Wahlnachlese

Angst vorm Abgehängtsein: Warum die AfD auf der Schönau so stark ist

Fast jeder Dritte, der im Mannheimer Stadtteil Schönau bei den Kommunalwahlen gewählt hat, hat seine Stimmen der rechtspopulistischen AfD gegeben. Besuch in einem Stadtteil, der sich unverstanden fühlt

Von 
Stefanie Ball
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Mannheim. Am Ende der Diskussion fragt Gabi: „Braucht jemand Blutdrucksenker?“ Eigentlich sollte das Treffen eine Gedenkstunde für Klaus werden. Klaus ist im vergangenen Jahr an Krebs gestorben, er gehörte zu einer Gruppe von Ehrenamtlichen auf der Schönau. Doch dann kam die Reporterin des Mannheimer Morgen vorbei und statt bei Käsekuchen und Kaffee an Klaus zu denken, sollen die Frauen und Männer erklären, warum um alles in der Welt hier in ihrem Stadtteil fast jeder Dritte bei der Kommunalwahl seine Kreuze bei der AfD gemacht hat.

Die Menschen hätten Angst, sagen sie. Sie seien frustriert. Das Vertrauen ist weg, die Politiker schwebten irgendwo, die hätten den Bezug zur Bevölkerung verloren. „Aber glaubt ihr denn, dass die AfD das besser machen würde?“, fragt Lilo. Sie ist 74 Jahre alt, wie alle anderen möchte sie nur ihren Vornamen nennen. Ja, würde sie, entgegnet Jessica. Sie wähle die AfD, seit es sie gibt. „Ich stehe dazu.“ Die 44-Jährige will, dass zuerst denen, die hier geboren sind, geholfen werde; dass nicht jeder nach Deutschland kommen könne und dass die, die dann kämen und sich wie die im Axt im Walde benähmen, Konsequenzen spüren müssten. „Die kommen ja nicht, weil Deutschland so schön ist“, sagt Jessica. Es könne auch nicht sein, dass jemand, der seit 30 Jahren hier lebe, kein Deutsch spreche.

Mannheim-Schönau: "Rentner müssen Flaschen sammeln"

Neben ihr steht ihre Tochter, die ist noch keine 16 Jahre alt und durfte bei der Europa- und Kommunalwahl im Juni noch nicht wählen. Jessica sagt, es gebe nur noch Arme und Reiche im Land, der Mittelstand sei weggebrochen, Wohnraum sei zu teuer und die Rentenkassen seien leer, weshalb die Rentner Flaschen sammeln müssten. 

„Die Kassen sind nicht leer, die Leute haben nicht eingezahlt, sondern schwarz gearbeitet, darum bekommen sie jetzt auch keine Rente“, schaltet sich jetzt Lilo ein. Sie überlege außerdem die ganze Zeit, was die AfD in Mannheim in den vergangenen Jahren bewirkt hat. „Mir ist nichts bekannt.“

Aber was denn die anderen bewirkt hätten, will Jessica wissen. Überhaupt: Es gehe ja vor allem darum, Druck auszuüben, die etablierten Parteien müssten begreifen, dass es so nicht weitergehe. Zustimmung von anderen in der Runde. Gudrun fällt noch die Sache mit den Fahrradwegen in Peru ein, die die Berliner Ampelregierung finanziert hätte, und Gabi fragt, warum denn unser Geld nach Griechenland geschickt werde, weil dort was schiefläuft, und es dann bei uns fehle.

Viele fühlen sich abgehängt und fürchten um ihr Auskommen

Lilo, die auf ihrem Rollator sitzt, erinnert daran, dass die Ausländer, die in 1960er Jahren nach Deutschland gekommen seien, um hier fürs Wirtschaftswunder mit zu sorgen, in Stadtteile abgeschoben worden seien. So hätten sich Ghettos gebildet. „Die wurden ja gar nicht integriert.“ Und auch deutsche Flüchtlinge habe es gegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Menschen die deutschen Ostgebiete verlassen und seien froh gewesen, in Westdeutschland Zuflucht zu finden.

„Noch jemand ein Stück Käsekuchen?“, fragt Gabi, und Christian Endres schlägt vor, die Gruppe jetzt allein zu lassen und ihr Zeit für ihr eigentliches Anliegen zu geben, nämlich sich an Klaus zu erinnern.

