Mannheim. Während seine beiden Anwälte ihre abschließenden Plädoyers vortragen, laufen Slavi M. Tränen übers Gesicht. Er wirkt aufgelöst, zückt immer wieder sein Taschentuch. Doch Grund dafür scheint nicht etwa der Prozess zu sein - sondern seine schwangere Freundin, die in diesen Minuten ihr gemeinsames Kind zur Welt bringt.
„Für mich ist das gerade eine Premiere“, erklärt sein Rechtsanwalt Martin Nitschmann. „Denn ich habe noch nie einen Mandanten verteidigt, der am Tag der Plädoyers Vater wird.“ Kurz darauf informiert Rechtsanwalt Ümit Kaya, der zweite Verteidiger von Slavi M., die Anwesenden im Mannheimer Landgericht darüber, dass sein Kind inzwischen zur Welt gekommen sei.
Mannheimer Staatsanwalt: Angeklagte hätten aus „jugendlichem Leichtsinn“ gehandelt
Dem 20-Jährigen wird zur Last gelegt, gemeinsam mit dem zweiten Angeklagten Aleksi A. im Mai und im Juli 2022 in sechs Fällen Gegenstände auf vorbeifahrende Fahrzeuge in der Untermühlaustraße geworfen zu haben. Dadurch sei ein Autofahrer verletzt worden, der von umherfliegenden Glasscherben im Gesicht und am Bein getroffen wurde. Zudem sei ein Gesamtschaden von rund 11 000 Euro entstanden. Am zweiten Prozesstag legten beide Angeklagten ein Geständnis ab und baten die Geschädigten um Entschuldigung.
„Man kann von Glück reden, dass keine Personen schwer verletzt oder gar getötet wurden“, eröffnet Oberstaatsanwalt Peter Lintz am Dienstagmorgen sein Plädoyer. Dies habe nicht in der Hand der Angeklagten gelegen. Aus „jugendlichem Leichtsinn“ sollen Slavi M. und Aleksi A. zu fünf Zeitpunkten im Mai und zu einem Zeitpunkt im Juli 2022 einen Zimmermannshammer, drei zwei Kilo schwere Hantelscheiben, einen Stein sowie einen unbekannten Gegenstand vom Straßenrand aus auf vorbeifahrende Fahrzeuge geworfen haben, erläutert Lintz.
Zudem soll Slavi M. an einer der Hantelscheiben einen handgeschriebenen Zettel befestigt haben, auf dem mehrere Beleidigungen gegenüber der Polizei standen. Seine Handschrift sowie DNA-Spuren von beiden mutmaßlichen Tätern auf den sichergestellten Gegenständen hätten schließlich dazu geführt, dass man sie habe überführen können.
Das Ziel der beiden sei nach eigener Aussage lediglich gewesen, die Fahrzeuge zu beschädigen. „Dabei nahmen sie jedoch billigend in Kauf, dass es Verletzte oder Tote hätte geben können“, so der Oberstaatsanwalt. Denn spätestens nach der ersten Wurfattacke - ein Zimmermannshammer, der in die Frontscheibe eines Lkw einschlug - hätte Slavi M. und Aleksi A. klar sein müssen, dass die Gegenstände in das Fahrzeuginnere dringen können. Dennoch sollen sie die weiteren Taten begangen haben - „obwohl sie nicht darauf vertrauen konnten, dass es bei Sachschäden bleibt“.
Staatsanwaltschaft fordert viereinhalb Jahre Haft für Angeklagte
Für die Staatsanwaltschaft liege daher „der bedingte Tötungsvorsatz auf der Hand“, so Lintz. In zwei Fällen, in denen die Angeklagten Steine auf Autos geworfen haben sollen, sei allerdings nicht erwiesen, dass auch tödliche Verletzungen hätten entstehen können. Demnach laute der Vorwurf in diesen beiden Fällen versuchte Körperverletzung.
Aufgrund des Alters der Männer - Slavi M. war zum Tatzeitpunkt 18 Jahre und Aleksi A. 17 Jahre alt - komme das Jugendstrafrecht zur Anwendung. Zudem seien Entwicklungsdefizite bei beiden zu erkennen, die zu dieser „jugendlichen Schnapsidee“ geführt haben können, so Lintz. Abschließend beantragt er für beide Angeklagte, die sich bereits seit Sommer 2023 in Untersuchungshaft befinden, die gleiche Strafe: vier Jahre und sechs Monate Haft.
Mannheimer Wurfattacken: Verteidiger fordern mildere Strafe
Die drei Verteidiger von Slavi M. und Aleksi A. sind sich in ihren Plädoyers einig, dass die von Lintz beantragte Strafe zu hoch ausfalle. „Die Taten rechtfertigen eine Freiheitsstrafe, aber nicht in diesem Ausmaß“, fordert etwa Wolfram Grebenstein, der Aleksi A. vertritt. Einen konkreten Antrag stellen alle drei Rechtsanwälte nicht, bitten das Gericht jedoch um eine milde Strafe.
„Wenn jemand immer Glück hat, ist es vielleicht kein Zufall mehr“, begründet Nitschmann diese Forderung mit Bezug auf Lintz’ Plädoyer. Er sei der Auffassung, die Angeklagten hätten darauf vertraut, dass niemand durch ihre Aktionen ernsthaft zu Schaden kommt. Dafür spreche unter anderem, dass sie immer auf die Seitenfenster der Fahrzeuge gezielt hätten, was die Wucht des Aufpralls reduziere - und bis auf einen Fall sei dies auch gelungen. „Für die Verteidigung liegt daher kein bedingter Tötungsvorsatz vor, sondern gefährliche Körperverletzung und versuchte gefährliche Körperverletzung“, so Nitschmann.
Grebenstein untermauert die Forderungen der Verteidigung mit dem Hinweis, dass es sich um „typische Jugendtaten“ handle. Dafür spreche deren Spontanität sowie die Tatsache, dass sie immer zu zweit agiert hätten. Auch der handschriftlich geschriebene Zettel und die DNA-Spuren, die daraus entstanden, dass sie keine Handschuhe trugen, würden dies unterstreichen.
Urteil wird im Mannheimer Landgericht am Donnerstag erwartet
Das letzte Wort des vierten Prozesstags gebührt den Angeklagten: „Es tut mir aus tiefstem Herzen leid, was ich getan habe. Ich akzeptiere, dass ich dafür bestraft werde“, so Slavi M., und Aleksi A. ergänzt: „Es war ein großer Fehler und ich möchte mich dafür entschuldigen.“
Am Donnerstag, 18. Januar, wird das Urteil erwartet.
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