Pandemie

Covid-19 überlebt und jetzt? Neue Mannheimer Selbsthilfe zwischen Rat und Verzweiflung

Von Koma bis Reha, von Würgereiz bei Handseife bis hin zum Zusammenbruch nach dem Essen: Die Krankheit ist vorbei, aber die Beschwerden bleiben. Oder treten erst neu auf. Eine Reportage in der Post-Covid-Selbsthilfe Mannheim.

Von 
Lea Seethaler
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Wie wichtig miteinander sprechen über mitunter traumatische Erlebnisse oder unsichtbare Leiden ist, wird in dem Gruppentreffen deutlich. (Symbolbild) © ISTOCK

Als Frank Plep in der Post-Covid-Selbsthilfe spricht, kann er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. „Als ich den Arzt fragte, kann mir einmal jemand was Gutes zu Corona und Post-Covid sagen?“, sei sein Doktor aufgestanden, berichtet Plep. Er sei zu ihm gegangen und habe ihn in den Arm genommen. „Sie haben überlebt“, war, was er sagte. Plep schluchzt. In der Selbsthilfe sagt eine junge Frau „Oh Gott“ und schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Die anderen Gäste schauen mit leeren Blicken in die Kameras des Online-Treffens. Es sieht so aus, als ob ihre Augen glänzen.

Die Mannheimer Gruppe trifft sich an diesem Tag zum dritten Mal. Eine neue Teilnehmerin ist dabei. Und Bettina Brandeis vom Gesundheitstreffpunkt, der alles organisiert. Sie richtet einen Gruß aus: „Ich soll euch grüßen von einem Teilnehmer. Ich denke, ihr wisst, wen ich meine. Er kann leider heute wegen seiner Verfassung nicht dabei sein“, sagt Brandeis und senkt ihre Stimme ab. Die Post-Covid-Beschwerden ließen es nicht zu, dass er teilnimmt, erläutert sie. Die Gruppengäste nicken.

„Warum eigentlich ich?“

„Hi ich bin der Opa Alex“, sagt Alexander Schilling. Es gibt für die neu Anwesende noch mal eine Vorstellungsrunde. Der Schwetzinger Schilling hat sich Corona beim Geburtstag seines Enkels gefangen. Deshalb bezeichnet er sich selbst als „Opa Alex“. „Es ist oft so, dass ich mich frage ,Warum ich’?’“, erzählt er. „In meinem Umfeld waren so viele erkrankt, aber alle haben es einigermaßen gut überstanden.“ Diesen Satz wiederholt er mehrfach beim Treffen. Es belastet ihn. Das spürt man. Doch hier in der Selbsthilfe ist er nicht allein. Alle Besucher an diesem Tag leiden noch stark an den Virusfolgen, sie eint die Diagnose. Die Erkrankung ist vorbei, die Beschwerden aber bleiben: Fachbegriff Post-Covid.

Auch „Opa Alex“ leidet noch an den Lungenschäden. Leistungsniveau von früher? War einmal, sagt er. Akut erkrankt musste er erleben, wie seine Sauerstoffsättigung in den Keller rutschte. Wie sein Herz aussetzte. Und wie er am Krankenhaus abgewiesen wurde. Weil man keinen Platz für ihn hatte. Das war im Winter 2020. Unfreiwillig denkt man bei seinen Schilderungen an die jetzige Situation auf den Stationen.

Eine Impfung war damals noch in weiter Ferne. Auch bei Lisa Knapp aus Heidelberg (Name von der Redaktion geändert). Sie bekam im März 2020 Corona. Auf einer Dienstreise infizierte sie sich. „Ich fühlte mich fit. War zwei Wochen danach wieder joggen“, berichtet sie. Sie hatte etwa eine Woche grippale Symptome. „Ich dachte, es sei rum.“ Doch dann kommt Post-Covid auch in ihr Leben.

