Mannheim. Von 42 im Gehweg eingelassenen Bronzeplatten, die aus der Bismarkstraße die „Kurpfälzer Meile der Innovationen“ machen sollen, sind mehr als die Hälfte verlegt – aber nie gab es im Vorfeld solch einen Ärger, solch eine Aufmerksamkeit. Die Ehrung für das Luftschiff Schütte-Lanz stieß aber auf Widerstand, weil die Erfindung militärisch genutzt und mit Johann Schütte einer der beiden Verantwortlichen ein Anhänger des Nationalsozialismus war.
„Es gab ein paar politische Diskussionen im Vorfeld“, sagte Fritz-Jochen Weber zur Begrüßung im Schloss. Er ist Vorsitzender des Vereins, der 2016 begonnen hat, auf Basis eines Vertrags mit der Stadt anhand von Bronzeplatten mit den Maßen 42 auf 42 Zentimeter an wichtige Erfindungen und Erfinder aus der Region zu erinnern.
Für Bombardierungen genutzt
Üblich ist dabei ein Grußwort der Stadt, wofür die Protokollabteilung der Stadt sorgt. Zugesagt hatte Markus Sprengler (Grüne) – doch er zog die Zusage zurück. Luftschiff- und Schiffbau-Ingenieur Johann Heinrich Schütte (1873-1940) sei „nicht nur ein erfolgreicher Ingenieur, sondern auch ein glühender Anhänger des Nazi-Regimes“ gewesen, verweisen die Grünen auf ein Telegramm, das Schütte als Vorsitzender der Schiffbautechnischen Gesellschaft anlässlich der Hauptversammlung des Vereins an Adolf Hitler gesendet habe, in dem er ihm „als dem vom Vertrauen des ganzen Volkes getragenen Führer Deutschlands treue Gefolgschaft“ gelobt. Zudem sei „die Ehrung der Innovation eines Kriegsgerätes inakzeptabel“, so Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier, gerade in Zeiten des Ukraine-Kriegs, denn das Luftschiff von Schütte-Lanz sei nur im Ersten Weltkrieg zu Bombardierungen genutzt worden.
Es sind nicht alle Erfinder, selbst wenn sie Bedeutendes geleistet haben, auch menschlich einwandfrei.
Die Fraktion LI.PAR.Tie. bezeichnete Konstrukteur Schütte als „überzeugten Nationalsozialisten und glühenden Hitler-Verehrer“, so der Fraktionsvorsitzende Dennis Ulas, dessen Innovationen „ausschließlich der Rüstung“ dienten. Durch die Ehrung werde die Stadt „in das falsche Licht der Verharmlosung oder gar Billigung der Ehrung für einen Nazi und Rüstungsfabrikanten gerückt“, weshalb die Stadt die Ehrung unterbinden solle.
Das sei aber „nicht zulässig“, da es sich um einen privaten Verein handele, so Kulturbürgermeister Michael Grötsch im Kulturausschuss. Und ob jemand ein Grußwort für die Stadt spreche, entscheide allein der Oberbürgermeister. Grötsch betonte zudem, dass das Marchivum die Ehrung für gerechtfertigt halte. Darauf verwiesen im Ausschuss auch die Stadträte Helen Heberer (SPD) und Alexander Fleck (CDU). Selbst wenn man die Person Schütte „sehr kritisch“ sehen und dies unbedingt anlässlich der Ehrung erwähnen müsse, gehe es doch um die technische Innovation, die zu den Mannheimer Erfindungen von Benz, Drais und Land passe, so Heberer.
Angela Wendt (Grüne) sprach von einer „Schande für die Stadt“ und Fontagnier warnte, die Bronzeplatte werde womöglich nicht lange liegen, weil viele Menschen sie „ziemlich erschreckend finden“. „Ich hoffe stark“, entgegnete Fleck, dass dies kein Aufruf sei, „die Platte zu beschädigen“, mahnte er.
Fleck war es dann auch, der bei der Feierstunde zur Verlegung der Platte das Grußwort im Auftrag der Stadt überbrachte. Er dankte dem Verein für seine Initiative, sich ehrenamtlich um die „Meile der Innovationen“ zu kümmern. Das Luftschiff sei „unzweifelhaft“ eine der „Mobilitätsinnovationen aus Mannheim“, so Fleck, „bahnbrechend für die damalige Zeit und daher eindeutig für diese Meile geeignet.“
Vorreiter für Sperrholz
Genauso eindeutig sei aber, dass diese Erfindung im Ersten Weltkrieg „Angst und Tod“ gebracht und dann Johann Schütte ein klarer Anhänger des Nationalsozialismus gewesen sei. Das allerdings habe auch für einige andere Erfinder aus der Region gegolten. Fleck wandte sich daher gegen „zwanghaftes Unbehagen“ und meinte, man müsse viele Äußerungen eben immer angesichts der damaligen Zeit betrachten. Er forderte den Verein aber klar auf, die entsprechenden Informationen auf der Internetseite zur „Meile der Innovationen“ zu hinterlegen.
