Mannheim. Nach dreieinhalb Stunden im Mannheimer Capitol, die man fast schon als Galavorstellung kultureller Diversität in Mannheim begreifen darf, fehlen selbst einem Routinier wie Thorsten Riehle die Worte. Denn auch wenn der Chef des Veranstaltungshauses an der Alten Feuerwache schon so manch ungewöhnliches Event zu verantworten hatte: Diese Veranstaltung sucht in vielerlei Hinsicht ihresgleichen. Dass am Ende dieses Abends 70 000 Euro stehen, die den Erdbeben-Opfern in der Türkei und Syrien zugutekommen, kann eigentlich nur glauben, wer dabei war. Denn wenn Riehle von einem Ereignis spricht, das für seine Begriffe „unglaublich“ war, nimmt er den Mund damit keineswegs zu voll.
Benefizabend im Capitol nimmt in Rekordzeit Konturen an
Doch von vorn. Als die schweren Erdbeben die Türkei und Syrien heimsuchen, Tausende Menschen das Leben kosten und zahllose weitere ihr Obdach verlieren, wird in der Quadratestadt die Idee eines Benefiz-Abends geboren, der in Rekordzeit Konturen annimmt – und Struktur gewinnen muss. Denn die Gelder werden in den Krisengebieten dringend gebraucht. Eile ist also geboten. In weniger als einer Woche mobilisieren Thorsten Riehle und ein Team aus Kulturschaffenden eine ganze Riege von Künstlern, die ganz ohne Gage auftreten.
Die Gründe dafür kennen all jene, die über Fernsehbilder die rohe Kraft der Vernichtung bezeugten oder sogar Verwandte vor Ort wissen nur zu gut. Und dennoch rufen die mahnenden Worte von Moderator Georg Veit noch einmal wach, als er zu Beginn dieses Abends betont: „Diese Erdbeben haben ganze Lebenswelten unter sich begraben.“ Die bewegenden Cello-Suite Johann Sebastian Bachs hat man kaum ein paar Minuten zuvor aus den Händen des Orchester-Solisten der Musikalischen Akademie, Fritjof von Gagern, zu hören bekommen – und beobachtet gleich die nächste große Geste.
Vor dem Palazzo ein Auftritt im Capitol
Denn eigentlich blicken die Akrobaten der Acero Brothers an diesem Abend noch ihrem großen Auftritt im Spiegelzelt des Palazzo-Varietés entgegen – doch bevor sie dort an der Reihe sind, lassen sie sich einen Gastauftritt im Capitol für die gute Sache nicht nehmen und beweisen damit, dass selbst Weltstars der eigenen Zunft das Herz am rechten Fleck tragen.
Was kaum anders auch für Gesangskünstler wie Sascha Krebs, Jeannette Friedrich, Darius Merstein-Macleod oder Anna Krämer gilt, die ihre Seele – ob im Solo oder in Kombination – auf den Stimmbändern tragen und zwischen Verzweiflung („City Of Ruins“) und Zuversicht („Rise Up“) einen Weg von der Dunkelheit ans Licht nachzeichnen, dem sich nach und nach der ganze Abend verpflichtet.
Große Spendenbereitschaft im ausverkauften Capitol
Einerseits in ganz programmatischer Hinsicht. Denn Während Musiker Markus Sprengler mit seiner Band und der Nummer „All Along The Watchtower“ für das kommende Heil noch gen Himmel deutet, sieht Humorist Tim Poschmann die heilende Kraft des Lachens in ganz trockenen Pälzer Pointen, die befreien, Mut machen und einen Enthusiasmus schüren, auf dem die mutigen Perkussionisten des Trommelpalasts nur noch aufsetzen müssen. Wer danach noch die filigranen Tonstafetten der Orientalischen Musikakademie neben der satten Opernstimme eines Joachim Goltz erlebt, hat die kulturelle Vollendung dessen, was eine Stadt an rauschvollen Kontrasten nur bieten kann, längst persönlich bejubelt.
Andererseits spricht auch die Spendenbereitschaft eines restlos ausverkauften Capitols ihre eigene Sprache. Allein durch die Ticketverkäufe hatten die Organisatoren bereits mehr als 23 000 Euro an erlösten Spenden zu Buche stehen – die späteren Getränkeerlöse kamen da noch hinzu. Und freilich so einige generöse Gaben von Großspendern. Neben den 3000 Euro, die der weibliche Service Club Inner Wheel Mannheim gab, konnten sich Riehle und die Seinen über 10 000 Euro von Radio Regenbogen und dem Tochter-Sender Regenbogen 2 und sogar satte 25 000 Euro vom Mannheimer Großkraftwerk freuen.
Bülent Ceylan rundet auf
Wofür die großzügigen Gaben so dringend gebraucht werden, erklärte Christiane Springer, die als Vorsitzende die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes in Mannheim verantwortet. „Es geht um Hallen, Versorgungsstätten und Logistik, um Hilfe vor Ort professionell koordinieren zu können“, sagte die erfahrene Chefin, die das Rote Kreuz gemeinsam mit Kräften von Johannitern und Maltesern koordiniert. Erst wenn diese Strukturen etabliert seien, könnten Sachspenden – von Medikamenten bis zu Kleidung – überhaupt wirkungsvoll verteilt werden.
Damit dieses Ausrufezeichen noch an Wirkung gewinnt, ließ sich auch Lokalmatador Bülent Ceylan einen Auftritt nicht nehmen und machte mit einigen Anekdoten klar, dass der Tod vor Ort so real wie niederschmetternd sei – die größte Unterstützung aber diejenige sei, welche trotz Karneval nicht die Augen verschließt „und Dankbarkeit zeigt, dass wir helfen können“. Dass für diesen Zweck auch gelacht werden darf, bewies Ceylan vor dem großen Finale mit seinen Pointen eindrucksvoll, ehe eine anrührende Version von „Father & Son“ an die Pflicht des Zusammenhalts erinnerte, der sich auch der Comedian nicht verwehrte. Dass die 70 000 Euro, auf die Ceylan aufrundete, am Auslass noch um einiges anwuchsen, wunderte nach diesem herausragenden Benefiz-Abend niemanden mehr.
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