Mannheim. 240 Menschen sind beim Terrorangriff auf Israel von der Hamas als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Eine abstrakte Zahl. Miteiner festlich gedeckten Tafel wird diese Zahl ganz konkret. Sichtbar, greifbar. Mit 240 leeren Stühlen am Schabbat-Tisch vor dem Mannheimer Rosengarten und einem kleineren runden Kindertisch voller Kuscheltiere wird am Freitag der Geiseln und ihrer Angehörigen gedacht. Auf jedem Stuhl ist das Foto einer der Geiseln, ihr Alter und die Fahne ihres Heimatlandes zu sehen. Viele der Passanten sind sichtlich ergriffen. Einige von ihnen diskutieren, manche winken aber auch ab. Die wenigsten gehen einfach vorbei.
Zu der Solidaritätskundgebung auf den Platz vor dem Rosengarten hat die Deutsch-Israelische-Gesellschaft Rhein-Neckar/Mannheim (DIG) eingeladen. Angelehnt ist das Format an vergangene Veranstaltungen, unter anderem in Berlin und Frankfurt. Der DIG-Vorsitzende und Grünen-Stadtrat Chris Rihm sowie CDU-Stadtrat Thomas Hornung haben die Organisation der Mahnwache in die Hand genommen.
„Mich hat die Symbolik überzeugt. Das ist etwas, was man mit einem Blick erfassen und das jeder sofort verstehen kann: Wenn zu Hause am Familientisch ein Platz frei ist, und er oder sie kommt nicht“, sagt Hornung.
Passanten sichtlich betroffen
Passanten bleiben an der gedeckten Tafel stehen, gehen langsam von Platz zu Platz und lesen auf den Schildern die Namen der entführten Menschen. Eine 83-jährige Frau. Ein 16-jähriger Junge. Eine Zwölfjährige, eine Vierjährige, ein neun Monate altes Baby. Lächelnde Paare, ein Kind mit einem Hund auf dem Schoß, ein Mann mit einem Glas Rotwein in der Hand. Sie alle sind nicht mehr da. Ob sie wiederkommen, ist ungewiss.
Die Betroffenheit ist vielen Passanten ins Gesicht geschrieben. Einige weinen. Zwei Frauen unterhalten sich leise. „Sie sind so jung“, flüstern sie. Eine Frau ruft aus einem vorbeifahrenden Auto mehrmals „Free Palästina“ und reckt die Faust aus dem offenen Beifahrerfenster.
Digitale Terrorstrategie
Heidrun Kämper, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, bekräftigt beim Besuch der leeren Tafel am Rosengarten, was sie bereits beim Treffen des Landes-Antisemitismusbeauftragten Michael Blume mit Vertretern der Israelitischen Religionsgemeinschaften und muslimischen Verbänden am Donnerstagabend gesagt hatte: „Wir haben ein komplexes Thema vor uns und unterschiedliche Perspektiven.“ Die vielen Gemeinsamkeiten der Religionen und Kulturen seien eine sehr gute Basis für weitere und vertiefende Gespräche, die zu mehr Verständnis führen sollen.
Die Ursache von Antisemitismus und Hass hatte Blume am Donnerstagabend erklärt: Die Nationalsozialisten hätten noch im Geheimen gemordet. Die Hamas würde hingegen die schrecklichen Bilder direkt auf die Smartphones der Kinder in die Schulen bringen - und damit die Menschen emotionalisieren. „Es gehört zur Terrorstrategie der Hamas, die digitalen Medien einzusetzen, um die Gesellschaften gegeneinander aufzubringen und zu spalten, dass wir aufeinander losgehen.“
Talat Kamran, Leiter des Instituts für Integration, hatte dazu am Donnerstagabend gesagt, es sei schön gewesen, die andere Sichtweise zu hören. „Das bekräftigt unser friedliches Zusammenleben. Wir haben im Forum der Religionen vor, dass wir für Frieden in Israel und im Gazastreifen beten werden.“ Auch ein Vertreter der Ahmadiyya kündigte an, in seiner Glaubensgemeinschaft das Verständnis und Wissen über den Konflikt vermitteln zu wollen: In der Moschee soll es ein Seminar für Kinder und Jugendliche geben.
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Majid Khoshlessan, der Sprecher der jüdischen Gemeinde, zeigt sich am Rande der Mahnwache am Freitagnachmittag indes nicht optimistisch, dass die muslimischen Verbände in Mannheim mit Bildungsangeboten gegen Falschmeldungen, Spaltung und Antisemitismus in ihrer Glaubensgemeinde vorgehen werden. Er habe in den vergangenen Jahrzehnten schon zu viele Lippenbekenntnisse von muslimischen Glaubensträgern gehört. Gehandelt hätten diese jedoch nicht.
Die Resonanz ist bis zum Ende der Mahnwache groß. Insgesamt rund 800 Menschen sind an der leeren Schabbat-Tafel stehengeblieben. „Es gibt auch welche, die abwinken. Für die stehen wir irgendwie auf der falschen Seite.“
Streitgespräche, aber kein Streit
Im Lauf des Nachmittags habe es Streitgespräche, aber keinen Streit gegeben. Auch Aktionen gegen die Solidaritätsbekundung oder Störungen habe es nicht gegeben - von mehrfachen „Free Palästina“-Rufen aus fahrenden Autos einmal abgesehen. Die positive Resonanz überwiege - und damit meint Hornung nicht, keine andere Meinung haben, sondern stehenbleiben, nachdenken und wahrnehmen.
Zur Kundgebung am Schluss der Mahnwache sind dann rund 250 Menschen in einem großen Halbkreis um den Kindertisch versammelt. Rihm und Kämper bedanken sich, dass sich die Menschen sichtbar an die Seite Israels stellen. Vier Mitglieder der jüdischen Gemeinde verlesen die Namen der israelischen Geiseln. Einige Besucher weinen. Der Bundestagsabgeordnete Konrad Stockmeier (FDP) will Trost spenden und spricht aus, was alle wünschen: „So Gott will, werden die Geiseln bald wieder am Tisch ihrer Familien sitzen.“
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