Bestattungen

Einsam ins Grab? Wie Ludwigshafen mit Toten ohne Angehörige umgeht

Es kommt häufiger vor, dass Menschen vereinsamt sterben. Wenn sie dann noch mittellos sind, muss die Stadt für die Beerdigung aufkommen. Dem voraus geht eine aufwendige Suche nach Verwandten. Wir haben eine Bestattung besucht

Von 
Stephan Alfter
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Pfarrer Markus Wolf und ein Beschäftigter des Friedhofsamts sorgen für ein würdevolles Begräbnis von zehn Toten, die meist einsam und ohne Angehörige verstorben sind. © Stephan Alfter

Ludwigshafen. Was sagt es über unser Leben aus, wenn unserem Sarg auf dem Weg zur letzten Ruhestätte niemand folgt? Was haben wir während unseres irdischen Daseins nicht geschafft, wenn nicht ein enger Verwandter oder Freund die Urne mit unserer Asche durch den Friedwald trägt? Stattdessen schreitet da nur ein einziger einsamer Pfarrer? Wie viele Beziehungen haben wir vielleicht sogar zu Lebzeiten zerstört, wenn nun niemand davon Notiz nimmt, dass unser Herz aufgehört hat zu schlagen? Wenn es keine gute Freundin gibt, die ein letztes „Vaterunser“ für uns betet. Wenn es keinen Sohn gibt, der um seine Mama weint. Wenn nicht mal die ungeliebte Großcousine einen Strauß Blumen in dieses dunkle Erdloch fallen lässt, das unsere menschlichen Überreste aufnimmt.

Dienstag, 30. Juli, 10 Uhr, Hauptfriedhof in Ludwigshafen. Pfarrer Markus Wolf durchmisst die Trauerhalle mit langen Schritten und stellt sich dann vor eine kaum vorhandene Trauergemeinde. Seine Aufgabe ist es heute, zehn Personen im Namen des Herrn auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Ein Abschied von Menschen, die niemand zu kennen scheint.

Wolf trägt das Gewand eines katholischen Priesters, erinnert aber daran, dass sich Gott niemandem aufdrängen wolle - schon gar nicht im Tod. Niemand hat diese Beerdigung bestellt, niemand hat Kränze gestiftet oder Bilder auf den Sarg gelegt. Zehn Urnengefäße stehen nüchtern auf einem Holzschrein. In ihnen die Asche von toten Menschen, deren Namen auf einem gelben Blatt Papier stehen.

Stadt Ludwigshafen begibt sich auf die Suche nach Angehörigen

Was hat die Person ausgemacht? Was hat sie hinterlassen? Wo hat sie gewirkt? Warum musste sie so früh sterben? Wen hat sie geliebt? Was waren ihre Hobbys?

Pfarrer Markus Wolf, lange Jahre Militärseelsorger, kann leider nichts erzählen über den Lebensweg von Agathe, Michael, Christine, Rudolf, Karl-Heinz oder Gitte (Namen alle geändert) und die anderen vier Menschen, deren Asche heute im Boden verschwinden soll, ohne dass jemand für sie ein letztes Halleluja singen und eine Träne vergießen würde.

Die Urnen auf dem Schrein. © Stephan Alfter

Nicht einmal die leisen Klänge eines Requiems sind aus den Lautsprechern in der Trauerhalle zu hören. Für die Menschen, die hier heute beerdigt werden, gibt es keinen dieser bittersüßen Nachrufe in der Zeitung, die derart gerne gelesen werden, dass einige Gazetten ganze Rubriken damit füllen. Das einzige, was man über die verbrannten Körper in den mit Namen versehenen schwarzen Gefäßen zu wissen glaubt, ist der Umstand, dass sie allesamt recht einsam aus dem Leben geschieden sind.

Stadt Ludwigshafen sorgt für würdige Beerdigungen

Ausnahmen bestätigen die Regel: Etwa ein Dutzend Frauen ist gekommen. Sie stammen ursprünglich von den Philippinen, wie sich herausstellen wird. Sie trauern um eine Freundin, die unter den zehn Toten ist. Angehörige hat sie keine. Deshalb sorgt die Stadt Ludwigshafen dafür, dass die Frau würdig begraben wird. Ein Mann, der eine Beatles-Baseball-Mütze trägt und sie in der Trauerhalle abzunehmen vergisst, wird später sagen, dass die Verstorbene eine gute Seele und oft für andere da war.

Im Jahr 2023 zählte die Stadt Ludwigshafen 120 Verstorbene, bei denen kein bestattungspflichtiger Angehöriger mehr auszumachen war. Manchmal erweise sich die Suche nach ihnen als so umfangreich und zeitaufwendig, dass die Toten erst zu einem späteren Zeitpunkt beerdigt würden, sagt ein Sprecher der Stadt auf Anfrage. Im Jahr 2022 seien es 80 Personen gewesen, die ohne Angehörige verstarben. Melderegister-Abfrage, Internetrecherche, Notizen bei Banken und Versicherungen würden überprüft. Eine Bestattung, bei der die Stadt als Finanzierer einspringen muss, koste etwa 3200 Euro.

Wie geht eine Stadtverwaltung würdevoll mit ihren Toten um?

„Ja, die Anzahl der Personen, die ohne Angehörige sterben, hat in den vergangenen Jahren zugenommen“, lässt der Sprecher uns wissen. Einschränkend fügt er hinzu, dass Menschen, die ohne Verwandte sterben, nicht gleichzeitig immer mittellos sein müssten. In solchen Fällen fordere die Ordnungsbehörde die Bestattungskosten aus dem Nachlass zurück. Die postulierte Vereinzelung und Individualisierung dieser Gesellschaft - sie zeigt sich auch also im Sterben.

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Der bis ins Jahr 2010 amtierende Speyerer Oberbürgermeister Werner Schineller (CDU) hat einmal gesagt, dass sich die Kultur einer Stadt auch daran ablesen lasse, wie sie mit ihren Toten umgehe. Nicht zuletzt deshalb sei es sinnvoll, sich die Friedhöfe in Gemeinden anzuschauen, um ein klares Bild zu erhalten. Tatsächlich scheint sich in Ludwigshafen im vergangenen Jahr ein Perspektivwechsel vollzogen zu haben. Der würdige Umgang mit dem Tod und eine Beerdigung, die einen entsprechenden Charakter hat, gibt es in dieser Form seit dem Jahr 2023. Jedes Grab wird zur Beisetzung mit einem kleinen Blumengebinde geschmückt. An Metallstelen werden Namen, Geburts- und Sterbedaten angebracht. Immer am letzten Dienstag im Monat findet seither eine Beisetzung mit Begleitung der Kirchen statt.

Selbstverständlich spricht Pfarrer Wolf in seiner Trauerrede, die er seinen Worten zufolge auch ohne Zuhörer gehalten hätte, über die Einsamkeit und das Wurzeln schlagen. Es sind nachhallende Worte, die er findet. Und dann gibt es doch noch ein versöhnliches Ende. Die philippinischen Frauen stimmen Leonard Cohens Halleluja an - für alle zehn Verstorbenen. Tränen rollen.

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