Speyer. Es war acht Tage vor Weihnachten im vergangenen Jahr, da zählte die Domstadt zu den zehn am schlimmsten von Corona betroffenen Kommunen in Deutschland. Über 500 stieg damals die Sieben-Tage-Inzidenz nach einem nicht mehr kontrollierbaren Ausbruch des Virus in der Stadt. Tagelang ging das so. Die beiden Krankenhäuser waren am Anschlag. Die Behörden kamen mit der Kontaktnachverfolgung faktisch nicht mehr hinterher. Sogar ein Streit über den optimalen Standort eines Gesundheitsamts entbrannte zwischen Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler (SPD) und dem Landrat des Rhein-Pfalz-Kreises Clemens Körner (CDU). Elf Monate später verzeichnet man in Speyer eine der höchsten Impfquoten im Land. Ob das eine mit dem anderen etwas zu tun hat? Schwer zu sagen.
Statistiken können manchmal zu einer trügerischen Sicherheit führen. So zum Beispiel die Auflistung von Daten über die in Speyer geimpften Menschen. 90 Prozent sind es nach aktuellen Veröffentlichungen der Behörden. Dieser Umstand veranlasste am Wochenende sogar die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) zu einem Blick nach Speyer. „Wie ist das gelungen?“, lautete die Frage. Eine Antwort darauf beinhaltet mehrere Aspekte. Ein nicht zu vernachlässigender ist das Engagement von Gerald Haupt (Urologe) und Peter Bödeker (Schuhhändler). Während der eine die Impfdosen brachte, sorgte der andere für eine „Drive-Thru“-Möglichkeit im Speyerer Gewerbegebiet Auestraße. Menschen konnten sich AstraZeneca spritzen lassen, während sie im Auto saßen.
Corona in der Region
Niederschwellige Angebote
So rollte schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt im März eine Blechlawine aus der erweiterten Rhein-Neckar-Region auf die Domstadt zu. Sogar Münchner hatten sich auf den Weg gemacht. Tausende Dosen gelangten in die Oberarme von impfwilligen Menschen, die selbst oft gar nicht aus Speyer kamen. Die Impfquote schoss in die Höhe. Speyer wurde von außen gefeiert und gleichzeitig kritisch beäugt. Nur in der Domstadt selbst regte sich zu diesem Zeitpunkt leiser Protest. Einheimische würden nicht genügend von der Impfung profitieren.
Das änderte sich erst bei weiteren Aktionen dieser Art. 7000 Leute sind auf diesem Weg zunächst immunisiert worden. Im Rathaus in Speyer vertritt die Oberbürgermeisterin heute die Ansicht, dass die Drive-Thru-Impfungen sicher einen großen Anteil an der hohen Quote der Stadt Speyer haben. Dennoch sei die hohe Impfquote insgesamt auf das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen.
Zwei auf der Intensivstation
Niederschwellige Angebote wie mobile Impfteams, Impfaktionen, Impfungen durch niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte, aber auch das Impfzentrum hätten ihren Teil beigetragen. In Rheinland-Pfalz sind laut Daten vom Montag etwa 67,8 Prozent der Einwohner vollständig geimpft, das entspricht in etwa dem Durchschnitt aller Bundesländer. Selbst in der kleinen Gemeinde Impflingen bei Landau, die schon aufgrund ihres Namens für eine Immunisierung prädestiniert sein sollte (wir berichteten im Februar), gibt es den einen oder anderen Impfgegner. Hier sind bisher rund 70 Prozent geimpft.
Trotz der leicht trügerischen 90-Prozent-Quote ist Corona in Speyer nicht vorbei. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses am Montag: „Wie sämtliche Kliniken bundesweit spüren wir einen Anstieg der Corona-Patientenzahlen. Aktuell versorgen wir 18 Corona-Patienten, davon zwei auf der Intensivstation.“ Beide Intensivpatienten müssten beatmet werden. Zehn der 18 Patienten seien vollständig geimpft. Sowohl auf der isolierten Normalstation als auch auf der Intensivstation stünden noch Betten zur Verfügung. Ein weiterer Anstieg der Patientenzahlen würde die angespannte personelle Situation weiter verschärfen und an die Grenzen der Belastbarkeit führen. Aktuell seien die Zahlen etwas niedriger als im Vorjahr.
Auch wenn Speyer aufgrund der Impfquote ein Exempel für eine vermeintlich gelungene Corona-Politik sein könnte, so ist die tatsächliche Impfquote mutmaßlich niedriger.
Detaillierte Daten zu Impfungen wären dringend notwendig, sagte Oberbürgermeisterin Seiler zur FAZ. Nach Darstellung der Stadtchefin hat die Bundesrepublik in den bald zwei Jahren Pandemie wenig hinzugelernt. Das Land stehe gewissermaßen blind in der vierten Welle. Dass die kostenlosen Bürgertests zwischenzeitlich für die Bevölkerung abgeschafft worden seien, sei ein Fehler gewesen.
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