Neue Hinweise

Brandkatastrophe in Ludwigshafen 2008: Justiz nimmt Ermittlungen wieder auf

Fast 16 Jahre nach einem Wohnhausbrand mit neun Toten in Ludwigshafen hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ein Gespräch in einem türkischen Gefägnis soll den Ausschlag gegeben haben

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Julian Eistetter
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Für neun Menschen kam jede Hilfe zu spät: Im Februar 2008 hat es in diesem Haus am Danziger Platz in Ludwigshafen gebrannt. © Boris Roessler/dpa

Frankenthal. Eine 80-köpfige Sonderkommission arbeitete vier Wochen lang rund um die Uhr, vier türkische Ermittler wurden in die Aufklärungsarbeit miteinbezogen, mehr als 100 Vernehmungen wickelten die Beamten ab, rund 200 Spuren gingen sie nach. Am Ende wurden die Ermittlungen zu der verheerenden Brandkatastrophe mit neun Toten am Danziger Platz in Ludwigshafen im Februar 2008 eingestellt. Als wahrscheinlichste Ursache für die Tragödie, bei der vier türkischstämmige Frauen und fünf Kinder ihr Leben ließen, galt damals Fahrlässigkeit.

Jetzt könnte die Geschichte doch noch eine neue Wendung nehmen. Denn fast 16 Jahre nach dem Feuer hat die Staatsanwaltschaft Frankenthal die Ermittlungen wieder aufgenommen.

Das sagt Oberstaatsanwalt Hubert Ströber

Hintergrund sind neue Hinweise, die auf eine SWR-Dokumentation zu der Katastrophe zurückzuführen sind. Ein Informant habe sich darauf bei dem Sender gemeldet und von einem Gespräch zweier Männer in einem türkischen Gefängnis berichtet, in dem es um den Brand am Danziger Platz gegangen sei. Der eine Mann habe dem anderen gestanden, dafür verantwortlich gewesen zu sein. Das bestätigt auf Nachfrage der Leitende Frankenthaler Oberstaatsanwalt Hubert Ströber. „Wenn wir neue Erkenntnisse haben, gehen wir diesen Dingen natürlich ergebnisoffen nach.“ Den Fall bearbeite derselbe Oberstaatsanwalt, der die Ermittlungen schon 2008 geleitet hatte.

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Mit einer Einschätzung des Ganzen hält sich Ströber aber zunächst zurück. „Es gibt Hinweise, denen wir nachgehen. Aber auch, um zu sehen, wie werthaltig sie wirklich sind“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Sein erster Impuls sei es, „erstmal vorsichtig damit zu sein“. Denn noch könne er weder zum Informanten noch zu dem potenziell Verdächtigen aus dem türkischen Gefängnis weitere Angaben machen. Offen bleibt damit also vorerst auch die Frage, ob es sich um einen Deutschen handelt.

Recep Tayyip Erdogan zu Besuch in Ludwigshafen

In diesem Fall könnte das durchaus von größerer Bedeutung sein. Denn nach der Katastrophe wurden damals Parallelen zu Brandanschlägen auf Türken in Solingen oder Mölln gezogen, es wurde insbesondere in türkischen Medien ein rechtsextremer Hintergrund vermutet. Die Ermittler standen unter einem enormen Druck von außen, der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan besuchte Ludwigshafen und den Ort des Geschehens. Das führte zumindest zu einer leichten Beruhigung der angespannten Lage, in der auch den Rettungskräften Fremdenfeindlichkeit unterstellt wurde.

Auch wegen dieser Brisanz des Falls will sich Hubert Ströber nicht zu forsch äußern. Schließlich gebe es auch noch Überlebende und Angehörige der Opfer, die durch die neuen Informationen wieder aufgewühlt werden könnten. „Wir wollen nicht zu viele Hoffnungen schüren, die dann am Ende vielleicht enttäuscht werden müssen“, so der Chefermittler. Man nehme die Hinweise aber gerade wegen der Tragweite des Falls sehr ernst. Die Polizei habe einen Ermittlungsauftrag erhalten, die Akten befinden sich derzeit dort. Informationen, wonach bereits Zeugen vorgeladen worden seien, bestätigt Ströber nicht.

Menschen springen aus Fenstern - Bilder gehen um die Welt

Die Tragödie ereignet sich am 8. Februar 2008. Weil an diesem Tag der Fasnachtsumzug durch Ludwigshafen rollt, sind in der Stadt viele Einsatzkräfte unterwegs. Entsprechend schnell ist die Feuerwehr am Brandort. Über dem Dach sind zu diesem Zeitpunkt dunkle Rauchwirbel zu sehen, die einen sogenannten Flashover ankündigen. Bei einer solchen Rauchgasdurchzündung steht ein Gebäude nach Sekunden lichterloh in Flammen, wie der Leiter der Ludwigshafener Berufsfeuerwehr, Stefan Bruck, zum zehnten Jahrestag der Katastrophe im Gespräch mit dieser Redaktion erklärte.

47 Menschen werden innerhalb kürzester Zeit aus dem Gebäude gerettet. Für die neun Opfer kommt jedoch jede Hilfe zu spät. 20 weitere Menschen werden schwer, rund 60 leicht verletzt. Bilder von Menschen, die in Todesangst aus Fenstern springen, gehen damals um die Welt. Genauso wie das Bild des damals acht Monate alten Onur, der von seinem Onkel aus dem dritten Stock geworfen wird und wohlbehalten in den Armen eines Polizeibeamten landet.

Ein Attentat schließen die Ermittler damals nach intensiver Arbeit aus. Brandbeschleuniger habe nie nachgewiesen werden können, auch die hohe Polizeipräsenz wegen des Umzugs spricht für die Behörden damals dagegen. Das Feuer soll unter einer hölzernen Kellertreppe in einem Schutthaufen ausgebrochen sein. Fahrlässig oder doch gelegt? Diese Frage stellt sich nun erneut.

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Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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