Prozess

Abgestelltes Sauerstoffgerät: Urteil gesprochen

Von 
Agnes Polewka
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Im Prozess um ein abgeschaltetes Sauerstoffgerät im Mannheimer Theresienkrankenhaus ist das Urteil gefallen. © Uwe Anspach/dpa

Mannheim. Hatun C. erblasst. Sie dreht das Gesicht ihrer Dolmetscherin zu, die die Sätze des Vorsitzenden Richters Gerd Rackwitz für sie ins Türkische übersetzt. Das Schwurgericht verurteilt die 73-Jährige zu drei Jahren Haft wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.

Im Zuschauerraum weint eine Angehörige, eine andere schlägt sich die Hände vors Gesicht, während der Vorsitzende Richter rekonstruiert, was nach Ansicht des Schwurgerichts am 29. November 2022 passiert ist - dem Tag an dem Hatun C. zur Straftäterin wurde, davon ist die Kammer überzeugt.

79-Jährige muss wiederbelebt werden

Rackwitz spricht über zwei ältere Frauen, die sich ab dem Morgen des 29. November das Zimmer teilten. Der einen, einer 79-Jährigen sei es sehr schlecht gegangen. Das Atmen sei ihr schwergefallen, deshalb habe sie über eine Gesichtsmaske beatmet werden müssen. Auch der anderen Frau, Hatun C., ging es nicht gut, sie sei ruhebedürftig gewesen. Doch immer wieder ging im Zimmer der Alarm los, weil die 79-Jährige ihre Maske wieder und wieder absetzte. 

Hatun C. störten die Geräusche, so Rackwitz, mehrere Male soll sie Krankenschwestern gebeten haben, das Gerät abzuschalten oder sie in ein anderes Zimmer zu verlegen. Diese sollen ihr erklärt haben, dass die Station voll belegt sei und dass sie das Gerät nicht abstellen könnten, weil ihre Zimmernachbarin auf die Apparatur angewiesen sei, .

Dennoch soll Hatun C. den Kippschalter des Sauerstoffgeräts umgelegt haben. Zwei Mal. Zwischen 21 Uhr und 21.25 Uhr bekam ihre 79-jährige Zimmernachbarin eine erhebliche Atemstörung, eine Art „Schnappatmung“. Zwei Krankenschwestern bemerkten dies und lösten sofort den Herzalarm aus, sagt Rackwitz. Die 79-Jährige musste wiederbelebt und auf die Intensivstation verlegt werden.

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Am 17. Dezember starb die Frau, die unter einer Reihe von Vorerkerankungen litt. Das neuropathologische Gutachten habe aber keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass die Sauerstoffunterversorgung auch todesursächlich gewesen sei. Allerdings habe sich der Gesundheitszustand der 79-Jährigen durch das Abschalten verschlechtert. Die Frau starb an Multiorganversagen.

Hatun C. räumt die Tat ein

Gerd Rackwitz sprach von einer „äußerst milden Strafe“ für ein Tötungsdelikt. Weil Hatun C. nicht vorbestraft und in ihrem hohen Alter besonders haftempfindlich sei. Auch sei sie selbst krank und ruhebedürftig gewesen, habe sich auf der Covid-Isolierstation nicht zurückziehen können. Und: Sie habe die Tat - wenn auch erst am vorletzten Prozesstag - eingeräumt.

Hatun C. zeigt kaum eine Regung. Nur einmal, am Vormittag, war es aus ihr herausgebrochen. Sie gestikulierte, rief etwas auf Türkisch in den Verhandlungssaal, wirkte erschöpft und auch verärgert. Mehr als drei Stunden hatte die 73-Jährige im Hinterzimmer darauf gewartet, dass ihre Verhandlung beginnt.

Doch am fünften Prozesstag kam alles anders als gedacht. Statt der Plädoyers ihrer Verteidiger, Alexander Klein und Carolin Hierstetter, musste der Vorsitzende Richter fehlende Unterlagen organisieren, weil die Verteidigung einen lückenhaften Krankenhausbericht monierte. Erst um 12.30 Uhr wurde die Verhandlung offiziell eröffnet, dann wieder eine Unterbrechung. Erst am frühen Nachmittag dann die Schlussvorträge der Verteidigung.

Verteidigung spricht von einem "besonderen Fall"

„Der Fall, der uns hier beschäftigt, kann einen umtreiben“, sagte Verteidiger Klein und bat die Laienrichter, ihren unverstellten Blick darauf zu behalten. Was am 29. November 2022 passiert sei, könne nicht in eine Reihe mit anderen Taten gestellt werden, bei denen ähnliche Strafen verhängt werden, wie sie Oberstaatsanwältin Katja König am Mittwoch auch für Hatun C. gefordert hatte: viereinhalb Jahre Haft wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.

Die anderen Fälle, da gehe es oft um Schlägereien, Messerstiche, Treppenstürze. Aber dieser Fall sei anders. „Hier haben wir eine Frau, die gezeichnet ist, von ihrem Leben“, die auf der Covid-Isolierstation behandelt wurde - in einer herausfordernden Zeit. „Sie war einfach nur verzweifelt und wollte ihre Ruhe“, sagte Klein. Hatun C. habe nicht damit rechnen können, dass sie bei einem weiteren Abschalten verstirbt - „wenn sie überhaupt verstanden hat, was die Krankenschwestern ihr gesagt haben."

Klein und Hierstetter forderten eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung, eine Geldstrafe. Doch dem folgt das Schwurgericht nicht. „Ich brauche keine hohe medizinische Bildung, um zu erkennen, dass man dem Patienten nichts Gutes tut, indem man das Sauerstoffgerät abstellt“, sagt der Richter. Rackwitz schließt die Sitzung und im Saal entlädt sich die Verzweiflung der Angehörigen. Schreie. Vor dem Gericht weitere Rufe und Tränen, während Hatun C.s Blick starr geblieben ist.

Redaktion

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