Kindheits-Erinnerungen

150 Jahre Schildkröt-Puppen: Ausstellung zeigt Spielzeug-Schätze aus Celluloid

In Neckarau werden Highlights der Schildkröt-Sammlung gezeigt. Was die Puppen über die Geschichte des Stadtteils erzählen

Von 
Sylvia Osthues
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Auch ein Puppen-Kaufmannsladen aus den 1960er-Jahren ist Teil der Ausstellung. © Sylvia Osthues

Mannheim-Neckarau. Sie heißen Ursel, Bärbel, Inge und sind aus Celluloid. Auch dieses Jahr präsentiert der Verein Geschichte Alt Neckarau wieder seine traditionelle Ausstellung mit Schildkröt-Puppen, die bis 1975 in Neckarau hergestellt wurden. Was Kinder (und sicherlich auch Erwachsene) einst begeisterte, kann im Wappensaal des Alten Rathauses bestaunt werden: Große und kleine Puppen in Gewändern der wechselnden Moden, ein Kaufmannsladen, Küchen, Stuben und kleine Möbel, die exakt denjenigen aus der Welt der Erwachsenen nachempfunden waren.

Seit inzwischen rund 40 Jahren gibt es sie nun schon, die Puppenausstellung für kleine und große Liebhaber. „Wir sind stolz, die größte und qualitätsvollste Sammlung an Schildkröt-Puppen auf der Welt in diesem Jahr wieder zu zeigen“, sagte der Vorsitzende, Wolfgang Reinhard. In diesem Jahr feiern die Aussteller 150 Jahre Schildkröt. Deshalb steht bei der diesjährigen Puppenschau auch das Jubiläum des Neckarauer Unternehmens im Mittelpunkt.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Puppenausstellung steht das Jubiläum 150 Jahre Schildkrötfabrik. Auf dem historischen Foto rechts ist der Tisch einer ehemaligen Mitarbeiterin, Gerda Elm (2. von rechts), der Firma Schildkröt zur Bearbeitung der Puppen zu sehen. © Sylvia Osthues

Die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik war um 1900 mit 6000 Beschäftigten größter Arbeitgeber in der Region. Auf einem der historischen Fotos mit Arbeiterinnen in der Fabrik zu sehen ist beispielsweise Gerda Elm. Die heute 91-jährige Besucherin erzählt, dass sie 75 Jahre in der „Schildkröt“ gearbeitet hat.

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Das Unternehmen wurde im Jahre 1881 von Friedrich Julius Bensinger gegründet und stellte Produkte aus Hartgummi her, wie beispielsweise Griffe für Schirme und Stöcke, Telefonhörer und Tennisbälle. Sie sind ebenso in der diesjährigen Ausstellung zu sehen, wie die bekannten Schildkröt-Puppen. „Erst nach dem großen Brand im Jahr 1896 hat sich das Unternehmen neu orientiert und Puppen hergestellt“, erzählt Norbert Staab, zweiter Vorsitzender des Heimatvereins.

Es war die Zeit, in der die ersten Gastarbeiter nach Neckarau geholt wurden - weil es hier niemanden gab, der die Puppen bemalen konnte. Sie kamen aus Böhmen und dem Bayerischen Wald. Noch bis in die 1950er-Jahre wurde in Neckarau ein Bayernfest gefeiert. In Heimatarbeit wurden die Puppen zusammengebaut und bemalt. „Es war eine typische Frauenarbeit als Heimarbeit und Nebenerwerb zur eigenen Landwirtschaft“, berichtet Staab.

Infos zur Schildkröt-Puppenausstellung

Die Schildkröt-Puppenausstellung des Vereins Geschichte Alt Neckarau im Wappensaal des Neckarauer Rathauses,
Rheingoldstraße 14, ist auch am Dienstag, 26. Dezember, sowie am Montag, 1. Januar, und Samstag, 6. Januar, jeweils von 14 bis 17 Uhr geöffnet.-ost-

Neben Hofhaltung mit Gartenarbeit, Küche und Kindererziehung wurden bis 1975 die bekannten Schildkröt-Puppen in Heimarbeit hergestellt, die ein Markenzeichen der Firma wurden. Die Puppensammlung des Heimatvereins umfasst inzwischen circa 600 Puppen. Sie werden von Marga Steiner, Irene Gärtner und dem hauseigenen Puppendoktor, Gerhard Ruf, im Vorfeld hergerichtet und es erfolgt eine Auswahl für die alljährliche Ausstellung.

Das "Strampelchen" aus dem Jahr 1950. © Sylvia Osthues

„Alle auf einmal zu präsentieren wäre schier unmöglich“, sagte Steiner. Und so ist die Ausstellung jedes Jahr wieder anders und immer wieder neu. „Die Ausstellung hat nicht nur hohen materiellen Wert, sondern auch ideell und historisch, weil viele Kinder mit den Puppen gespielt haben“, sagte Schirmherrin Lore Herbert. Eine Schildkröt-Puppe war für die Kinder in den 50er, 60er Jahren ein Schatz, sie wurde gut behandelt und war durch das Celluloid auch gut zu benutzen, so dass die Kinder viel Freude gehabt haben. Stadtrat Bernhard Boll (SPD) erklärte: „Die Puppenausstellung des Heimatvereins ist ein besonderer Schatz, denn sie zeigt nicht nur die Geschichte der Puppenliebe, sondern ist auch Ausdruck der Industrie- und Kulturgeschichte der Stadt.“ Puppen sind seit dem 8. Jahrhundert vor Christus ein bedeutendes Kulturgut. Sie sind nicht nur Spielzeug, sondern auch Anschauungs- und Lernprojekt, wie beispielsweise in der Säuglingspflege. Die Ausstellung im Alten Neckarauer Rathaus beeindruckt durch die Vielfalt der gezeigten Puppen. Jede Puppe hat eine besondere Geschichte, einen speziellen figürlicher Ausdruck und trägt unterschiedliche Mode, entsprechend der jeweiligen Zeit. Das macht Geschichte greifbar und lädt zum Austausch ein. Die Puppenausstellung ist wertvoll, weil sie Ausdruck ist für ein kollektives Gedächtnis. Die Besucher können so lernen, wie die Vorfahren gelebt haben. Dazu trägt der Verein Geschichte Alt Neckarau durch die sehenswerte Puppen-Ausstellung über den Stadtteil hinaus bei.

Nicht nur Spielzeug, sondern auch Anschauungsobjekt: Faszinosum Puppen. © Sylvia Osthues

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