Bundesweiter Warnstreik: Ein ausgestorbener Hauptbahnhof in Mannheim

Wo sich sonst die Fahrgäste drängeln, herrscht Ruhe: Ein Rundgang durch den Mannheimer Hauptbahnhof während des Warnstreiks. Zu tun gibt es hier nicht viel - nicht mal die Taxifahrer profitieren vom Streik

Von 
Tanja Capuana
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Gähnende leere: Der Warnstreik hat den Hauptbahnhof Mannheim lahmgelegt. © Tanja Capuana-Parisi

Mannheim. Der Hauptbahnhof präsentiert sich an diesem Montagmorgen wie ausgestorben. Im Erdgeschoss patrouillieren vier junge Männer der GDL, die Bereitschaftsdienst haben. Tauben picken Krümel vom Boden. Ein Mann mittleren Alters sitzt auf einer Bank und liest seelenruhig seine Zeitung. In den beiden Filialen von Schmitt und Hahn ist wenig los. Die Mitarbeiterinnen nutzen die Zeit, um Ware auszupacken. „Es ist nicht so, dass man nichts zu tun hätte“, sagt eine der beiden Angestellten. Das Geschäft, in dem die Kunden und Kundinnen Presseartikel und Bücher kaufen können, habe zwar eine halbe Stunde später geöffnet als sonst, bleibe aber regulär bis 22 Uhr offen, erzählen sie.

Jessica Lach (links) und Franziska Hanisch in der Nanu-Nana-Filiale. © Tanja Capuana-Parisi

Jessica Lach, Leiterin der Nanu-Nana-Filiale im Hauptbahnhof, packt mit ihrer Kollegin, Nachwuchsführungskraft Franziska Hanisch, neue Ware aus. Kundschaft sei bisher ausgeblieben, erzählt Lach. Den Streik sehen sie kritisch. „Heute wurde im März bereits zum dritten Mal gestreikt“, sagt sie und spielt auf die Arbeitsniederlegungen bei der RNV an. „Es ist ärgerlich.“ Zumal der Termin nah bei Ostern liegt, einer Zeit, in der im Einzelhandel erfahrungsgemäß viel Umsatz gemacht wird. „Für uns im Einzelhandel ist es definitiv nicht das Richtige.“ Auch die Kita, in der ihr Kind betreut werde, habe geschlossen, doch die Großeltern seien eingesprungen. Glücklicherweise bekämen die Mitarbeiter Unterstützung von ihrem Arbeitsgeber. Es laufe wohl darauf hinaus, dass der Laden an diesem Montag früher schließen werde, sagt Lach. „Wir machen das Beste draus.“

"Wenn keine Züge fahren, kommen keine Leute"

Keine Kundschaft: Manche Filialen haben geschlossen. © Tanja Capuana-Parisi

Bei den Gastronomiebetrieben ist die Situation unterschiedlich. McDonald’s, Yorma’s, und Dean & David bleiben geschlossen. Da bei Crobag so gut wie keine Käuferinnen und Käufer vorbeikommen, werde man nun die Backerei früher schließen, so Filialleiterin Temesgen Rodas. Bei Ditsch und Nordsee warten die Angestellten noch auf Anweisung von oben, Bürgerking hat regulär geöffnet. Auch bei Çiğköftem können hungrige Gäste von 10 bis 20 Uhr unter anderem vegane Wraps und Falafel genießen. Man habe einen Vertrag mit der Deutschen Bahn, erzählt Geschäftsführer Akin Cil. Viel los sei jedoch nicht. „Wenn keine Züge fahren, kommen keine Leute“, sagt er und zuckt die Achseln. Nebenan bei Coffee Fellows genießt eine Handvoll Gäste Heißgetränke, Bagels oder Gebäck. Etwa 15 Gäste seien seit der Öffnung eingekehrt, so die Mitarbeiterin.

