Rheinau/Neckarau

„Da müssen wir doch was tun“

Claudia Schiller organisiert medizinische Hilfsgüter für die Ukraine – und fährt sie auch selbst nach Polen

Von 
Konstantin Groß
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Das Team um Claudia Schiller (3. v. r.) mit den zwei Sprintern, mit denen sich die engagierten Helfer auf die Fahrt Richtung Osten machten. © Ukrainedocs

„Vielleicht hat unsere Familie ja das Helfer-Gen.“ Claudia Schiller, Nichte des 2021 verstorbenen Rheinauer SPD-Stadtrates Winfried Höhn, schmunzelt. Das befreit und muss daher mal sein. Auch und gerade bei einem so ernsten Thema. Denn die Ärztin organisiert derzeit Hilfstransporte in die Ukraine, sammelt Spenden über die evangelische Matthäusgemeinde Neckarau.

Wir sitzen auf dem Marktplatz von Rheinau-Süd. In der IG-Siedlung hier wächst Claudia Schiller auf. „Eine behütete Kindheit“, erinnert sie sich gerne. Vielleicht ist dies ja ihr Ansporn, sich für Menschen zu engagieren, denen es nicht gut geht. Die um ihr nacktes Leben kämpfen.

Helfen ist ihr Beruf. In der Corona-Pandemie stellt sich die Medizinerin spontan in den Dienst des Mannheimer Impfzentrums. Als der Krieg gegen die Ukraine beginnt, sagt ihre Kollegin: „Da müssen wir doch was tun.“ Bei Claudia Schiller stößt sie damit auf offene Ohren.

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red/sbo
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Mit Kolleginnen und Kollegen sammelt sie Sach- und Geldspenden, kauft Artikel hinzu, die dabei fehlen: Medikamente, Verbandsmaterial, Babynahrung, Hygieneartikel, auch Wasser. Und es gelingt, zwei Sprinter für den Transport in den Osten zu organisieren.

Mitte März bricht die Gruppe auf. Ziel ist eine Caritas-Organisation in Lublin, im Grenzgebiet zur Ukraine. „16 Stunden Fahrt nonstop“, berichtet Schiller. Unterwegs trifft sie auf andere Hilfskonvois ebenso wie auf Panzer. Entgegen kommen ihr Pkws, voll besetzt mit Flüchtenden. In Lublin sind die Straßen leer: „Die Menschen hatten Angst, dass russische Kampfdrohnen sich verfliegen.“

Im Lager werden die Sprinter entladen. Auch Hilfstransporte aus Schweden und sogar Spanien sind da. Frühmorgens treffen 44-Tonner-Lkw aus der Ukraine ein, um die Hilfsgüter abzuholen. „Die Lkw-Fahrer hatten kleine europäische Fähnchen in ihrem Führerhaus“, berichtet Schiller: „Das hat mich sehr bewegt.“ Die Spenden kommen nach Charkiw. Dorthin selbst zu fahren, ist für die Helfer zu gefährlich, wie jeder Fernsehzuschauer in den Nachrichten täglich verfolgen kann. Schon bei der Rückfahrt entscheidet das Team, sofort die nächste Fahrt zu organisieren. Ein Kinderchirurg aus Tscherwonohrad direkt an der ukrainischen Grenze zu Polen, dessen Patenkind bei der BASF als Dolmetscherin beschäftigt ist, bittet verzweifelt um Hilfe. Die großen Kliniken in Kiew sind relativ gut versorgt, die kleinen wie seine auf dem Lande aber nicht. Doch auch hier gibt es Verwundete, die behandelt und operiert werden müssen.

Erneut gelingt es Schiller und ihrem Team, zwei Sprinter zu füllen: Medikamente, zwei Notarztrucksäcke mit Sauerstoffflaschen, ein Ultraschallgerät aus einer Praxisauflösung und – ja, auch dies ist notwendig – 500 Leichensäcke, gespendet vom Klinikum, Wert: 70 000 Euro.

Medikamente und Rollstühle

Ende April geht es wieder los. Nach 16-stündiger Fahrt wird das Team nahe der Grenze von dem Arzt und fünf Kollegen empfangen, alle im Rentenalter, denn die Jüngeren dürfen ja nicht raus. Und die Hilfe ist konkret: „Am Tag danach konnte Yura, zehn Jahre alt, endlich operiert werden“, berichtet die Helferin.

Erfahrungen wie diese bewegen Schiller und ihre Helfer, nicht nachzulassen, weiter Spenden zu sammeln. Was wird benötigt? „Eigentlich alles“, sagt sie: Rollstühle, Rollatoren, Krücken oder auch Pflegebetten. Natürlich Medikamente, selbst so etwas Banales wie Ibuprofen, Verbandszeug. „Leute sterben an Blutvergiftung, weil es keine Wundabdeckung gibt.“ Hier hofft Schiller auf Arztpraxen, Apotheken, Kliniken, Pharma-Unternehmen. Wer etwas spenden kann, meldet sich per Mail unter schiller.ukrainedocs@web.de. Ende September sollen damit erneut zwei Sprinter starten, diesmal zur rumänisch-ukrainischen Grenze.

Die vierte Fahrt ist dann Hilfsgütern für den Winter vorbehalten. „In der Ukraine gibt es wirklich noch richtigen Winter“, sagt Schiller. Gebraucht werden etwa Taschenlampen und Batterien. Wo Strom fehlt, ist beides unverzichtbar. Und Babynahrung oder einfache Instant-Suppen, die man im Notfall mit kaltem Wasser anrühren kann.

Und natürlich Geldspenden, mit denen das gekauft werden kann, was nicht als Sachspende abgegeben wird. „Unsere Verwaltungskosten sind bei null“, versichert Schiller: „Denn wir sind ein kleines Team.“ Mit der evangelischen Matthäusgemeinde verfügt es zudem über einen seriösen Partner, über den das Spendenkonto läuft. Spendenquittungen können ausgestellt werden.

Hilfe ist dringlicher denn je. „Die Situation für die Menschen in der Ukraine wird ja nicht besser“, sagt Schiller: „Sie wird im Gegenteil von Tag zu Tag schlimmer.“

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