Musical

Sehenswerte "Anatevka" zu Gast im Pfalzbau Ludwigshafen

Aktuelle Bezüge soll man mitdenken, aber insgesamt ist das Musical "Anatevka" doch vor allem eine volkstümlich unterhaltsame Angelegenheit: Das Gastspiel aus Saarbrücken im Pfalzbau ließ keine Wünsche offen

Von 
Uwe Rauschelbach
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Gastspiel in Ludwigshafen: Szene aus der Saarbrücker „Anatevka“. © Kaufhold

Ludwigshafen. Vieles spricht für die anhaltende Beliebtheit von „Anatevka“. Das Saarländische Staatsorchester, das mit dem Opernchor und der Statisterie des Saarländischen Staatstheaters im Ludwigshafener Pfalzbau gastiert, tut alles, um das Musical einer Gegenwart anzuempfehlen, für die jenes Schtetl im zaristischen Russland freilich nur als Fantasieprodukt existiert.

Doch das war Anatevka bereits, als der jiddische Schriftsteller Scholem Alejchem seine Erzählungen über den Milchmann Tevje und seine fünf Töchter aufgeschrieben hat. Noch halten Traditionen und Konventionen diesen Mikrokosmos zusammen. Aber die Zeiten ändern sich. Die Jungen rebellieren gegen die Alten, frei gewählte Liebesbeziehungen lösen Heiratsvermittlungen ab. Überall lauert die Revolution. Und am Ende müssen die Bewohner aus ihrem Schtetl fliehen.

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Im dörflichen Anatevka konzentrieren sich jüdische Erfahrungen von Verfolgung und Vertreibung. Der Bezug zur Lage in Nahost und die Zunahme antisemitischer Tendenzen ist, wie im Programmheft nachzulesen, erwünscht. Dennoch ist „Fiddler on the Roof“ (Fiedler auf dem Dach), so der Originaltitel des Musicals von Jerry Bock, in erster Linie ein kunterbuntes, volkstümliches, witziges Musical: mit Gesang, Tanz und zeitgeschichtlichem Flair.

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Der einsame Fiedler (Wolfgang Mertes) betrachtet das fröhlich-chaotische Treiben im Dorf von oben und spielt sich ein Lied dazu. Unten wird gefreit, gestritten und gefeiert, dass es eine Art hat. Milchmann Tevje wird von Enrico de Pieri als gutmütiger Patriarch, seine Frau Golde von Christiane Motter als zanksüchtiges Weib porträtiert. In weiteren herausgehobenen Rollen sind Nina Links (Zeitel), Eva Kammigan (Jente), Jon Jurgens (Mottel Kamzoil) und Nico Hartwig (Perchik) gesanglich wie darstellerisch eine gute Wahl. Algirdas Drevinskas gibt einen leicht vertrottelten Rabbi, und die traditionellen Kostüme (Claudio Pohle) wie die echten oder angeklebten Bärte weisen die Bewohner dieses Schtetls mit ihren ärmlichen Hütten als Angehörige einer Sippe aus, die ihrer Auflösung entgegensieht, das Ganze aber wahlweise mit derbem Humor oder mit melancholischer Ironie verdrängt.

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Gil Mehmert löst dieses Musical nicht aus seiner kultur-historischen Verortung und verzichtet in seiner Inszenierung auf Modernisierungen. Doch wenn der Wachtmeister (Pitt Simon) die Vertreibung ankündigt, wählt er die Worte Hans-Dietrich Genschers auf dem Balkon der deutschen Botschaft vor DDR-Flüchtlingen in Prag: „Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen . . .“ Der damalige Außenminister sicherte den Geflüchteten die Ausreise zu. Den Bewohnern Anatevkas steht hingegen eine gefährliche Flucht bevor. Justus Thorau leitet ein Klezmer-taugliches, auf der Höhe des Bühnengeschehens agierendes Orchester. Packende Chor- und Tanzeinlagen (Bart de Clerq) wechseln dank der flexiblen Drehbühne (Jens Kilian) rasch mit Detailszenen, die wie aus dem wahren Leben geschnitten sind und ihren Heile-Welt-Charakter trotzig behaupten. Fast wie im Märchen aus uralten Zeiten.

Freier Autor

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