Historiker befürwortet Bronzeplatte
Für Marchivum-Direktor Ulrich Nieß steht „ohne Zweifel außer Frage, dass das Luftschiff Schütte-Lanz ein Meilenstein in der Luftfahrtgeschichte darstellt“. So begründet er, dass er eine Ehrung für die Erfindung befürwortet – nicht aber für den Erfinder Johann Schütte selbst.
Zahlreiche Neuerungen hätten die Mannheimer Konstruktion, die 1911 erstmals abhob, vom Zeppelin unterschieden: ein stromlinienförmiger Körper, ein tragendes Gerippe aus Holz – vermutlich die erste ingenieurmäßige Anwendung von Sperrholz überhaupt–, eine nicht starre Aufhängung der Gondeln, ein veränderter Lenkapparat und eine anders geartete Anordnung der Propeller. „In seiner Neuartigkeit steht das Luftschiff in einer Reihe mit anderen Mannheimer Innovationen aus dem Bereich der Mobilität, zu der auch die Draisine, das Benz’sche Automobil oder der Lanz-Bulldog gehören“, so Ulrich Nieß: „All diese Innovationen machen Mannheim historisch zur Stadt der Mobilität und sind Teil des kollektiven Gedächtnisses unserer Stadt“, betonte er.
Vielfältige NS-Verstrickungen
Natürlich gebe es einen klaren Bezug zum Militär, aber in den Anfängen der Starrluftfahrt hätte die staatliche Finanzierung durch militärische Institutionen eben eine enorme Rolle für die Realisierung der innovativen Pläne gespielt. Der Erste Weltkrieg habe die dann ausschließlich militärische Luftschiffproduktion angekurbelt: 88 Exemplare kamen von Zeppelin aus Friedrichshafen, 20 von Lanz aus Mannheim. Eingesetzt wurden die Luftschiffe unter anderem zu Bombenabwürfen. „Sie brachten Tod, Angst und Schrecken“, räumte Nieß ein, aber die Ambivalenz der militärischen und zivilen Nutzung sei auch bei anderen Erfindungen erkennbar.
Bei Johann Schüttes gebe es „vielfältige Verstrickungen in der NS-Zeit“ und keinen Zweifel an seiner Loyalität zu Hitler. Er vollzog auch die Gleichschaltung der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt“ und der „Schiffbau-technischen Gesellschaft“. Aber „Schütte steht mit seiner Haltung nicht allein“, so Nieß. „Auch andere Erfinderpersönlichkeiten wie etwa Felix Wankel oder – indirekt – Bertha Benz standen mindestens phasenweise in glühender Verehrung auf Seiten der nationalsozialistischen Machthaber. Auch einer der ersten Nobelpreisträger der Region, Friedrich Bergius, gehörte der NSDAP an“, betonte er. Die Bronzeplatten erinnerten an Meilensteine, wobei man die Triebfaktoren menschlicher Leistungen nicht ausklammern, sondern offen darstellen müsse.
Das sagte Roswitha Henz-Best, zweite Vorsitzende des Vereins, zu. Es gehe nicht um die Ehrung der Person Johann Schütte und auch nicht um „sein“ Luftschiff, sondern ausschließlich um die Innovation „Luftschiff Schütte-Lanz“, das vor einhundert Jahren zur Weiterentwicklung der Luftfahrt beigetragen habe. Tatsächlich seien nicht alle Erfinder, „selbst wenn sie Bedeutendes geleistet haben, auch menschlich einwandfrei“, betonte sie gegenüber der Stadt. Beim Festakt zur Verlegung der Platte schilderte sie den ersten Misserfolg des Zeppelin-Luftschiffs, durch den sich Schütte herausgefordert geführt habe.
Er konstruierte das erste Luftschiff mit einem vollständig aus Sperrholz bestehenden, daher leichten und elastischen Gerippe. Zugleich sei Schütte damit Vorreiter und der erste Verarbeiter industriell gefertigter Sperrholzplatten gewesen. Henz-Best schilderte gleichwertig den Lebensweg von Schütte wie auch seines Partners Karl Lanz, dem langjährigen Inhaber der Mannheimer Traktorenfabrik, der Geldgeber des gemeinsam für die Luftschiffproduktion gegründeten Unternehmers war. Das stellte „das größte, modernste und schnellste Luftschiff der Welt“ seiner Zeit her, so Henz-Best. Da die Firma aber keinen einzigen Auftrag erhalten habe, wandte sie sich an das Militär. Das habe es für Bombardements eingesetzt. „Daher brachte es Tod und Verwüstung“, bedauerte Henz-Best und verschwieg auch nicht, dass Schütte Hitlers Machtergreifung „freudig begrüßt“ habe. Sponsor der Platte für das Luftschiff ist die Dr. Rolf M. Schwiete Stiftung – weil sie in der Lanz-Villa ansässig ist.
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