Lampertheim. Welche Freiheiten man in der Bundesrepublik durch das Grundgesetz genießt, ist den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern dieses Landes im Alltag wohl nicht so bewusst. „Außer man kommt aus einem Staat, in dem es solche Freiheiten nicht gibt“, sagt Masoumeh Omidi, während sie mit Mitschülerinnen und Mitschülern am Beruflichen Schulzentrum in Lampertheim, der Elisabeth-Selbert-Schule, über das Grundgesetz-Jubiläum spricht.
Die deutsche Verfassung wird am 23. Mai 75 Jahre alt. Und natürlich kennt die Gruppe junger Erwachsener sie aus dem Politikunterricht. „Trotzdem“, meint Senad Kukuljevic, der ursprünglich aus Bosnien und Herzegowina kommt, „seit ich in Deutschland bin, habe ich Lebensfreude. Und das hängt auch mit den Freiheiten zusammen, die im Grundgesetz festgehalten sind“.
Beispiele aus Ungarn und Iran
In seinem Herkunftsland lebte er in einer christlich geprägten Region. Dort seien er und seine Familie als Muslime „richtig ausgegrenzt“ worden. „Meine Mutter, die ein Kopftuch trägt, hat keinen Job bekommen. Religionsunterricht gab es für uns nicht“, erzählt er. Und auch sonst sei es mit der Schule dort nicht einfach gewesen. Dass in der Bundesrepublik niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, wie in Artikel 3 der Verfassung geregelt, bedeutet dem jungen Mann deshalb viel.
Elisabeth-Selbert-Schule in Lampertheim
- Die Elisabeth-Selbert-Schule in Lampertheim besuchen derzeit rund 800 Schülerinnen und Schüler.
- Sie werden von 65 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet.
- Die Bildungseinrichtung ist eines von zwei Beruflichen Schulzentren für den gesamten Kreis Bergstraße.
- Es gibt etliche Ausbildungszweige etwa im Bereich Sozialpädagogik, Mechatronik oder Wirtschaft und Verwaltung.
Masoumeh Omidi nickt. Für sie ist der Artikel 3 ebenfalls einer der wichtigsten Punkte des Grundgesetzes - weil er auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau garantiert. „Im Iran, wo ich aufgewachsen bin, durften Mädchen vieles nicht - nicht einmal singen oder Fahrrad fahren“, berichtet sie. Dort kämpfen die Frauen bis heute gegen Unterdrückung. Ein Zeichen ihres Protest ist das Ablegen des Kopftuchs, wogegen das Regime dort mit aller Härte vorgeht.
Überhaupt sei es ein großes Privileg, dass man in der Bundesrepublik auch gegen die Meinung der Regierung sein darf und dass es eine starke Opposition gibt. „Das ist in Ungarn nicht der Fall und auch die Gerichte werden immer mehr eingeschränkt“, macht Kitti Havasi deutlich, die ihre Kindheit in Budapest verbracht hat.
Tatsächliche Chancengleichheit gebe es aber auch in Deutschland nicht, merkt Paul Bauer an. Der angehende Erzieher würde gerne auch ein Recht auf Bildung ins Grundgesetz aufnehmen und merkt an, dass Sozialstaat und Demokratie weiter gestärkt würden, wenn Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhingen.
Einen weiteren wichtigen Punkt findet Haytham Kouka die Versammlungsfreiheit in Artikel 8. Der junge Mann aus Syrien begrüßt es beispielsweise, dass derzeit bei Demonstrationen auf die Belange der Palästinenser aufmerksam gemacht werden kann. Und das obwohl Deutschland aus historischen Gründen im aktuellen Krieg an der Seite Israels stehe, merkt Mitschüler Sajjud Alwindawi an.
Die Frage, wie zerbrechlich oder stark die Demokratie hierzulande ist, beschäftigt die jungen Leute auch. Gerade nach den „Deportationsfantasien“ einiger AfD-Politiker „muss sich jeder bei Wahlen genau überlegen, wem er seine Stimme gibt“, macht Paul Bauer klar.
Ein Blick zurück in die Geschichte mache bewusst, wie schnell sich die politische Lage in einem Land wieder ändern könne, sagt Kitti Havasi. So habe die Weimarer Republik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs (1918) nur wenige Jahre Bestand gehabt und mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler sei Deutschland in die nächste Katastrophe geschlittert.
Dennoch ist die angehende Fremdsprachenassistentin der Meinung, dass die Antidemokraten heute in Deutschland „nicht so einfach durchkommen“. „Die Geschichte sollten wir dennoch alle im Kopf behalten“, meint sie, „gerade Schülerinnen und Schüler der Elisabeth-Selbert-Schule.“
Dass ihre Schule den Namen einer der Mütter des Grundgesetzes trägt, sei für sie alle natürlich nicht jeden Tag Thema, sagt Mitschüler Harash Ram. Und trotzdem, erklärt die Gruppe unisono, sei es ihnen eine Verpflichtung.
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