Riesiges Sanierungsprojekt für teils baufällige Wohnblocks

Endres ist Sozialarbeiter, er betreut mit einem Team für die Caritas Mannheim das Quartierbüro Schönau. Wie andere war auch er entsetzt, als das Ergebnis der Wahlen amtlich war. Viele fühlten sich hier abgehängt und unverstanden, dazu kämen Sorgen um steigende Preise, etwa bei den Energiekosten und für Lebensmittel. „Der Einkaufswagen ist nur noch halb so voll wie früher“, sagt Endres, während er durch das Viertel führt.

Die grauen Wohnblocks, die den Nordwesten des Stadtteils bestimmen, gehören größtenteils der GBG, der Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft. Gerade läuft ein riesiges Sanierungsprojekt, Wohnblock für Wohnblock wird saniert, innen wie außen. Der Bestand ist alt, in hoffnungslosen Fällen werden die Gebäude abgerissen.

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Alle Bewohner müssen irgendwann raus aus ihren Wohnungen und bekommen dafür eine frisch sanierte neue Bleibe. Im selben Viertel, aber vielleicht ein Gebäude weiter, das schon fertig ist. Viele Bewohner täten sich schwer mit dem Umzug, erzählt Endres. Deshalb habe die GBG das Quartierbüro mit der Begleitung der Sanierungsmaßnahmen beauftragt. „Wenn es Probleme gibt, werden wir gerufen.“ Wer will, könne auch in eine GBG-Wohnung in einem anderen Stadtteil ziehen. „Aber das will so gut wie keiner“, sagt Endres.

Anja zum Beispiel war 13 Jahre alt, als sie auf die Schönau zog, jetzt ist sie 55. Ihre Kinder seien hier aufgewachsen, um die Ecke wohnten Cousins und Cousinen. „Es gibt viel Grün, und es ist familiär“, sagt sie, während sie auf ihrem Balkon im Parterre in einem der Wohnblocks steht. Ob sie die AfD gewählt habe? Ne, sagt Anja, ihr Mann sei schließlich Ausländer, zugewandert aus dem ehemaligen Jugoslawien. Sie sagt, sie wolle keinen zweiten Hitler in Deutschland. Doch die Leute seien frustriert. „Die haben Angst, dass ihnen das Bürgergeld weggenommen wird.“

Auch Harry (67), der in einem bereits sanierten Gebäude wohnt, reißt die Arme hoch und ruft: „Ich habe die AfD nicht gewählt.“ Er sei alter Gewerkschafter. Einerseits. Andererseits möchte er niemandem zu nahe treten, aber: „Woher haben die so viel Geld?“ Mit „die“ meint er die Besitzer des schwarzen Mercedes, der gegenüber von Harrys Wohnung parkt. Vielleicht Albaner, mutmaßt Harry. Er sehe solche Autos hier häufiger stehen. Immer in Schwarz.

Ökumenischer Mittagstisch für einen Euro

Im Caritas-Zentrum Guter Hirte hat derweil der „Ökumenische Mittagstisch Schönau“ begonnen. Jeden Freitag findet an wechselnden Orten der katholischen beziehungsweise evangelischen Kirche und in Caritas-Räumlichkeiten ein Mittagessen statt. Es kostet einen Euro. Das ist das, was sich viele Menschen leisten können. Und es ist eine Gelegenheit, andere zu treffen.

Zwei Männer möchten ihren Namen nicht nennen, sie wollen sich aber zur Sache mit der AfD äußern. Der eine meint, dass die meisten Menschen, die AfD wählten, gar nicht wissen, wofür die Partei steht. „Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“, zitiert er einen Spruch, der 2016 unter anderem in einem Anti-AfD-Song Verwendung fand. Das sieht der andere Mann anders. Auf der Schönau sei der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund hoch, und damit kämen viele nicht zurecht. „Es ist traurig, aber es war absehbar.“ Er selbst wähle SPD, schon immer.

Auch die Pfarrer nutzen das Mittagessen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Viele fühlen sich nicht abgeholt“, sagt Franz Schmerbeck, katholischer Pfarrer von der Schönau. Die Politiker müssten den Menschen deutlicher erklären, was sie tun, nach dem Motto: „Seht, das machen wir für Euch.“

Irgendwann soll ein Weg für Radfahrer und Rollator-Benutzer zwischen den Wohnblocks hindurchführen, eingesäumt mit Büschen, unterbrochen von neuen Spielplätzen. „Schönauer Weg“ steht auf einem Schild, dahinter ein Stück Betonweg. Es ist ein Anfang.

Freie Autorin

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