Mannheim. Eigentlich hätte diese Klassenfahrt nach Berchtesgaden auch die Absturzkante einer bis dahin ruhigen, hoffnungsvollen Biographie sein können. Denn als Adel Tawil, in den frühen 90ern noch Schüler an einem angesehenen Berliner Gymnasium, während der Exkursion mit seiner Klasse beschließt, dass er „seiner“ Hip Hop-Szene ein geschmackvolles Graffiti in der bayrischen Urlaubsstadt schuldet, lässt der Rauswurf aus der Mittelstufe nicht mehr lange auf sich warten. Dass sein Lebensweg nicht kippt, hat die heutige Pop-Größe damals seiner pazifistischen Einstellung, dem deutschlandweit ersten Wildstyle-Store als soziales Forum und der Überzeugung zu verdanken, dass wahrer Rap keine Gangsterbilder, sondern gesellschaftlichen Zusammenhalt und persönliche Zuversicht lehrt.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
"Der Gangster, der Junkie und die Hure"
Erzählt bekommt eine nahezu ausverkaufte Feuerwache in Mannheim diese und so viele weitere Anekdoten in einem Gespräch mit Journalistin Eva Schulz, das es an Deutlichkeit nicht mangeln lässt. Denn während das erste Podcastfestival des SWR in der Stadt andernorts unter anderem „Dem Gangster, dem Junkie und der Hure“ Gehör schenkt, sind es in der Feuerwache die tiefen Einsichten eines Sängers, für den es keineswegs immer nur geradeaus ging, denen wir lauschen dürfen.
Wenn du davon kein Teil werden willst, musst du sehen, dass du dich davon entfernst. Durch die Familie, durch die Schule, durch Begegnungsorte.
Und so erfahren die blitzaufmerksamen Gäste in Mannheim nicht nur, dass der Frühaufsteher Tawil häufig bereits um 20 Uhr in die Federn huscht, um den beginnenden Morgen mit Leben zu erfüllen und die Heimatländer seiner Eltern – Tunesien und Ägypten – in jungen Jahren auf Urlaubsreisen beide mehr Anstrengung als Erfüllung waren. Nein, es geht auch um Eingemachtes. Wie beispielsweise um die Jugend eines Einwanderer-Sohnes, dessen Eltern die Courage hatten, ohne Garantie auf Erfolg in der Bundesrepublik Arbeit zu suchen – und hart für ihre Existenz zu kämpfen. In der heute zum Kult gewordenen Siedlung Siemensstadt im Osten von Spandau fühlt Tawil sich gut aufgehoben, lernt auf den Straßen von Neukölln aber auch, dass hemmungslose Gewalt selbst junge Leben kosten kann. „Ich habe das leider nicht nur einmal mit ansehen müssen, dass Jungs bei Streitereien abgestochen wurden“, wie der 44-Jährige offen preisgibt, aber gleichzeitig klarstellt: „Wenn du davon kein Teil werden willst, musst du sehen, dass du dich davon entfernst. Durch die Familie, durch die Schule, durch Begegnungsorte.“
Die Anfänge von Adel Tawil bei "The Boyz"
Einer dieser Begegnungsorte ist es, der dem heranwachsenden Adel Tawil nicht nur die Coolness verleiht, nach der er sich sehnt, sondern auch mit den Menschen zusammenbringt, die lieber kreativ etwas aufbauen wollen, als anderen die Knochen zu brechen. Es ist der Anfang einer Karriere, die mit Rap-Gigs für 50 Mark auf Geburtstagen begann, sich mit dem ersten Demo auf einem Mixtape fortsetzte, das der Berliner Senat dereinst mit seinen Hip Hop-Mobil finanziell ermöglichte – und mit der Boygroup „The Boyz“ zum ersten großen Erfolg wurde. Der war nach wenigen Jahren zwar ebenso dahin wie die Gagen, die die Band bisher eingespielt hatte, dafür hatte sich der junge Künstler von seinem Salär immerhin ein Studio gekauft. Auch, wenn er zu diesem Zeitpunkt, Anfang 20, noch gar nicht wusste, was er damit genau anfangen würde.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-adel-tawil-beim-podcastfestival-in-mannheim-ueber-die-kraft-des-widerstands-_arid,2040031.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html