"MM"-Stadtgespräch

Brauchen wir die Europäische Union? In Mannheim herrscht fast Einigkeit

Zwei Stunden lang diskutieren Politikerinnen und Politiker beim "MM"-Stadtgespräch in Mannheim, ob Deutschland eine starke Europäische Union braucht. Dabei waren sich alle über Parteigrenzen hinweg einig - bis auf einen

Von 
Stefanie Ball
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„MM“-Stadtgespräch am Mittwochabend: Sebastian Camarero (v.l.), Rüdiger Ernst, Tanja Hilton, Moderator Walter Serif, Vincent Oehme, Nina Wellenreuther und Hannah Ziegler. © Christoph Blüthner

Mannheim. Voller Saal beim Stadtgespräch des „Mannheimer Morgen“ in den Reiss-Engelhorn-Museen - und das bei einem Thema, das in der Regel nur wenige vom Hocker reißt: die Europäische Union. Doch der „Europa-Slam“, eine Debatte mit Vertreterinnen und Vertretern von sechs Parteien - SPD, Grüne, FDP, CDU, Linke und AfD - stößt auf großes Interesse. Eingeladen zu der Veranstaltung mit dem Titel „Warum brauchen wir eine starke Europäische Union?“ hat der „MM“ in Kooperation mit der Europa-Union, einer Bürgerinitiative, die sich für die europäische Einigung einsetzt.

Nach einem Impulsvortrag von Achim Wambach, dem Präsidenten des ZEW, des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, und sechs Kurzvorträgen, den Slams, diskutierten die Politikerinnen und Politiker mit Moderator Walter Serif und dem Publikum über Europas Verfassung und Visionen.

Wenngleich das Fazit über den aktuellen Zustand der EU zwiespältig ausfiel, waren sich doch alle - mit Ausnahme des AfD-Politikers Rüdiger Ernst, dessen Partei laut über einen Austritt aus der Gemeinschaft nachdenkt - einig: Die Europäische Union bietet das beste Fundament, um die Herausforderungen unserer Zeit mit Klimawandel und geopolitischen sowie geoökonomischen Konflikten zu bewältigen.

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„In Europa gibt es zwei Arten von Ländern: Die, die klein sind, und die, die noch nicht wissen, dass sie klein sind“, scherzte Wambach, um auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass allein die Größe Europas mit seinen 448 Millionen Einwohnern ein Pfund sei, mit dem die EU in Verhandlungen mit anderen Staaten wuchern könne. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik gebe es Gremien, die Stimmen der einzelnen Länder koordinierten und so einen gemeinsamen Auftritt ermöglichten. Aber: „Es liegt einiges im Argen“, betonte Wambach.

Auch darin stimmten alle in ihren fünfminütigen Slams und später in der Podiumsdiskussion zu. Die EU ist nicht perfekt, Brüssel wirkt oft weit weg von den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, Projekte kommen seit Jahrzehnten nicht voran. Während Wambach mahnte, die Kapitalmarktunion zu vertiefen und damit den Zugang zu Finanzmitteln für Unternehmen zu verbessern, ist für Linken-Politikerin Tanja Hilton die Migration das zentrale Thema; die 48-Jährige steht auf Platz 13 der Bundesliste ihrer Partei. „Seit 2014 sind 29 000 Geflüchtete im Mittelmeer gestorben“, erinnerte sie und forderte die Einrichtung einer europäischen Seenotrettung. Das sieht AfD-Stadtrat Rüdiger Ernst anders: Er will Grenzkontrollen verstärken, Zuwanderung begrenzen.

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Für den 35 Jahre alten SPD-Politiker Sebastian Camarero - er kandidiert bei der Europawahl am 9. Juni auf Platz 96 seiner Partei - ist derweil entscheidend, die Transformation, die unter anderem der Klimawandel notwendig macht, so zu gestalten, dass sie bei den Bürgern ankommt. Das allerdings passiere in Mannheim, betonte Nina Wellenreuther, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeinderat. Denn Mannheim sei von der EU-Mission „100 klimaneutrale Städte“ ausgewählt worden, um zu zeigen, wie vor Ort innovative Wege zur Klimaneutralität aussehen können.

Die CDU-Politikerin Hannah Ziegler stört sich an der Detailverliebtheit Brüssels und mahnte: „Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben und dürfen uns nicht im Klein-Klein verlieren.“ Einen Blick in die Zukunft warf Vincent Oehme von der FDP, der angesichts der Krisen in der Welt nur eine Lösung für eine künftige Verteidigung sieht: „Wir müssen irgendwann zu dem Ziel kommen, eine europäische Armee aufzustellen.“ Die 29 Jahre alte Ziegler steht bei den Europawahlen auf Platz elf der baden-württembergischen CDU-Landesliste, der 20-jährige Vincent Oehme auf Platz 94 der FDP-Bundesliste.

Brauchen wir eine starke EU? Nach zwei Stunden Diskussionen lautet trotz aller Kritik die Antwort: Ja! „Die EU ist unsere Grundlage für Sicherheit und ein gutes Leben“, fasste Hannah Ziegler zusammen.

Stimmen zu Europa

„Ich brenne für Europa. Deutschland profitiert wie kein anderes Land von der EU.“

Sebastian Camarero, SPD, kandidiert für das Europaparlament

„Mit meinen 27 Jahren gibt es die Europäische Union nur ohne Grenzen. Unvorstellbar für mich, dass es einmal welche gab. In einer globalisierten Welt kann nur die EU stark auftreten, wir dürfen nicht in Kleinstaaterei verfallen.“

Nina Wellenreuther, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Mannheimer Gemeinderat

„Demokratiefeindliche Regime und Diktaturen sind auf dem Vormarsch und versuchen Einfluss zu nehmen. Die zerbrechliche Freiheit muss verteidigt werden, die EU muss krisenfest gemacht werden. Denn sie ist unser Sicherheitsnetz, die EU ist das beste Fundament, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen.“

Hannah Ziegler, CDU, kandidiert für das Europaparlament

„Deutschland braucht ein starkes Europa, wir können uns nicht alleine verteidigen, sondern müssen auf unsere europäischen Partner vertrauen.“

Vincent Oehme, FDP, kandidiert für das Europaparlament

„Es werden immer mehr Kompetenzen weit weg von den Bürgern nach Brüssel verlagert. So entstehen viele überflüssige und unsinnige Entscheidungen und die Menschen fühlen sich machtlos. Wir wollen keine Vertiefung, sondern ein Europa der Vaterländer.“

Rüdiger Ernst, AfD-Stadtrat im Mannheimer Gemeinderat

„Europa steht für Vielfalt, Vielfalt der Menschen und Vielfalt der Potenziale, diese müssen wir heben.“

Tanja Hilton, Linke, kandidiert für das Europaparlament

„Unsere Probleme können wir nur europäisch lösen. Wir sollten aber dahin kommen, nicht alle Entscheidungen auf europäischer Ebene gemeinsam treffen zu müssen.“

Achim Wambach, Präsident des ZEW. 

Freie Autorin

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