Mannheim. Bedroht, beleidigt, bedrängt: Immer mehr Politiker und Amtsträger im öffentlichen Dienst sind Ziel von Angriffen. Landesweit wie auch in Mannheim. Das hat die Antwort des Innenministeriums Baden-Württemberg auf eine Kleine Anfrage des Mannheimer Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei (SPD) ergeben, die dieser Redaktion vorliegt. Fulst-Blei wollte etwa wissen: Wie viele zur Anzeige gebrachte Vorfälle oder Angriffe auf Politikerinnen und Politiker gab es in den letzten zehn Jahren in Mannheim? Und das aufgesplittet auch nach Geschlecht und eventuellem Migrationshintergrund der Angegriffenen.
Fulst-Blei vermutet Dunkelziffer
Die Antwort des Ministeriums ist mit ihren 15 Seiten sehr umfangreich und erfasst weit mehr Personengruppen als nur Politiker. Eine wichtige Botschaft: Die Zahl der sogenannten Opferdelikte bei Amtsträgern im öffentlichen Dienst wie Richtern oder Beamten erreichte im Land 2022 mit 185 Personen einen Höchststand. Unter Opferdelikte fallen Straftaten wie Körperverletzungsdelikte oder Bedrohungen. Beleidigungen oder Sachbeschädigungen zählen nicht dazu.
Speziell in Mannheim ist die Zahl vergleichsweise niedrig. Aber die fünf Fälle im Jahr 2022 sind mehr als doppelt so viele wie 2021. In den Jahren davor allerdings waren es meist ebenfalls um die fünf Fälle pro Jahr gewesen. Betroffen sind größtenteils Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit. Für Fulst-Blei sind die Zahlen kein Grund zur Entwarnung: „Selbst wenn in Mannheim wenige Straftaten registriert wurden, heißt das nicht zwangsläufig, dass es keine Übergriffe gab. Nicht alle Vorfälle werden gemeldet“, betont der Politiker. Deshalb sei der Schritt der Landesregierung „längst überfällig, dass die Wohnadresse künftig nicht mehr auf den Stimmzettel muss“. Auch vor dem Hintergrund, „dass wir mehr Vielfalt zum Beispiel durch Frauen, internationale Herkunft oder junge Menschen auf den Wahllisten haben möchten“.
Blickt man speziell auf Politiker, waren in Mannheim im Jahr 2022 vier Personen von Opferdelikten betroffen. Im Jahr davor war es keine, im Jahr 2020 waren es zwei. Die spezielle Erfassung der Kategorie „Politiker“ gibt es in der Statistik, die politisch motivierte Kriminalität erfasst, erst seit 2016 - also nach dem Beginn der Flüchtlingskrise.
Politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger kommen in Mannheim der Ministeriumsantwort zufolge meistens von „rechts“. Auch in Einzeljahren zeigen sich deutlich Trends: Im Jahr 2021 waren etwa von elf Delikten null „linksmotiviert“, vier „nicht zuzuordnen“ und sieben „rechtsmotiviert“.
Politiker-Stalking bleibt aus
Der Schwerpunkt bei den politisch motivierten Straftaten im Gesamtzeitraum 2016 bis 2022 lag in Mannheim auf Nötigungs-, Beleidigungs- und Sachbeschädigungsdelikten. „Es wurde im gesamten dargestellten Zeitraum kein Gewaltdelikt erfasst“, so das Ministerium. Einen statistischen Ausreißer gab es allerdings: Eine hohe Betroffenenzahl 2019 sei „insbesondere zurückzuführen auf eine Straftat mit 18 Geschädigten“, so das Ministerium. Ebenso interessant: In Mannheim wurden im Betrachtungszeitraum in allen erfassten Daten kein Nachstellen beziehungsweise Stalking gegen Amtsträger im öffentlichen Dienst oder Politiker erfasst.
Was heißt „nicht zuzuordnen“?
Derweil stößt die Kategorie „nicht zuzuordnen“, die nicht nur im Land, sondern auch im Bund bei den politisch motivierten Straftaten verwendet wird, einigen sauer auf. Denn auch das Bundeskriminalamt hatte zuletzt Höchststände bei politisch motivierten Taten für 2022 vermeldet. Die größten Zuwächse gab es laut Bundesinnenministerium ebenfalls im Bereich „nicht zuzuordnen“. Opferberatungsstellen hatten daraufhin etwa vor „Untererfassung rechter Gewalt“ gewarnt. Für die drastische Zunahme der „nicht zuzuordnenden“ Delikte könne es nur zwei „dramatische“ Gründe geben, sagte etwa Robert Kusche vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt: „Entweder sind die Strafverfolgungsbehörden nicht in der Lage zu erkennen, dass der moderne Rechtsextremismus nur das Gewand, aber nicht die Ideologie gewechselt hat.“ Oder die Behörden gingen davon aus, dass rechte Gewalttäter nur „die Naziskinheads der 1990er Jahre“ seien.
Vor dem Ausscheiden aus dem Amt hatte indes auch Mannheims Ex-OB Peter Kurz vor steigender Aggression gegen Amtsträger gewarnt und eine konsequente Null-Toleranz-Politik gefordert: „Verbale Gewalt ist immer der Nährboden für reale Gewalt“, sagte er.
Auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind immer stärker von Gewalt betroffen, hier setzt etwa das Forschungsprojekt „InGe“ des Landesinnenministeriums, gefördert vom Bundesforschungsministerium, an. „Ziel von InGe ist die Entwicklung eines neuen, softwaregestützten Instrumentes zur Erfassung und Auswertung von Gewaltvorfällen“ in den Behörden. So soll durch schnelle Meldung von Vorfällen ein „umfassender Überblick über Aufkommen und Entwicklung von Gewalt“ über das Lagebildinstrument möglich sein, heißt es.
Hilfe für Betroffene: www.stark-im-amt.de
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