzte Entscheidung obliegt.

Etwa 62 500 evangelische Christen gibt es derzeit in Mannheim. 32 Gotteshäuser betreibt das Dekanat, und gerade in der Wirtschaftswunder-Zeit nach dem Zweien Weltkrieg kamen viele dazu. „Sie sind aber für eine viel höhere Zahl an Mitgliedern ausgelegt“, sagt Ralph Hartmann. So entfielen 1968 auf ein Kirchengebäude rein statistisch 4605 Mitglieder, 2019 waren es noch 2080, für 2032 liegt die Prognose bei 1319 und für 2040 bei 940. Das liegt nicht nur an der steigenden Zahl an Kirchenaustritten, sondern auch an der demografischen Entwicklung – sprich der abnehmenden Bevölkerung.

Hoher Sanierungsstau

Das bedeutet sinkende Einnahmen aus Kirchensteuern – bei steigenden Kosten für Energie und für Bauunterhaltung, immer schärferen Auflagen für Barrierefreiheit, Brand- und Denkmalschutz. Hinzu kommt ein Sanierungsstau, der sich nach Berechnungen des Dekanats bis 2025 auf 22 Millionen Euro beläuft, die aktuellen Baupreissteigerungen noch gar nicht eingerechnet. Das Budget betrage indes nur sieben Millionen Euro, die nötige Summe übersteige es also „um ein Vielfaches“, so Hartmann.

Ziel ist mindestens eine kirchliche Präsenz in jedem Stadtbezirk.
Dekan Ralph Hartmann

Daher bleibe der Kirche gar nichts anderes übrig, als sich an die gesellschaftliche Entwicklung anzupassen und den Gebäudebestand zu reduzieren. Ziel sei, „mindestens eine kirchliche Präsenz in jedem Stadtbezirk, die das gemeindliche Leben ermöglicht“, so Hartmann, aber zugleich höchstens eine. Jede der sieben Regionen, in die das Dekanat eingeteilt ist, müsse mindestens einen Beitrag zum Einsparziel leisten, also auf ein Gebäude verzichten.

„Wenn wir es nicht schon lange angegangen wären, müssten wir es spätestens jetzt machen“, verweist der Dekan darauf, dass die Landessynode der Evangelischen Kirche in Baden gerade einen Beschluss gefasst hat. Er sieht vor, dass die Dekanate einen Gebäudeplan nach einer „Ampel“ erarbeiten müssen, wonach 30 Prozent der Kirchen „grün“ sind, also dauerhaft bleiben, ebenso 30 Prozent rot, also aufgegeben werden, und weitere 40 Prozent gelb – sprich nur mit geringem Aufwand erhalten werden. Das ist Teil eines Prozesses, der auch Personaleinsparungen bei Pfarrern und anderen Mitarbeitern beinhaltet.

Vorschlagsliste für die Stadtsynode

  • Kategorie A: bedeutet langfristige Finanzierung aus Kirchensteuermitteln und möglichst Mordernisierung von Klima, Technik und vielseitiger Nutzbarkeit: Christuskirche Oststadt, Konkordienkirche Innenstadt, Auferstehungskirche Gartenstadt, Erlöserkirche Seckenheim, Versöhnungskirhche Rheinau, Dreifaltigkeitskirche Sandhofen, Jahonniskirche Lindenhof, Matthäuskirche Neckarau, Johanneskirche Feudenheim, Petruskirche Wallstadt, Melanchthonkirche Neckarstadt, Philippus- oder Union Käfertal
  • Kategorie B: Finanzierung von Reparaturen aus Kirchensteuermitteln, alternative Finanzierung aus privaten und öffentlichen Mitteln durch Nutzungserweiterungen oder Umnutzen sind möglich und wünschenswert: Friedenskirche Schwetzingerstadt, Gnadenkirche Gartenstadt, J-Calvin-Kirche Friedrichsfeld, Pfingstbergkirche Rheinau, Emmauskirche Schönau, Markuskirche Neckarau, Gemeindezentrum Vogelstang, Paul-Gerhardt-Kirche Neckarstadt (bis Bau neues Gemeindehaus Melanchthon, dann C)
  • Kategorie C: keine Finanzierung mehr aus Kirchensteuermitteln, alternativer Unterhalt aus privaten und/oder öffentlichen Mitteln durch Umnutzung oder Nutzungserweiterung sind möglich und müssen alsbald gefunden werden. Solange keine sicherheitsrelevanten Mängel auftreten, bleiben die Kirchen aber geöffnet. Wenn es keine Nutzungsalternativen gibt, ist eine Aufgabe möglich: Hafenkirche Jungbusch, Pauluskirche Waldhof, Martinskirche Rheinau, Jonaskirche Blumenau, Lukaskirche Almenhof, Lutherkirche Neckarstadt, Thomaskirche Neuostheim (bereits aufgegeben zugunsten der Ökumenekirche St. Pius), Epihpaniaskirche Feudenheim (bereits als Kulturkirche genutzt), Trinitatiskirche Innenstadt (bereits als Eintanzhaus genutzt), Jakobuskirche Sandhofen (bereits als Kulturkirche PX The Dome genutzt), Philippus- oder Union Käfertal (eine davon soll langfristig erhalten, eine aufgegeben werden)

Das Thema steht dem Mannheimer Dekanat noch bevor – mit der Zukunft der Kirchen dagegen hat sich die Synode schon lange befasst. Bereits im November 2019 fiel der Beschluss, einen Baustopp zu verhängen – als eine Prognose zeigte, wie stark die Kirchensteuereinnahmen sinken werden. Im Mai 2020 entschied die Synode dann, einen Kirchenmasterplan zu erarbeiten. Eine achtköpfige Steuerungsgruppe sollte die Kriterien erarbeiten, nach denen jedes Gebäude bewertet und über seine Zukunft beraten wird.

