Sicherheit

Chemieunfall im Mannheimer Hafen: So reagieren andere Städte im Katastrophenfall

Während die Stadt Mannheim bereits ein flächendeckendes Sirenennetz hat, baut Leverkusen dieses nach einer Explosion erst aus. Frankfurt warnt bei Gefahr indes auch über Displays. Ist das auch in Mannheim möglich?

Von 
Sebastian Koch
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Verheerende Explosion: Am 27. Juli 2021 sind bei einem Chemieunfall im Chempark Leverkusen sieben Menschen gestorben. © dpa

Mannheim. Die Explosion ist kilometerweit zu hören. Eine Rauchwolke steigt gen Himmel. 300 Einsatzkräfte treffen am Unfallort ein - am Ende aber fordert der Chemieunfall sieben Tote. 31 Menschen werden außerdem verletzt, fünf davon lebensgefährlich. Als am 27. Juli 2021 im Entsorgungszentrum des Chempark Leverkusen drei Tanks in Brand geraten, sind die Detonationen der flüssigen Produktionsabfälle nicht nur im gesamten Stadtgebiet, sondern auch noch im etwa 15 Kilometer entfernten Bergisch Gladbach zu spüren.

Der Chemieunfall ist weitaus schlimmer als jener, der sich am 23. August im Mannheimer Handelshafen ereignet hat und bei dem sich 17 Menschen verletzt haben. Wie bereiten aber andere Chemiestandorte die Bevölkerung auf Gefahren vor - und wie funktioniert die Warnung im Notfall?

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Wie die Stadt Mannheim setzt auch Leverkusen im Falle einer Gefahr zur Warnung auf ein Sirenennetz. Der Unfall im vergangenen Jahr hätte „politisch ziemliche Wellen geschlagen und Druck gemacht“, erklärt Martin Fricke, der bei der Feuerwehr Leverkusen die Leitung Einsatzplanung und -vorbereitung innehat. Das Sirenennetz soll nun auf die gesamte Stadt ausgeweitet werden - in Mannheim ist das schon der Fall. Der Sirenenalarm werde in Leverkusen häufig geprobt. „Wir machen das einmal im Quartal“, sagt Fricke. „Ob die Bevölkerung aber weiß, was bei Sirenenalarm zu tun, ist eine andere Sache.“ Er fürchtet: „Wenn man fragen würde, was zu tun ist, würde wohl auch nur ein Bruchteil die richtige Antwort geben.“ Wirklich zufrieden seien die Leverkusenerinnen und Leverkusener an jenem 27. Juli mit den Warnungen nicht gewesen, erinnert sich Fricke. „Sie haben gesagt, sie hätten die Wolke gesehen, die in ihre Richtung gezogen ist, aber nicht gewusst, was man hätte machen sollen, weil zu spät gewarnt worden sei.“

Wie funktionert die Prävention?

Auch als die Stadt Mannheim nach dem Austritt von chemischem Gefahrgut in angrenzenden Stadtteilen Sirenenalarm auslöste, blieben Teile der Bevölkerung in Außenbereichen von Restaurants sitzen oder an der Neckarwiese liegen. „Das kurze Aufheulen der Sirenen von etwa einer Minute haben Teile der Bevölkerung entweder nicht wahrgenommen oder sie wussten nichts damit anzufangen“, erklärte wenige Tage später etwa Li.Par.Tie-Fraktionschef Dennis Ulas. FDP/MfM-Fraktionschefin Birgit Reinemund sagte: „Die Sirenen haben funktioniert, doch die Menschen wussten wenig damit anzufangen.“ Fricke erklärt: „Sirenen signalisieren im Prinzip nur ,Pass auf, da ist irgendwas. Mach dich schlau.’“

Wie Mannheim informierte Leverkusen bei Gefahr über Warnapps. Zudem seien Informationen über den Lokalsender Radio Leverkusen gesendet worden. „Wir haben inzwischen eine Rufbereitschaft eingerichtet, so dass wir im Notfall Redakteure auch nachts bekommen und so informieren können“, erklärt Fricke. Er meint: „Am wichtigsten sind Sirenen, Radio und Warnapps.“

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In der akuten Situation auf eine Gefahr hinzuweisen, ist das eine. Wie aber schaut die Prävention aus - und welche Lehren zieht Fricke aus dem Unfall, der sich vor mehr als einem Jahr ereignet hat? „Der Katastrophenschutz ist lange Jahre runtergefahren worden - das muss wieder rückgängig gemacht werden.“ Man müsse mit der Bevölkerung einen Dialog schaffen und „daran arbeiten, dass die Bevölkerung selbsthilfefähig ist“. Er sagt: „Wir müssen den Bereich der Warnung und Information der Bevölkerung besser unterfüttern.“ Im Zuge dessen könnten sich Leverkusener und Leverkusenerinnen etwa auf der Webseite der Stadt die unterschiedlichen Sirenensignale anhören. „Viele Dinge kommen auch erst in Bewegung, wenn man sich der Gefahr durch Ereignisse bewusst wird - und dann ist es die Kunst, diese Welle lange aufrechtzuerhalten.“ Fricke appelliert allerdings auch: „Je besser sich die Bevölkerung präventiv informiert, desto einfacher wird unsere Arbeit bei der Gefahrenabwehr.“

Digitale Wanrmeldungen erreichen nicht viele Leute

In direkter Nachbarschaft von Chemie- und Industrieparks - dem Industriepark Höchst und der Cassella Farbwerke Mainkur - befindet sich Frankfurt. Für die dortige Feuerwehr spielen bei Gefahr Warnapps ebenfalls eine zentrale Rolle für den „Weckeffekt“, sagt Sprecher Thorsten Brückner. Auch würden Warnungen über Radio, etwa über den Hessischen Rundfunk oder „einzelne private Sender“, erfolgen. Ein flächendeckendes Sirenennetz habe Frankfurt nicht. „Wir können über ein modulares Warnsystem etwa 290 digitale Anzeigetafeln an Knotenpunkten wie dem Hauptbahnhof oder an U-Bahnstationen ansteuern, um darüber Informationen an die Bevölkerung weiterzugeben.“

Gegenüber der Neckarwiese befindet sich das MVV-Hochhaus - wäre eine Warnung über den dortigen Screen möglich gewesen? „Das Display auf dem Hochhaus kann für akute Schadenslagen zur Bevölkerungswarnung nicht genutzt werden, da die Vorlaufzeit zu lang und folglich eine Ad-hoc-Bespielung nicht möglich wäre“, teilt die Stadt Mannheim auf Anfrage mit.

Generell sei es möglich, „einzelne Informationstafeln im Stadtgebiet“ anzusteuern. Bei einem Test mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sei aber festgestellt worden, „dass nur rund ein Drittel der in der Innenstadt befragten Personen die Warnmeldung auf den digitalen Stadtinformationstafeln bemerkte“. Zwei Drittel seien „erst durch einen zusätzlichen Hinweis des Forschungsteams auf die Meldung aufmerksam“ geworden. „Vorläufig bleibt festzuhalten, dass die Wirksamkeit der Warnung über Displays oder Informationstafeln nicht so hoch war wie erwünscht“, teilt die Stadt mit. „Deshalb kam die Nutzung der Displays auch beim Einsatz im Mühlauhafen nicht zum Tragen.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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