Reiss-Engelhorn-Museen - Über 10 000 Funde aus der Zeit von Kurfürst Carl Theodor bei Ausgrabung auf der Baustelle des Peter- und Traudl-Engelhorn-Hauses

Barocken Menschen näherkommen

Von 
Peter W. Ragge
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Fundamente aus verschiedenen Jahrhunderten wurden im Hinterhof von C 4,12 in Mannheim freigelegt und untersucht. © rem/laukert/schumann

Schweineborsten, mit Kupferdrähten befestigt. „Eher schrecklich“ findet Klaus Wirth die Vorstellung, sich so etwas in den Mund zu stecken. Doch es ist eine frühe Version der Zahnbürste aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Solch ein Relikt und noch viele Exponate mehr aus dem barocken Leben sowie dem frühen 19. Jahrhundert sind bei archäologischen Ausgrabungen hinter den Wohnhäusern im Innenhof von C 4,12, wo der neue Museums-Bau Peter- und Traudl-Engelhorn-Haus entsteht, entdeckt worden.

Seit Wochen arbeiten Wirth, Leiter der Abteilung Archäologische Denkmalpflege der Reiss-Engelhorn-Museen, sein Kollege Benedikt Stadler und zahlreiche ehrenamtliche Grabungshelfer auf der Baustelle. Auf was die Archäologen dabei stießen, finden viele Menschen spannend: Rund 100 interessierte Bürger sind am Freitagmittag dabei, als Wirth und sein Team erste Ergebnisse vorstellen.

Ab 1725 bebaut

Fragmente von historischen Zahnbürsten hat Wirth in Mannheim noch nicht oft entdeckt, „vielleicht fünf bis sieben“, schätzt er. Sie seien „Beispiele für frühe Mundhygiene“ in einer Epoche, als sich die Leute eher parfümierten, als zu Wasser und Seife zu greifen. „Wir kommen durch die Funde dem barocken Menschen näher“, freut sich Wirth.

Im Bereich C 4,12 sind im 17. Jahrhundert zunächst einmal die Festungsanlagen der ab 1606 angelegten Friedrichsburg. Doch die Wälle der Zitadelle hat man ab 1709 abgetragen, die Gräben verfüllt. Ab 1725 ist das Quadrat bebaut worden. Das fand Friedrich Teutsch heraus, pensionierter Stadtarchivar und heute ehrenamtlicher Mitarbeiter des Museums. Ein Freiherr, ein Hofkammerrat, ein Admiral, ein Weinhändler, ein Partikulier und ein Fabrikant werden in unterschiedlichen Phasen als Bauherren für die Adresse genannt. Anhand der überlieferten und stets steigenden Versicherungssumme der Gebäude lässt sich ablesen, dass sie ständig gewachsen sind.

„Ab 1720, als Carl Philipp die Residenz nach Mannheim verlegt, erlebt die Stadt einen unheimlichen Bauboom“, so Wirth. In der Zeit wird auch dieses Quadrat bebaut. Doch während das Vorderhaus, im Zweiten Weltkrieg zerstört, ab 1957 neu errichtet wird, bleibt der Innenhof, von Garagen abgesehen, frei – und damit auch die Fläche der einstigen Barockgärten. Dort haben die Grabungstechniker mühevoll den gesamten Boden gesiebt. Zwar habe man in der Nachkriegszeit „leider ein Abwasserrohr ’reingeknallt’, wie Wirth kritisch anmerkt. Dennoch ist es gelungen, aus einer ehemaligen Latrine vier Kubikmeter Erde voller archäologischer Fragmente, in der Summe mindestens 20 Postkästen, herauszuholen. Unter den mehr als 10 000 Funden seien „manche Preziosen dabei“, freut sich Wirth.

Frankenthaler Porzellan

So entdeckten die Archäologen feinste Silbernadeln, „so fein, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie man die benutzt“, sagt Wirth. Tierknochen und Gräten zeigen, was alles auf dem Speiseplan stand, offenbar oft Hase oder Kaninchen. Münzen zählen zu den Funden, Kämme, Knöpfe, Fingerhüte, viele der einst in Mannheim häufig verwendeten und hergestellten Tonpfeifen, ja sogar eine Art Klappmesser ist dabei.

Ob einzelne Scherben oder ganze Töpfe und Kannen – unter den Funden ist auch ganz viel Keramik und Porzellan. Eine sogenannte „Barbierschüssel“ ist komplett vorhanden, sogar die Inschrift „Kommst Du mein lieber Kamerad, will ich Dir putzen Deinen Bart“ noch entzifferbar. Auf einem Fragment befinden sich eine Krone und die Buchstaben „CT“ für Carl Theodor – klarer Beleg für die Herkunft aus der kurfürstlichen Porzellanmanufaktur. Eine Scherbe mit den Zahlen „03“ ordnet Wirth nach der Herstellungsart und der Erdschicht in das Jahr 1803 ein. „Ein Schlüsselfund, weil wir so etwas aus der Zeit bisher kaum hatten“, sagt der Abteilungsleiter.

Bis alle Objekte gesäubert, fotografiert und dokumentiert seien, werde es noch Monate dauern, schätzt er. Man werde auch nicht jede Scherbe aufheben, „das hat keinen Aussagewert“, betont Wirth. Der Fundort werde überbaut und nicht erhalten, so sei das üblich und gesetzlich geregelt. „Wir vermessen, fotografieren, beschreiben, dokumentieren, bergen die Funde, das reicht auch“, so Wirth.

Info: Video und Bilder unter morgenweb.de/mannheim

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Das Bauprojekt

Ende Juni war Grundsteinlegung: Hinter dem von der Brombeeren-Stiftung erworbenen Wohnhaus in C 4,12 entsteht das neue Museum Peter und Traudl Engelhorn-Haus der Reiss-Engelhorn-Museen.

Finanziert wird es allein durch eine Stiftung von zehn Million Euro von Traudl Engelhorn.

Der Neubau bietet 2500 Quadratmeter Bruttogrundfläche. Platz finden soll im Erdgeschoss eine der bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Glaskunst Europas. Zudem bietet der Neubau Platz für eine größere Präsentation von Fotokunst, einen zentralen Museumsshop, ein Café mit Plätzen zum Toulonplatz hin, Büros und Proberäume für das Kurpfälzische Kammerorchester sowie ein großes Atrium.

Voraussichtlich Ende 2021 soll der Neubau fertig sein. pwr

Redaktion Chefreporter

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