Kontakt zur Post-Covid-Selbsthilfegruppe

  • Die Mannheimer Selbsthilfegruppe am Gesundheitstreffpunkt trifft sich ab Januar jeden 1. und 3. Donnerstag von 17.30 bis 19.30 Uhr. Der Ort wird nicht genannt, den können die Menschen bei Binia Philipp erfragen. Bei ihr können sie sich auch anmelden unter Tel. 0151/41266759.
  • Rund 40 Prozent der mit dem Coronavirus Infizierten haben laut einer Mainzer Studie Long-Covid-artige Symptome. Viele hatten Covid, ohne es zu merken. Viele der zahlreichen Symptome „ohne klares klinisches Muster“ seien Abgeschlagenheit, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Gedächtnisstörungen, Atmennot/Kurzatmigkeit und Schlafstörungen, Gelenkschmerzen und Stimmungsschwankungen.
  • „Es ist aber falsch zu sagen, das Krankheitsbild Long-Covid gibt es nicht“, betonte der Wissenschaftliche Vorstand der Universitätsmedizin Mainz.
  • Diese Ergebnisse zeigten vielmehr, wie wenig spezifisch das Krankheitsbild sei und wie groß der Forschungsbedarf. „Das ist möglicherweise auch Ausdruck der Situation der Belastung“, hieß es weiter. 

Knockout nach Hartkäse und Co.

„Es ist so, dass ich starke Probleme mit dem Essen habe. Die Ärzte sagen, mein Körper schüttet seit Corona zu viele Zytokine und Histamin aus“, beschreibt die junge Frau. Sie spricht leise, sehr ruhig. Im Licht des Videobilds wirkt sie schmal. Die Gruppenmitglieder hören ihr gebannt zu. Zytokine sind entzündungsfördernde Stoffe. Histamin ist ein Botenstoff, der bei Intoleranz starke Nebenwirkungen hervorruft. Immer dann, wenn histaminreiches Essen wie etwa Hartkäse oder Tomaten gegessen wird.

Knapp beschreibt, dass bei den Untersuchungen herauskam, dass sie seit Covid-19 eine Imunzellenüberreaktion hat. „Esse ich was ,Falsches’, bekomme ich wochenlang Kopfschmerzen, hab’ starkes Herzrasen. Oft muss ich mich dann sofort hinlegen“, sagt sie.

„Wenn ich nicht faste, geht es mir schlecht“, erklärt sie weiter. Sie beschreibt, wie es ihr „letztens so gereicht“ hat mit histaminarmem Essen und Verzicht. In der Schattierung im Videobild ist eine leicht wütende Mimik zu erkennen. „Da bin ich mit meinem Freund ins Restaurant und habe einfach normal gegesen.“ Die Quittung aber kam prompt. In Form eines Rückschlags. Sie sei zurück in die dunkelste Zeit ihrer Post-Covid-Erkrankung gefallen. „Es gab Monate, in denen ich nicht mehr aufstehen konnte, ich hatte jeden Abend das Gefühl, dass ich wieder Grippe kriege. Ich habe es gerade so vom Bett hochgeschafft am Tag. Das war’s.“ Und nach dem einmaligen „anders Essen“ melden sich nun auch Dauerkopfschmerzen und Luftnot zurück.

Binia Philipp, die die Gruppe managt, meldet sich: „Lisa, du kannst ja ganzen Tag an nichts anderes denken als Post-Covid, oder? Kannst morgens nicht aufstehen, kannst nichts essen, nicht raus in den Tag. Gibt es denn irgendetwas, was noch schön ist in deinem Leben?“ Knapp überlegt einige Zeit. „Ich kann kreativ sein gerade“, sagt sie und blickt sich in ihrem Zimmer um. „Ich habe gelernt damit zu leben, dass ich Post-Covid habe“, sagt sie dann leise.

Alexander Schilling sagt: „Ich glaube es ist wichtig, dass du ein Aufbautraining machst.“ Knapp nickt. Frank Plep und Binia Philipp stimmen zu. „Es ist wichtig, dir seelische und physische Unterstützung zu holen, beides ist wirklich wichtig.“ „Manchmal frage ich mich , ob das je wieder weggeht“, sagt Knapp. „Ich hab’ in meinem Leben immer viel Sport gemacht.“ Aktuell schaffe sie es gerade so zum Einkaufen. Die Corona-Wunde sitzt nicht nur in ihren Immunzellen - auch in ihrer Seele. Das merkt man ihr an.

