Lampertheim. Ein junger Mann schlendert gedankenverloren über die Kirmes, sein Blick gilt dem Handy. Entgegen kommt ihm ein älterer Herr, der von „Typen wie ihm“ nur genervt ist. Aus Frust über „Schlafwandler und Egomanen“ rempelt er den Spaziergänger an. Passanten bekommen mit, wie dem jungen Erwachsenen eine „Lektion erteilt“ wird. Wie verhält man sich richtig in einer solchen Situation? Wo beginnt Zivilcourage, und ab wann wird es gefährlich? Fragen wie diese besprachen Frank Behrens und Polizeioberkommissarin Christina Wegerle während eines vierstündigen Gewaltpräventionstrainings im Alten Rathaus.
Zehn interessierte Bürger hatten sich angemeldet, um mehr über die Entstehung und Bewältigung solcher Stresssituationen zu erfahren. „Möglichst schnell aussteigen und nach Möglichkeit gar nicht erst einsteigen“, laute die oberste Devise bei solchen Konfrontationen, erklärte Frank Behrens. Der Sozialwissenschaftler hat sich zum Seminarleiter ausbilden lassen, um möglichst vielen Menschen, vom Schüler bis zum Senior, Helferkompetenzen zu vermitteln. Gestartet ist das Programm „Gewalt-Sehen-Helfen“ (G-S-H) im Jahr 1997 als Kampagne des Präventionsrats der Stadt Frankfurt. Damit sollte der „Unkultur des Wegsehens in Konflikt- und Gewaltsituationen eine Kultur des Hinsehens, der solidarischen Hilfe und der Zivilcourage“ entgegengesetzt werden. 2005 erwarb die Landesregierung die Nutzungsrechte und implementierte die Kampagne in das Programm „Netzwerk gegen Gewalt“. In vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen gibt es seitdem Schulungen.
Die Stadt Lampertheim hat sich der Initiative im Rahmen des Sicherheitsprogramms Kompass angeschlossen, an dem sie seit 2019 teilnimmt. Das Programm ist ein Angebot des hessischen Innenministeriums zur Erhöhung der Sicherheit in Städten und Kommunen. Auch wenn die Art und Weise, mit Konfliktsituationen umzugehen, immer auch eine individuelle sei, so ist es nach Einschätzung von Kursleiter Behrens jedem möglich, Hilfe zu leisten. Bei frühzeitigem Erkennen kritischer Situationen würden diese beherrschbar. Auf körperliche Voraussetzungen komme es dabei nicht an. Dass Menschen grundsätzlich helfen möchten, betonte auch Christina Wegerle. Ihren Zuhörern präsentierte die erste Schutzfrau vor Ort ein breites Repertoire an gewaltfreien Verhaltensweisen. In Rollenspielen brachten die Teilnehmer Alltagserfahrungen, Ideen und Kreativität mit ein. So sollen sie sich künftig selbstbewusster im eigenen Umfeld bewegen, offene Augen für Problemsituationen entwickeln und im Ernstfall Verantwortung im Gemeinwesen übernehmen.
„Das Trainingsprogramm ist vergleichbar mit einem DLRG-Schwimmschein. Es bietet den Rettungsschwimmer für den Stadtteil“, so der Vergleich von Frank Behrens. Der Kursleiter weiß, wovon er spricht: Er lebte zeitweilig in einem Brennpunkt in Offenbach. In Lampertheim hielten sich – trotz manchmal anderer Wahrnehmung – die Probleme seiner Meinung nach in Grenzen. Das bestätigt auch die amtliche Kriminalstatistik: Der Kreis Bergstraße zählt danach zu den sichersten Landkreisen in Hessen.
Info: Infos unter netzwerk- gegen-gewalt.hessen.de
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