Mannheim. Ein bisschen ist dieses Stück ja dann doch wie ein psychedelischer Drogen-Trip. Bunte Blumen klagen. Poppige Pflanzen singen. Ein geheimnisvoller Schrei der geschundenen Natur durchzieht das Ganze. Optisch und akustisch. Man hört es. Man sieht es. Und macht man die Augen zu, dann scheint die Wirklichkeit sehr fern, nah hingegen die Mandarinenträume und Marmeladenhimmel der weltweiten Popkultur, etwa der Beatles mit dem Song „Lucy In The Sky With Diamonds“. 1967 war das.
Doch hier, 2023 und inmitten dieser ganzen Klanglandschaft, blitzen, wie in einer Art Alptraum, verrückte Bilder auf: schreiende Jahrmärkte, die über alle Natur hinwegwalzende Regelmäßigkeit industrieller Maschinen, das Entertainment des Broadway und schließlich die sensible Zerbrechlichkeit der zarten Schöpfung. Der Natur.
Konzert am Samstag verschoben
Das Konzert vom Haifa Symohonic Orchestra auf der Bundesgartenschau-Hauptbühne, das am Samstagabend stattfinden sollte, wird kurzfristig vorgezogen. Es findet bereits am Samstag um 11 Uhr statt - mit Blick auf die für den Abend sehr schlechte Wettervorhersage.
Nach der Uraufführung des Werks von zwei Mannheimer Komponisten beim Eröffnungskonzert spielt das Haifa Symphony Orchestra am Samstag ein klassisches Repertoire mit Werken von Lavri, Tchaikovsky und Sibelius. pwr
Passenden Schlusspunkt des Eröffnungstages
All das ist präsent in „Rhizom“ von Konstantin Gropper und Ziggy Has Ardeur, zwei Musiker, die aus der Pop- und Filmkultur kommen und eines ganz sicher sind: local heroes. So nennt sie auch Buga-Kulturmacher Fabian Burstein in seiner sympathischen Kurzansage, und die euphorischen Schlussovationen nach diesem Konzert auf der Hauptbühne der Buga, zeigen, dass Bursteins Aufforderung, die beiden samt Dirigent Yoel Levi mit seinem Haifa Symphony Orchestra lautstark zu begrüßen, überflüssig war. Die Fans - wahrscheinlich in erster Linie von Groppers Romantik-Glamrock-Projekt Get Well Soon - waren ohnehin da bei dieser Uraufführung, die in Teilen bereits im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Morgen über die Bühne ging - aber bei weitem nicht so kolossal, so rund, so geschlossen.
Gottes Garten Eden klingt
Es geht hier ja mit einem simplen Geklöppel los. Gropper und Ardeur spielen ziemlich lang und stoisch Sechzehnteltremoli auf Holz und einem Elektro-Pad, während das Orchester unter Levi eine Art klingende Genesis spielt. Es ist die Ouvertüre zu diesem geglückten Abend, der sich stetig steigern wird. Es rumort, es zwitschert, es tiriliert und fiept. Alles überlagert sich irgendwie. Fast assoziiert man Gottes Garten Eden dabei, von dem der Bundespräsident morgens noch gesprochen und damit eine überraschende Bibelfestigkeit unter Beweis gestellt hatte.
Man merkt „Rhizom“ schon an, dass es nicht von zwei Menschen geschrieben wurde, die es gewohnt sind, für Orchester zu arbeiten. Die Orchesterparts sind zwar gut gemacht. Die Farben der Instrumentengruppen werden raffiniert ausgeschöpft, ja, immer wieder entstehen ein spannender Sog und große Dynamik. Doch wird, was sich da bildet, oft zu schnell abgewürgt und nicht weiter entwickelt mit einer thematischen Arbeit, in der Motive und Themen modifiziert, moduliert oder spielerisch dramatisiert werden. Der Atem ist zu kurz. Das ist Popmusik unter dem Deckmantel klassischen Instrumentariums - auch wenn man sagen muss: komplexe Popmusik.
Faszinierende Kontraste
Denn das Werk ist eine Gratwanderung zwischen den Welten. Poprhetorik, Hollywood, Broadway und ein Funke Avantgarde mit wilden Geräuschen, wie sie vorwiegend Gropper an seinem Percussion-Tisch produziert, geben sich da minimalistisch die Hand. Pathos und Ironie verschmelzen zur Karikatur, motorische Patterns lassen die Sehnsucht nach fassbaren Klangstrukturen Wirklichkeit werden - das alles unterstützt von den Visuals Götz Gramlichs, der organische Strukturen und konkrete Figuren wie Käfer, Raupe, Schmetterling, Rindfleisch, Blumen mit grafisch-geometrischen Erfindungen vermengt, so dass sich ein Strom der Kontraste zwischen Abstraktion und Konkretion ergibt. Faszinierend.
Die Schönheit von Rock und Pop
Aber was wäre diese Musik ohne den Gesang. Ohne Groppers brillanten Bariton, ohne Ardeurs etwas höheren Tenor, brillant glänzend und ein wenig beweglicher und vielseitiger. Wenn die beiden in Terzen, Sexten oder, wie etwa in „Outstanding Hush“, im Oktavabstand gemeinsam singen, scheinen sich Granden wie David Byrne, David Bowie, Thom Yorke oder Robert Smith zum musikalischen Stelldichein zu treffen - und die Schönheit von Rock und Pop zu feiern.
Klar, das ist weder Rock noch Pop. Noch Klassik. Das Dazwischen muss man mögen, denn alles bleibt hier inkonsequent, unterbunden, gestoppt. Doch ergibt sich daraus ein besonderer Reiz. Er bringt das Buga-Publikum aber erst recht zum Feiern - und das (offenbar) ohne Drogen.
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