Lampertheim. Nach Jahrzehnten könnte die Zeit der Jagdpächter im Stadtwald enden. Die Verwaltungsspitze der Kommune will die sogenannte Regiejagd einführen, also die Vergabe von Jagderlaubnisscheinen für nicht verpachtete Flächen. Weil der Magistrat diesen Systemwechsel am Dienstag, 26. September, beschließen soll, wurde das Thema im Umweltausschuss leidenschaftlich diskutiert. Dabei geriet die Sitzung, die üblicherweise in ruhigem und geordneten Ton abläuft, zeitwillig zu einem denkwürdigen Spektakel. Der 82 Jahre alte Pächter, Günther Preuss, und der in Lampertheim lebende Leiter des Forstamts Groß-Gerau, Klaus Velbecker, kritisierten das Vorhaben vehement.
Streit über Drohnenbilder
Sie hatten den CDU-Abgeordneten Björn Hedderich an ihrer Seite, der sich fortwährend über aus seiner Sicht unbeantwortete Fragen beschwerte. Seiner Initiative war es zu verdanken, dass Velbecker in dem Gremium einen kurzen Vortrag halten durfte, obwohl das auf der Tagesordnung nicht vorgesehen war. Velbecker sagte, er sei über die zugrundeliegenden Erhebungen „erschüttert“, da sie nicht den Verfahren in Hessen entsprächen. „Es fehlt an handwerklichen Grundlagen“, was der Behördenleiter wiederum nicht näher erläuterte. Er sowie der betagte Pächter warfen der Stadtverwaltung zudem vor, es sei bei der Schätzung des Wildbestands methodisch unsauber gearbeitet worden.
Günther Preuss begründete das etwa mit dem Zeitpunkt des Drohnenflugs, der falsch gewählt worden sei. „Abenteuerlich sind diese Zahlen“, fügte er hinzu.
Zuvor hatten Jana Lichtblau vom Fachbereich Umwelt sowie die Experten Wulf Bieg und Uli Osterheld für den Systemwechsel geworben. Die Pacht der Gebiete West 1 und 2 - sie ist auf zehn Jahre angelegt - müsse im kommenden Jahr erneuert werden. Daher sei der Zeitpunkt günstig, die bisherigen Verhältnisse zu ändern, um den Wildbestand zu reduzieren. Ihrer Kalkulation zufolge kostet dieser Schritt etwa 10 000 Euro im Jahr, was aber durch Einsparungen beim Waldumbau mehr als wett gemacht werde.
Die Gutachter Bieg und Osterheld beraten bundesweit Forstbesitzer in Sachen Waldumbau und Jagd. Sie gehen davon aus, dass so viel Rehwild im Stadtwald lebt, dass die dringend benötigte Verjüngung der Pflanzenwelt nicht funktioniert. Als Grundlage für die These dienten etwa mehrere Beobachtungsflüge mit einer Wärmebilddrohne. Wie bereits berichtet, habe man dabei herausgefunden, dass auf 100 Hektar schätzungsweise bis zu 45 Rehe leben. Das sei deutlich zuviel und führe dazu, dass junge Bäume kaum vor Verbiss geschützt werden können. Der Jagdverband geht demnach davon aus, dass gerade einmal acht bis zehn Tiere auf einer solchen Fläche leben können, ohne größere Schäden zu verursachen.
Daher empfehle sich die konsequente Reduzierung der Tiere. Wie Gutachter Osterheld sagte, ist die Regiejagd zwar „kein Allheilmittel“. Mit vereinbarten Abschusszahlen seien Jäger gezwungen, sich regelmäßig um das Wild zu kümmern. Mit der Pacht habe man es lange probiert, „es hat nichts gebracht“. Damit liegt der Gutachter auf Linie der Stadtverwaltung, die als Eigentümerin des 1120 Hektar großen Waldes verpflichtet ist, dessen Erhalt zu sichern. Aus Sicht von Bürgermeister Gottfried Störmer (parteilos) haben die Pächter in der Vergangenheit zu wenig Rehe geschossen. Die Tiere verhinderten, dass der Forst verjüngt werden kann. Das aber sei dringend nötig. Erhebungen zufolge zeigen sich Schäden an 87 Prozent der Kiefern.
Zäune sind keine Lösung
Dass mit Blick auf den Pflanzennachwuchs akuter Handlungsbedarf besteht, gab der Experte Wulf Bieg zu Protokoll. Seinen Angaben zufolge waren die von ihm untersuchten Flächen außerhalb der umzäunten Bereiche so verbissen, dass man das standardisierte Verfahren zu Verbissschäden an keiner Stelle habe umsetzen können. Naturgemäß sei der Zustand innerhalb geschützter Räume besser.
Gleichwohl sei es gesetzlich vorgeschrieben, dass der Hauptbaum eines Waldgebietes ohne Schutzzaun hochkommt und überlebt. Aus Sicht von Bieg ist das bei der Kiefer aktuell mitnichten der Fall. „Der Wildbestand ist einfach viel zu hoch. Sonst wären die Kiefern nicht so verbissen.“ Dabei sei der Baum nicht beliebt bei Rehen.
Bei einem weiteren Niedergang des Waldes drohe der Verlust des PEFC- Zertifikats, das wiederum bei der Vermarktung von Holz eine Rolle spielt. Voraussetzung für ein solches Zertifikat ist die Selbstverpflichtung der Waldbesitzer für die nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Forste. Dazu müssen sie dafür sorgen, dass „angepasste Wildbestände“ herrschen. Schon heute seien elf Prozent der Flächen mit Zäunen gesichert, was wiederum Kosten von 45 000 Euro im Jahr verursache.
Mit der Regiejagd könnte die Stadt die Spielregeln insgesamt ändern, argumentierte Jana Lichtblau. So wolle man künftig mit der Intervallbejagung das Wild nur zu bestimmten Zeiten schießen, um den Tieren Ruhephasen zu gönnen. Außerdem könnte man Rehe gezielt an besonders empfindlichen Flächen des Forsts jagen. Bei einer zufriedenstellenden Abschussquote gäbe es künftig die Möglichkeit eine staatliche Förderung zu beantragen, was etwa 100 000 Euro im Jahr für den Waldumbau bringen könnte. Mit Blick auf die Kritiker sagte Lichtblau, die Untersuchungen des Status Quo seien für den internen Gebrauch erstellt worden. Die Entscheidung über Pacht- oder Regiewald könne die Stadt als Eigentümerin des Waldes selbst treffen.
FDP-Fraktionschef Gernot Diehlmann sprach sich für das Vorhaben der Stadtverwaltung aus. „Wir wollen in Zukunft noch einen Wald haben. Uns ist klar, dass die Umstellung der Jagd essenziell ist.“ Ähnlich äußerte sich Helmut Rinkel von den Grünen: „Wie es aussieht, hat die Regiejagd viele Vorteile gegenüber der Verpachtung.“ Carola Biehal (SPD) forderte, dass das Stadtparlament die nötige Entscheidung treffen soll, da der Systemwechsel den Haushalt betreffe. Das lehnte der Bürgermeister ab und wies auf die Gesetzeslage hin. Demnach hat der Magistrat das letzte Wort.
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