Ludwigshafen. „Das Haus war eine Ruine – Sie konnten vom Keller direkt in den Himmel schauen“, sagt Eberhard Weber und deutet auf ein Foto. Wenn der ehemalige Leiter der 80-köpfigen Sonderkommission „Danziger Platz“ über die Ermittlungen nach der Brandkatastrophe von Ludwigshafen spricht, klingt seine Stimme sachlich. Nur unterschwellig schwingt die Wucht jener Bilder mit, die heute vor zehn Jahren um die Welt gegangen sind. Es sind Bilder von Menschen, die in Todesangst aus dem Fenster springen, von lodernden Flammen und von dem acht Monate alten Onur, der von seinem Onkel aus dem Fenster geworfen wurde und wohlbehalten in den Armen eines Polizeibeamten gelandet ist. Neun Menschen überleben das Inferno nicht, 20 werden schwer, 60 weitere leichter verletzt. „Das alles jagt mir heute noch Schauer über den Rücken“, erzählt Weber, der heute Vizepräsident des Polizeipräsidiums Rheinpfalz ist.
Nach 90 Sekunden vor Ort
„Vergessen kann man so etwas nie, man muss nur lernen, mit den schrecklichen Bildern zu leben“, sagt der Leiter der Ludwigshafener Berufsfeuerwehr Stefan Bruck. Obwohl man 90 Sekunden nach der Alarmierung am Danziger Platz war, sei es um Minuten gegangen: „Über dem Dach haben wir dunkle Rauchwirbel gesehen, die einen ,Flashover’ ankündigen. Ähnlich wie bei einem Kamin steht ein Gebäude bei so einer Rauchgasdurchzündung in Sekunden lichterloh in Flammen. Da kann man nichts mehr machen.“
Schlimm seien später die Anschuldigungen gegen die Retter gewesen, denen türkische Medien Fremdenfeindlichkeit unterstellten. „Wir wurden öffentlich beleidigt und angegriffen, ein Kollege ist körperlich angegangen worden. Das hat uns tief getroffen“, denkt der Personalchef von 2008 zurück. „Wir waren wegen des Fasnachtsumzugs sehr schnell vor Ort und haben mit der Polizei 47 Menschen aus dem brennenden Haus gerettet. Dass es neun Opfer gab, hat uns alle unendlich belastet.“ Die Anfeindungen seien für die meisten unfassbar gewesen: „Wir hatten ja nichts falsch gemacht.“ Die Stimmung war politisch aufgeheizt: „Es sind sofort Parallelen zu den Brandanschlägen auf Türken in Solingen und Mölln gezogen worden, die einen rechtsextremen Hintergrund hatten“, so Bruck.
„Das hat einen hohen Druck erzeugt. Die Politik wollte schnell Ergebnisse“, erinnert sich Weber. „Mehr als vier Wochen hat die Soko rund um die Uhr gearbeitet. Aber die Ermittler konnten das stark einsturzgefährdete Gebäude erst drei Tage nach dem Feuer betreten, um nach Spuren zu suchen“, so Weber. Allein elf Container Brandschutt seien geborgen, auf das Gelände der Bereitschaftspolizei nach Enkenbach-Alsenborn geschafft und dort untersucht worden. Es gab über 100 Vernehmungen und 200 Spuren. Darunter viele Nebelkerzen: So veröffentlichte eine türkische Boulevard-Zeitung das Phantombild eines Mannes, der an einer Tankstelle in der Nähe des Danziger Platzes Benzin gekauft haben soll. Es gab ein Bekennerschreiben, das dieser Zeitung zuging und Mädchen, die einen Mann im Hausflur hatten zündeln sehen. „Wir sind allen Hinweisen nachgegangen – und waren sie noch so absurd“, betont Weber. Der Besuch des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ludwigshafen sowie die Mitarbeit von vier türkischen Ermittlern habe etwas Ruhe gebracht.
Keine Brandbeschleuniger
Einen Anschlag habe man aber erst drei Wochen später ausschließen können: „Als feststand, dass das Feuer unter der hölzernen Kellertreppe ausgebrochen war und schon bis zu drei Stunden geschwelt haben kann, bis die Treppe in Flammen stand.“ Für einen mutmaßlichen Attentäter sei der Brandort viel zu weit vom Eingang entfernt gewesen, die hohe Polizeipräsenz wegen des Umzugs und die Familienfeier – wegen der sich statt der gemeldeten 24 Personen rund 60 im Unglückshaus befanden – sprachen klar gegen einen Anschlag. Auch Brandbeschleuniger seien nie entdeckt worden. „Die Kellertreppe wurde ab- und in Enkenbach wieder aufgebaut. Wir haben sie, wie den Schutt, mit Hunden und Gaschromatographen untersucht.“
„Die Bilder der Tragödie vom 3. Februar 2008 bleiben Teil unseres Lebens“, betonen Weber und Bruck. Damit zu leben, ist schwierig. „Mehrere Feuerwehrleute sind nach diesem Einsatz nie mehr in den Dienst zurückgekehrt“, sagt Bruck leise.
Fakten
Beim Brand eines Ludwigshafener Mehrfamilienhauses am 3. Februar 2008 sterben neun türkische Bewohner, vier Frauen und fünf Kinder. 47 Personen werden gerettet.
Rund 350 Helfer rücken aus. Viele sind zum Unglückszeitpunkt wegen des Fasnachtszugs im Hof des Carl-Bosch-Gymnasiums versammelt.
Die Feuerwehr ist 90 Sekunden nach der Alarmierung vor Ort.
Laut Staatsanwaltschaft hat fahrlässiges Verhalten zu dem Unglück geführt.
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