Und auch Frank Plep aus Oftersheim trägt seit seiner Erkrankung mehr als ein gelähmtes und nach oben geknicktes Zwerchfell in seinem Körper. Seine Seele ist ebenso verletzt. Im Gegensatz zu Alexander Schilling wurde er beatmet. Er beschreibt, wie letztes Jahr für ihn als Schwererkrankter der Kontakt zur Außenwelt fast unmöglich wurde. Er wurde beatmet. Kämpfte wochenlang im Krankenhaus ums Überleben.

„Will wach sein, wenn ich sterbe“

Plep ringt erneut um Fassung, als er weiterspricht: „Ich habe gesagt, ich will nicht ins Koma. Ich will wach sein, wenn ich sterbe“, habe er die Ärzte angefleht. Und ja: Plep schafft es schließlich - und überlebt. Aber aus dem Krankenhaus kommt er so schnell nicht raus. Zu schlecht ist sein Zustand. Ganze sechs Wochen lang wird er nach der Akutphase noch positiv getestet - bis seine Nase blutig von Teststäbchen ist, berichtet er.

„Irgendwann nach den langen Wochen habe ich es irgendwie geschafft meinem Mann zu sagen, dass ich aus dem Krankenhausbett ein Parkhaus sehe“, sagt Plep. Seine Stimme wird wieder zittrig. „Ja und dann ist er da hingekommen. Er hat es gefunden.“ Pleps Stimme ist vor dem Überschlag. „Und so haben wir uns dann sehen können. Durch das Fenster. Ganz weit weg.“ Plep wirkt, als würde er zusammenbrechen. „Die ganzen Verlegungen haben meinen Körper und meine Seele mitgenommen, sie haben mir geschadet“, sagt Plep heute. „Dass ich gefleht habe, dass ich nicht ins Koma will, darüber bin ich rückblickend so froh, dass ich das gemacht habe.“ Die Gruppe folgt seien Schilderungen mit aufgerissenen Augen.

Auch Plep bekommt in Echtzeit mit, wie Sanitäter sagen, nachdem er unter Erstickungsangst ins Krankenhaus eingeliefert wird: „Hier ist voll.“ - „Hier auch.“ „Ja was, soll ich ihn auf dem Parkplatz stehen lassen?“ Plep hat sich insbesondere eingebrannt, wie alleine er trotz Pflegenden war, die taten, was sie konnten. „Und wenn dann die Leute, die sich am Bett um mich gekümmert haben, mal gesagt haben: ,Mensch was ist denn das für ein Wetter da draußen’ dann war das ein Lichtblick für mich nach draußen. Ich wusste dann wieder, dass es dort noch was gibt“, sagt er.

„Da zieht dir jemand den Stecker“

Auch bei Plep geht es seitdem nur langsam voran. Die alte Form und Lungenkapazität von früher sind nicht in Sicht. Schilling und Plep unterhalten sich über ihre Erfahrungen in ihrer Reha. Bei dem einen schlägt sie gut an. Bei dem anderen eher mäßig. Auch Lisa Knapp fragt nun interessiert nach. Sie wurde zwar mit ihren spezifischen Problemen an die Charité verwiesen. Doch die sei übervoll. „Ich würde nichts lieber machen, als arbeiten zu gehen“, sagt Knapp und fragt nach Reha-Empfehlungen der beiden.

„15 Minuten Fahrradfahren ist für mich gut“, hört man aus den Dreigespräch heraus. Knapp ist beim Thema Leistungsaufbau vorsichtig, deutet sie an. Sie will zwar. Aber sie hat Angst, schon bei kleinen Anstrengungen: „Ich falle vielleicht wieder zurück“, sagt sie. „Wie damals, nach dem Essen“, fügt sie hinzu. „Es ist ein Herantasten“, sagt Schilling verständnisvoll zu ihr. Knapp nickt. „Ich kann mitfühlen bei den 15 Minuten Fahrrad“, so Schilling. Das Gefühl, „dass mittendrin die Luft weg ist“ kennt er - und es macht ihm Angst. „Letztens beim Schwimmen“, beschreibt Schilling, „war die Luft und die Leistung weg - da zieht dir jemand den Stecker“ Er habe sich dann auf den Rücken gedreht und zum Beckenrand treiben lassen, erzählt er.