Zwei Frauen aus Heidelberg haben heute mitgestreikt. Die Mitarbeiterinnen von DB-Fernverkehr, die ihren Namen nicht in den Medien lesen möchten, wollen die Aktion unterstützen. „Es herrscht viel Unzufriedenheit unter den Kollegen“, sagt eine der beiden. „Da muss was passieren“, betont die andere. „In manchen Berufsgruppen gibt es nicht einmal einen Mindestlohn. Dieser sollte auf jeden Fall eingeführt werden.“

Mit dem Flixbus statt mit der Bahn unterwegs

Paula und Til wollten eigentlich von Jena aus mit dem Zug nach Blankenloch bei Karlsruhe anreisen, um Paulas Mutter zu besuchen. Doch stattdessen sind sie seit Sonntagnacht mit dem Flixbus unterwegs. „Wir warten jetzt auf unsere Mitfahrgelegenheit“, sagt der 20-Jährige. Die beiden Studierenden finden, dass der Streik die falschen treffe. „Wir haben kein eigenes Auto“, sagt die junge Frau. Jetzt müssen sie noch zwei Stunden warten, bis es weitergeht. Er sei genervt, aber vor allem übermüdet. „Hier im Café ist es wenigstens warm“, sagt Til.

© Tanja Capuana-Parisi

„Man fühlt sich wieder wie eine 16-Jährige“

Anna und Carolin ziehen ihre Rollkoffer hinter sich her. Die jungen Frauen waren in Genf, doch da ihr Flug gestrichen wurde, fahren sie mit dem Flixbus nun über Mannheim zurück nach Düsseldorf. „Man fühlt sich wieder wie eine 16-Jährige“, scherzt die 27-Jährige Carolin. Nun wollen die beiden auf die Toilette und sich dann etwas zu essen besorgen.

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Serbiza Dimaj arbeitet bei der Toilettenanlage. Die Angestellte wohnt eigentlich in Eisenberg, hat aber am Sonntag bei ihrer Nichte in Ludwigshafen übernachtet. „Ich bin um .5.30 Uhr losgelaufen um meine Schicht um 7 Uhr zu beginnen“, erzählt sie. Kirsten und Muzaffer Yesilbas haben an diesem Montag frei. Statt zur Arbeit wollen die beiden Linderhöfer in die Innenstadt laufen, um dort bummeln zu gehen. „Wir erreichen vieles zu Fuß“, sagt er. Bei längeren Strecken nehmen jedoch sie lieber das Auto statt der Bahn. Natalia und Evrim haben ihre gute Laune noch nicht verloren „Wir sind von der Schönau und der Neckarstadt hierhergelaufen“, sagt Natalia. Die Auszubildenden zur Erzieherin haben nämlich Unterricht auf dem Lindenhof. Den Kolleginnen ist nichts anderes übriggeblieben, da sie kein Auto besitzen.

Baiba ist mit ihrem Kind unterwegs. Da die Mannheimerin in Elternzeit ist, betrifft sie der Streik nicht. „Mein Mann musste aber mit dem Taxi zur Arbeit nach Heidelberg fahren“, sagt sie.

Taxifahrer genervt: „Der Streik nutzt nur der Gewerkschaft.“

Warten auf Kundschaft: Nicht einmal die Taxifahrer profitieren vom Warnstreik. © Tanja Capuana-Parisi

Vor dem Hauptbahnhof stehen zahlreiche Taxis in Reih und Glied. Zwei Fahrer haben ihr Auto verlassen, unterhalten sich. Andere bleiben innen sitzen. Ein Taxifahrer, der anonym bleiben möchte, ist vom Streik genervt. Er geht in den Bahnhof, um sich einen Kaffee zu holen. „Das ist Politik, die auf dem Rücken der Menschen ausgetragen wird“, schimpft er. „Der Streik nutzt nur der Gewerkschaft.“ Diese würden dadurch mehr Mitglieder bekommen, sagt er. Die Lohnsteigerung würde den Angestellten in Zeiten der Inflation ohnehin nicht viel bringen, wenn man „200 Euro brutto bekommt, aber nur 100 Euro netto übrig bleibt.“

Ein Kollege von ihm wartet auf Kundschaft. „Ich bin seit vier Uhr früh hier, aber ich habe bis jetzt nur drei Fahrten gemacht“, sagt Amir Jobary. Für einen Montagmorgen sei das wenig. „Mannheim ist eine Industriestadt“, sagt er mit ruhiger Stimme. Wenn die Pendler vom Bahnhof wegfallen, fielen eben auch die Fahrgäste weg. Insofern profitieren er und seine Kollegen nicht vom Streik. „Solche Tage bringen uns nichts“, sagt Jobary. Vor einigen Jahren sei das anders gewesen. „Aber heute haben sich die Leute im Vorfeld gut organisiert.“

Freie Autorin Kulturredaktion, Lokalredaktion, Wochenende. Schwerpunkte: Bunte Themen, Reisereportagen, Interviews, Musik (von elektronischer Tanzmusik bis Pop), Comedy und Musicals

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