Mehr zum Thema

Kommentar Schließung von Kirchen: traurig, aber wahr

Veröffentlicht
Kommentar von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Das dauerte mehr als ein Jahr. Jede Kirche wurde daraufhin untersucht, wie hoch die laufenden Kosten und der Sanierungsbedarf sind, aber auch der „Gebrauchswert“ aus kirchlicher Sicht. Dazu zählt, wie viele verschiedene Gottesdienste es dort gibt, wie sie frequentiert sind, ob es eine ökumenische oder multifunktionale Nutzung gibt oder ob diese künftig möglich ist. Von der Infrastruktur (Toiletten, barrierefrei) und Erreichbarkeit mit dem Öffentlichen Personennahverkehr über den Abstand zur nächsten evangelischen Einrichtung bis hin zum Identifikationswert und der baukulturellen Bedeutung reicht der Katalog.

Dies alles sei mit einem „immensen Aufwand“ verbunden gewesen, so der Synodenvorsitzende Ralf Daum. Früher stellvertretender Leiter des Rechnungsprüfungsamts der Stadt Mannheim und nun Studiengangsleiter Öffentliche Wirtschaft an der Dualen Hochschule, ist er einerseits ein Mann der Zahlen und weiß, „dass dieser Prozess unabdingbar ist“. Andererseits ist er fest in der Kirche verwurzelt, seit 1980 aktiv in der Posaunenarbeit und 18 Jahre Kirchenältester der Paul-Gerhardt-Gemeinde. Daher war ihm von Beginn an wichtig, das „maximal offen zu gestalten“, wie er betont. Man habe das „nicht aus dem hohlen Bauch“ gemacht, Experten und die Basis einbezogen. „Wir haben auch den Prozess selbst zur Diskussion gestellt und sind bewusst den Weg gegangen, ganz breit zu diskutieren und alle mitzunehmen – weil wir wissen, dass es wehtut“, so Daum: „Ein Mehr an Beteiligung geht nicht!“

Wir sind bewusst den Weg gegangen, ganz breit zu diskutieren.
Synodenvorsitzender Ralf Daum

Daher werde jetzt auch keiner von der Liste, die das Dekanatsleitungsteam der Synode unterbreitet, überrascht. Vielmehr machte die Steuerungsgruppe in den zurückliegenden Monaten eine „Tour de Region“ und diskutierte mit den Ältestenkreisen aller Regionen den Entwurf, ehe ihn der Stadtkirchenrat – zehn Ehrenamtliche und acht Hauptberufliche – als Vorschlag für die Synode beschlossen hat. Hartmann räumt ein, dass die Liste „an die Substanz“ geht. Man wolle weiter „nah bei den Menschen“ sein, aber könne einfach „nicht mehr so viele Orte bespielen“. So wichtig und wertvoll Kirchen seien, so stellten sie doch „keine heiligen Räume“ dar, sondern seien weiter das Werk von Menschen – und damit vorläufig und endlich.

Über einen möglichen Abriss spricht der Dekan dennoch nicht so gerne. Man könne „diese Option aber im absoluten Notfall nicht ausschließen“, formuliert er vorsichtig. Werde eine Kirche in die Kategorie C eingeordnet, „bedeutet das nicht, dass wir sie am Montag abschließen“. Es bedeute „nur das Signal, dass aus Kirchensteuermitteln keine Gelder zur Bauunterhaltung mehr fließen und wir zeitnah Alternativen brauchen“, so Hartmann. „Manche sind in einem Zustand, dass man sie noch zehn Jahre nutzen kann, manche aber auch kritisch“, räumt er ein.

Ökumenische Nutzung

Dass 13 Gotteshäuser in diese Kategorie fallen, nennt er „bei allem Schmerz aber auch ehrlich“ – sie seien eben nicht mehr tragbar. Man hoffe jetzt, dass es gelinge, „andere Akteure reinzuholen“, die dann das Gebäude mitfinanzieren. Auch ein Verkauf komme in Frage. Immer im Hinterkopf sei die Hoffnung, dass man eine Lösung wie in Feudenheim bei der Epiphaniaskirche finde, die schon 2014 aufgegeben und abgerissen werden sollte, aber dank eines Fördervereins und einer Millionenspende des inzwischen verstorbenen Teppichkaufmanns, Mäzens und Bloomauls Horst Engelhardt als Kulturkirche weiterlebt. Solch ein Engagement vor Ort sei ausdrücklich erwünscht, sagt Hartmann, aber natürlich „der Idealfall“.

Auch die Ökumenekirche in Neuostheim, die von beiden Konfessionen genutzt wird, bezeichnet der Dekan als „Blaupause“. Er kann sich das ebenso in anderen Stadtteilen vorstellen. Man habe sich auch mal mit Vertretern des katholischen Stadtdekanats, wo ja ebenso ein Prozess zur Umstrukturierung läuft, getroffen und die Planungen „übereinandergelegt“, so Daum.

Wenn die Synode die Vorschlagsliste jetzt beschließt, folgt im Sommer ein weiterer Prozess – zu den Gemeindehäusern, von denen auch einige aufgegeben werden müssen. Daum hofft indes, dass damit die „unangenehmen Aufgaben“ für die ehrenamtlichen Mitglieder des Gremiums zunächst mal erledigt sind, „zumindest für zehn, 15 Jahre“, und man sich wieder inhaltlichen Themen widmen könne.

Redaktion Chefreporter

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen