Geschichte

Banküberfall der RAF - Wie der Terror nach Ludwigshafen kam

Von 
Julian Eistetter
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Ein Polizeiauto steht am 21. Februar 1972 nach dem Überfall vor der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank am Ludwigshafener Ludwigsplatz. © Stadtarchiv

Ludwigshafen. Es ist etwa 8.30 Uhr am 21. Februar 1972, als beim Ludwigshafener Polizeipräsidium plötzlich pausenlos die Telefone klingeln. Die Anrufer melden schwere Verkehrsunfälle im Stadtgebiet, Schlägereien, Diebstähle. Hektik bricht aus, Streifenwagen werden entsandt. Die Ereignisse überschlagen sich auf schier unglaubliche Art und Weise. Doch keiner der genannten Vorfälle hat tatsächlich stattgefunden. Es waren alles Falschmeldungen.

Zur gleichen Zeit stürmen acht schwer bewaffnete Männer und Frauen in weiten Mänteln die Filiale der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank am Ludwigsplatz in der Innenstadt. Eine Täterin gibt einen Schuss in die Decke ab. Aus der Kasse im Schalterraum entwenden die Kriminellen rund 130 000 D-Mark. Während mehrere Täter einen Angestellten in den Keller zwingen, um an die dortigen Tresore zu gelangen, halten Komplizen oben die Stellung und geben die Zeit durch. Noch 40 Sekunden. Noch 20 Sekunden. Um 8.35 Uhr, nur fünf Minuten nach ihrer Ankunft, sind die acht maskierten Männer und Frauen wieder fort. Und mit ihnen 270 000 D-Mark. Die ersten Streifenwagen fahren erst um 8.40 am Ludwigsplatz vor.

Rote Armee Fraktion

Die Rote Armee Fraktion (RAF) entstand aus der studentischen Protestbewegung in den 1960er Jahren, die sich gegen Kapitalismus, parlamentarische Demokratie und US-Imperialismus richtete.

Gegründet wurde die linksextremistische terroristische Vereinigung 1970 unter anderen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und Ulrike Meinhof.

In ihrer Geschichte war die RAF verantwortlich für mehr als 30 Morde, insbesondere an Führungskräften aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung.

Daneben verübte sie Anschläge, Banküberfälle und Geiselnahmen, wie im Jahr 1977 die Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer, Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Eine Serie von Anschlägen 1977 löste den Deutschen Herbst, eine Krise der Bundesrepublik aus.

1998 erklärte die RAF ihre Selbstauflösung. 2011 kam das letzte Mitglied aus der Haft frei



Klaus Jürgen Becker, stellvertretender Leiter des Ludwigshafener Stadtarchivs, hält am Montag, 21. Februar, 18 Uhr, für die Volkshochschule einen Vortrag zu dem Überfall, in dem er auch die Hintergründe erläutert. Der Vortrag ist ab 18 Uhr live auf dem Youtube-Kanal der VHS zu sehen.

Spekulationen und Hypothesen

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Dieser Montag im Jahr 1972 geht als der Tag in die Geschichte ein, an dem der Terror nach Ludwigshafen gekommen ist. Verübt wird der Banküberfall damals von der RAF, der Roten Armee Fraktion. Die linksextremistische Terrororganisation ist für zahlreiche Morde, Anschläge, Geiselnahmen und Überfälle in Deutschland verantwortlich. Die Ludwigshafener Tat, bei der kein Mensch verletzt wurde, jährt sich an diesem Montag zum 50. Mal.

Klaus-Jürgen Becker, stellvertretender Leiter des Ludwigshafener Stadtarchivs, hat sich ausgiebig mit dem Fall beschäftigt. Aus dem Nachlass eines Rechtsanwaltes, der bei einem Prozess in Kaiserslautern einen RAF-Terroristen vertreten hat, erhielt das Archiv stapelweise Akten - auch über die Tat in Ludwigshafen. „Das alles ist sehr spannend“, sagt Becker im Gespräch mit dieser Redaktion. Denn der gesamte Komplex sei umrankt von Spekulationen und Hypothesen, klare Belege fehlen jedoch. „Letztlich wurde für den Überfall niemand verurteilt“, berichtet der Historiker. „Die einzige Täterin, die man anhand der Beweise hätte überführen können, Ingeborg Barz, ist verschwunden. Niemand weiß, ob sie vielleicht aus den Reihen der RAF hingerichtet wurde, oder ob sie sich mit einer neuen Identität in den Irak abgesetzt hat.“

Die Liste der übrigen Verdächtigen ist prominent besetzt. Carmen Roll. Klaus Jünschke. Wolfgang Grundmann. Thomas Weisbecker. Manfred Grashof. „Doch trotz sehr akribischer Polizeiarbeit gab es letztlich keine ausreichenden Spuren“, sagt Becker. Verhöre, Gegenüberstellungen, Haarproben - nichts davon konnte einen der Verdächtigen überführen. In Haft kamen sie alle wegen anderer Straftaten. Bei der Festnahme von Carmen Roll sei zwar eine große Summe Geld gefunden worden, das möglicherweise von dem Ludwigshafener Überfall stammen könnte. Letztlich ist aber auch das nicht nachweisbar. „Aus dem Täterkreis hat niemand ausgesagt. Es gab lediglich einen Kronzeugen, der behauptet hat, dass die gesamte RAF-Prominenz um Ulrike Meinhof und Andreas Baader die Tat in Ludwigshafen verübt hat. Aber das war nicht sehr glaubwürdig“, so Becker.

Auch 50 Jahre nach dem Überfall ist der Stadtarchivar noch fasziniert von dem professionellen Vorgehen der Täter. „An den vielen Anrufen bei der Polizei, die Verwirrung stiften sollten, sieht man, dass noch mehr Personen beteiligt gewesen sein müssen“, sagt er. Auch die kürze der Zeit, in der die Terroristen die Bank leergeräumt hatten, sei verblüffend. „Als Fluchtautos nutzten sie einen BMW 2000 und einen Ford 20, schicke Autos, mit denen RAF-Terroristen zu dieser Zeit eher nicht in Verbindung gebracht wurden. Die Behörden hatten schmuddelige bärtige Männer vor Augen, die Blechbüchsen fahren.“

Die Flucht führt das RAF-Kommando über Jaegerstraße und Berliner Straße. Auf dem Weg verursacht eines der Autos einen Unfall. „Im Nachgang hat die Unfallbeteiligte erzählt, dass die Terroristen sie einfach frech angegrinst haben und weitergefahren sind“, berichtet Becker. Nach nur wenigen Kilometern stellen die Täter die auffälligen Fluchtfahrzeuge auf im Vorfeld festgelegten Parkplätzen ab und wechseln in andere Autos. „Das war alles bis ins kleinste Detail vorbereitet.“ Danach verliert sich die Spur. Auf einem Autobahnparkplatz wird Ingeborg Barz noch dabei beobachtet, wie sie die Kennzeichen an einem Auto wechselt. Womöglich haben die Terroristen die französische Grenze passiert.

Konspirative Wohnung in Süd

Der Ludwigshafener Fall vereint für Klaus-Jürgen Becker den gesamten RAF-Kosmos im Kleinen, verbildlicht die Geschichte der Terrorvereinigung an einem Ort. In der Van-Leyden-Straße im Stadtteil Süd mieten die RAF-Terroristen am 13. Januar 1972 eine sogenannte konspirative Wohnung mit Garage an. Konspirative Wohnungen dienen in erster Linie dem Zweck, illegale Aktionen vorzubereiten. „Im Eingangsbereich befanden sich ein Teppich, eine Lampe und ein Bild. Der Rest war vollkommen nackt. Die haben dort auf dem Boden geschlafen“, sagt Becker. Mieterin sei Ingeborg Barz gewesen. Nach dem Überfall seien die Täter nie mehr in die Wohnung zurückgekehrt. „Die Miete für März haben sie aber noch gezahlt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.“

Bereits am 2. März stürmt die Polizei die Wohnung - zeitgleich mit Objekten in Hamburg und Augsburg. In Augsburg treffen die Beamten auf Weisbecker und Roll, zwei der Verdächtigen aus Ludwigshafen. Weisbecker wird bei der Festnahme erschossen. Carmen Roll lebt laut Becker heute in Italien. Manfred Grashof ist Schauspieler an einem Berliner Theater. Wolfgang Grundmann war bis 2019 für die SPD Ortsvorsteher im Marburger Stadtteil Weidenhausen. Klaus Jünschke wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt, 1988 begnadigt und ist heute Sachbuchautor. Ingeborg Barz ist verschollen. Ob sie alle tatsächlich an dem Banküberfall am Montag, 21. Februar 1972 in Ludwigshafen beteiligt waren, bleibt wohl ungeklärt. An dem Tag, als die RAF den Terror nach Ludwigshafen brachte.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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