Es ist insbesondere der Austausch, was hier in der Gruppe helfe, beschreibt Schilling dann. Mit Leuten, die solche Erfahrungen im Alltag kennen. Und das daraus resultierende Wissen, dass man nicht allein sei. „Gerade wenn man Beschwerden hat die keiner sieht“, ergänzt Plep. „Es stärkt dich“, sagt er über die Treffen der Selbsthilfegruppe.

Das Leben riecht nach Schimmel

Von Beschwerden, die keiner sieht, kann die Mannheimerin Binia Philipp ein Lied singen. Sie erkrankt wie die anderen im Winter 2020. Nachdem sie mit Sauerstoffbrille im Krankenhaus saß, einen starken Verlauf „ähnlich wie bei einer schlimmen Grippe“ hatte, wird sie wieder gesund. Denkt sie. Doch Ende März kann sie plötzlich ganz viele Dinge nicht mehr schmecken. „Metallisch, nach nasser Wäsche, schimmlig - einfach eklig, gammlig“, schmeckt und riecht alles, beschreibt Philipp. „Wenn ich in der Stadt gelaufen bin, konnte ich die Gerüche von den Parfüms der Vorbeigehenden nicht mehr aushalten“, so Philipp. Ihrem Mann sagt sie: „Leg’ dein Deo weg, auch dein Parfüm, es geht nicht mehr.“ Bis heute findet sie die Flüssigseifen von einer Drogerie „ganz schrecklich“ und muss würgen.

Philipp macht sich selbst auf den Weg zu Experten der Riech- und Schmeckambulanz Dresden. Denn ihr Problem rückte damals erst langsam in den Fokus von Ärzten und Wissenschaft, erzählt sie. Man merkt an ihren Ausführungen, dass sie diejenige war und immer noch ist, die aktiv für die Lösung ihres Problems kämpft. Die Versorgungsinfrastruktur beim neuen Leiden Post-Covid: Noch lange nicht perfekt. Bei der Ambulanz sagt man ihr erstmals, was das Problem bei ihr ist: Ihre Geschmacks- und Riechzellen sind größtenteils durch das Virus vernichtet. Abgestorben. Parallel kamen aber bereits neue nach. „Dazu noch ein Hirn, das weiß, wie eine Erdbeere zu schmecken hat, wenn es sie sieht“ - und das alles resultiert dann in den Geschmäckern, die sie wahrnimmt.

Philipp weiß jetzt zwar ungefähr was los ist, aber es ist eine eingeschränkte Lebensqualität, die sie die Selbsthilfe aufsuchen lässt. Vor allem nachdem ihr mit ihrem akuten Problem in der Post-Covid-Ambulanz des Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit erst für 2022 ein Termin angeboten werden kann. Sie weiß, wie wichtig das Gespräch für den Austausch ist. „Apfel riech’ ich, Apfelsaft immer noch nicht“, resümiert sie. Auch Kaffee verträgt Philipp nicht mehr. Sie interessiert sich daher noch mal für das, was Lisa Knapp eingangs sagte. „Ja, genau. Kaffee geht bei mir auch nicht mehr“, bestätigt Knapp. Sie erklärt, dass es auch am Histamin läge. Philipp nickt interessiert und saugt die Info von Knapp förmlich auf. Ob im Netz, bei Ärzten, in Publikationen oder hier - auf der Suche nach Besserung greift die Gruppe nach jeder Hilfe. Was alle eint: Nach der Impfung wird ihr Zustand besser. Sie machen "einen Schuss nach oben". Was sie zu Impfgegnern und „Querdenkern“ auf der Straße sagen? „Dazu fällt mir nichts mehr ein“, sagt Schilling.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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