Mannheim. Wenigstens der „Glockenhorst“ ist Birgit Loewer-Hirsch diesmal erspart geblieben. Als die Behinderten-Beauftragte des SV Waldhof beim jüngsten Drittliga-Heimspiel gegen Essen die Rollstuhlfahrer begleitete, fehlte der frühere Boxer. Im Ruhrgebiet gilt er als Kult. Internetvideos zeigen ihn etwa, wie er Polizisten sehr derbe beschimpft.
Die jetzt mitgekommenen Gästefans, die Loewer-Hirsch betreute, lobt sie als sehr nett. Von ihnen habe sie über die neuen Rollstuhlfahrer-Plätze im Carl-Benz-Stadion Überraschendes gehört: „Die haben denen gefallen!“ So habe sich ein junger Mann gefreut, dass das Plexiglasdach nicht nur vor Regen, sondern auch vor Bierbechern schütze.
Ärger über Rollstuhl-Plätze: Fan will Dauerkarte zurückgeben
Becher werden auch in Mannheim ab und an geworfen. Aber so gut wie nie von der Haupttribüne, auf der die teuersten Sitzplätze sind. Und erst recht nicht auf Rollstuhlfahrer. Vermutlich sei das in Essen anders, sagt Tobias Stahl, als er von den Worten jenes Fans hört. Unter den nicht wenigen Stadien, die er kenne - unterhalb der Ersten Liga etwa Sandhausen, Offenbach, Wiesbaden „und eine Stadt in der Westpfalz“ - seien die Rollstuhlfahrer im Carl-Benz-Stadion am schlechtesten untergebracht. Nun sei es im neuen Bereich noch schlimmer geworden.
Seit 2016 ist Stahl Mitglied beim SVW. Laut seinen Schilderungen erreichte er ein Jahr später, dass es für Menschen im Rollstuhl spezielle Dauerkarten gibt. Jetzt will er seine zurückgeben, wenn sich die Situation nicht endlich bessert. Und das bezahlte Geld wieder einfordern.
Wie Stahl war auch Emilia Jilg gegen Essen nicht mehr im Stadion. „Gegen Osnabrück hat sie geweint, weil sie sich wie im Käfig gefühlt hat“, berichtet der Vater der 20-Jährigen, Bernhard Jilg. Als der Verein im vergangenen November einen Inklusionstag beging, verlas seine Tochter die Aufstellung.
Damals saßen die Rollstuhlfahrer noch direkt neben der Trainerbank. Da war die Sicht prima. Allerdings gab es keinen Schutz vor Sonne, Regen, Wind oder scharf geschossenen Bällen. Aus Sicherheitsgründen verbieten die DFB-Statuten seit Jahren Plätze am Spielfeldrand. Doch hat in Mannheim noch kein Schiedsrichter die Rollstuhlfahrer weggeschickt.
Rollstuhlfahrer wegen Plätzen im Waldhof-Stadion von OB Specht enttäuscht
Einige von ihnen fordern aber schon seit langem einen geschützten Bereich. Im März vergangenen Jahres machte sich Christian Specht, drei Monate vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister, ein Bild von der Situation und versprach Besserung.
Seinerzeit sei „die Kommunikation komplett eine andere“ gewesen, ärgert sich Stahl. Mittlerweile ist er von Specht enttäuscht. Vom Verein hätte er sich ebenfalls mehr Fürsprache gewünscht. In diesem Sommer wurden dann zwar die Rollstuhlplätze weiter nach hinten auf die Haupttribüne verlagert. Doch es stellte sich heraus, dass das neue, vor Wetter und Bällen schützende Plexiglas sehr stark die Sonne reflektiert.
Die Sonne mag in Herbst und Winter kein Problem mehr sein. Doch Stahl kritisiert auch, sie säßen so tief, dass sie nur noch etwa 60 Prozent des Spielfelds sähen. Nicht umsonst verkaufe der Verein keine Sitzplatz-Karten für die ersten Reihen. „Aber uns mutet man sie zu.“ Sie hätten nun die schlechteste Sicht im ganzen Stadion. Überdies sei die Atmosphäre zwischen Gittern bedrückend. „Ein Zuschauer hat aus Spaß gefragt, ob er uns eine Banane reinwerfen soll.“
Stadt Mannheim könnte Rollstuhlplätze im Carl-Benz-Stadion umgestalten
Laut Loewer-Hirsch sind weitere Gitter wohl jedoch die einzige verbliebene Alternative zum Plexiglas. Eigentlich hätten sie Netze wie vor der Osttribüne aufhängen wollen. Aber das habe die Polizei untersagt.
Auf Nachfrage hört sich das beim Präsidium allerdings nicht mehr so apodiktisch an. Sprecher Michael Klump teilt mit, man habe lediglich erklärt, „dass es aus polizeilicher Sicht wichtig ist, die Abtrennung zwischen Tribüne und Stadion-Innenraum zu erhalten“. Dafür seien zum Beispiel ein fester Stabmattenzaun oder jene Plexiglasscheiben geeignet. „Die Polizei ist aber auch jederzeit für andere Lösungsoptionen offen.“ Über die tatsächliche Ausgestaltung entscheide die Stadt als Stadioneignerin, seine Kollegen seien da lediglich beratend tätig.
Diese Kompromissbereitschaft wurde auf die „MM“-Anfrage hin offensichtlich vom Präsidium auch der Stadt gespiegelt. So sagt Adnan Werning, Büroleiter von Sportdezernent Ralf Eisenhauer, man wolle nun gemeinsam mit Polizei und Verein „zeitnah“ eine bessere Lösung suchen. Dabei bevorzuge die Verwaltung unverändert eine mit Netzen.
Noch aber sitzt der Frust bei manchen Betroffenen tief. „Man weiß gar nicht, auf wenn man saurer sein soll: Stadt, Polizei oder Verein“, sagt Marvin Priester. Zum Glück habe ihm sein Vater zuletzt helfen können, ihn in seinem Rollstuhl weiter oben auf der Tribüne unterzubringen. Aber bei anderen sei das nicht möglich. Würden die Probleme nicht gelöst, wolle er zwar seine Dauerkarte nicht abgeben, aber zumindest einen Teil des Geldes zurückfordern.
Über allem schwebt die unklare Zukunft des Stadions. Bis eine Sanierung oder ein Neubau fertig ist, müssen Rollstuhlfahrer wohl in jedem Fall mit einem Provisorium leben.
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