Besondere Wohnungen

Wie es sich auf dem Anwesen des Hirschberger Schlosses Wiser lebt

Von 
Konstantin Groß
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Hirschberg. Na, das ist vielleicht eine Anfahrt - die hat nicht jeder! Wer unsere Gesprächspartner besucht, der steht zunächst vor einem schwarzen, schmiedeeisernen Tor mit zwei Kronen sowie den geschwungenen Initialen F und W. Nach kurzer Zeit öffnen sich die Flügel, der Gast fährt ein in den Hof, vor sich das Schloss des Grafen Ferdinand von Wiser, zur Rechten das frühere Rent-Amt. In diesem Seitengebäude wohnen der Chorleiter Volker Schneider im Erdgeschoss und die Fotogaleristin Beatrix Bossle im Stockwerk darüber.

Volker Schneider kommt dazu per Zufall. Als er eines Morgens die „Weinheimer Nachrichten“ aufschlägt, da springt ihm eine Streichholzschachtel-große Anzeige ins Auge: „Schlossherr gesucht!“ Eigentlich mehr im Spaß fragt er seine Frau Margarete: „Willst Du Schlossherrin werden?“ Der Graf von Wiser sucht Mieter für das 1715 errichtete frühere Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude, das sogenannte Rent-Amt.

Ehemaliges Rent-Amt

Wohnen direkt neben einem Schloss in Hirschberg

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An einem Samstag kommt es zum Besichtigungstermin. „Ich habe noch gesehen, wie ein hoher US-Offizier mit Body Guards und Chauffeur das Gelände verlässt, nachdem auch er sich mit seiner Frau die Räume angesehen hat, die sichtlich begeistert war“, erinnert sich Schneider: „Da dachte ich schon, wir gehen leer aus.“ Doch am Ende entscheidet sich der Graf für Schneider.

Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick, obwohl er die Räume erst im Rohbau sieht. Die Konzentration der 126 Quadratmeter Wohnfläche im Erdgeschoss auf eine einzige Ebene ist für ihn ideal als Alterswohnsitz. Da Schneiders im Erdgeschoss die ersten Mieter sind, haben sie die Möglichkeit, an der Detail-Gestaltung noch selbst mitzuwirken. So verzichten sie auf die ursprünglich geplante Trennung von Wohnzimmer und Küche durch Türen. So entsteht ein etwa 50 Quadratmeter großer Raum aus Wohnzimmer und Küche mit einem Holzkamin als wärmendem Mittelpunkt. „Die Heizkörper am Fenster können wir zumeist auslassen“, berichtet Schneider.

Im Innenhof schließt sich eine große Terrasse an; in den wärmeren Jahreszeiten spielt sich hier, hinter üppig blühenden Oleanderkübeln und unter großen gelben Brauerei-Sonnenschirmen, ein Großteil des Tagesablaufs der Schneiders ab.

Rent-Amt des Schlosses

  • Das Schloss wurde ab 1710 auf den Ruinen eines 1688 zerstörten Adelshofes errichtet. Es befindet sich im Besitz der Grafenfamilie von Wiser und wird von ihr bewohnt. Es ist damit eines von wenigen Schlössern in der Region, das privat genutzt wird.
  • Das Gebäude für das Rent-Amt wurde 1714 erstellt. Es diente als Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude für das Schloss. Im Trakt am Tor wohnte/wohnt der Schlossverwalter.
  • Der Gebäudetrakt am Schloss wurde Ende der 2000er Jahre baulich entkernt und nach modernen Wohnbedürfnissen hergerichtet. tin 

Doch noch faszinierender ist für Schneider die Umgebung: ein Pferdestall, ein Schuppen, der Weinkeller und der Garten. In dem fruchtbaren Boden des professionell aufgeschachteten Hügelbeetes gedeihen die verschiedensten Gemüse-, Kräuter- und Obstsorten. Inmitten dieser Naturpracht sitzt Schneider gerne mit einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein, um die Mittags- oder Abendsonne zu genießen.

Die Fotogaleristin Beatrix Bossle bewohnt seit knapp einem Jahr das Obergeschoss. Die Enkelin des Gründers der „Aachener Volkszeitung“ kommt Mitte der 1990er Jahre durch ihre Tätigkeit bei der Südwestdeutschen Verlagsanstalt (SVA) aus dem Rheinland in die Kurpfalz. Zunächst wohnt sie in Heidelberg, wo sie später auch eine Galerie, die „be art“, unterhält, bevor sie zwei Jahre lang in Afrika unterwegs ist.

„Eine Freundin gab mir den Tipp“, erzählt Bossle, wie sie auf das Rent-Amt kommt. Schon bald darauf folgt die Besichtigung. „Ich war spontan begeistert“, bekennt sie. Vor allem der 25 Meter lange, gerade Flur hat es ihr angetan: „Das bedeutet viel Platz für das Hängen von Bildern“, begründet sie: „Da kamen sofort Ideen für Projekte.“ Wenn Corona vorbei ist, sollen hier wechselnde Ausstellungen ihren Platz haben.

Stuckdecken und knarrende Holzböden prägen ein ganz besonderes Wohngefühl - gerade im Kontrast zu der modernen Möblierung. An manchen Stellen sind in den Holzdielen noch ganz alte Nägel vorhanden: „Die singen geradezu“, schwärmt Bossle. Und in der Küche läuft die Decke schief. „Der Küchenbauer hat ganz schön gekämpft“, schmunzelt sie. Sie jedoch entschied, diese ungewöhnliche Situation durch Beleuchtung zu betonen.

Begeistert ist sie auch vom Garten, in dem sie mit Hilfe der Gartengestalterin Sonja Maria Kaas einen Skulpturenpark einrichtet. Verwendung finden darin auch Steine des historischen Küchenbodens aus dem Schloss. Sukzessive (Fachbegriff: Work in Progress) sollen zwischen den 1000 frisch gepflanzten Blumenzwiebeln die Skulpturen platziert werden. Aber es gibt auch einen Nutzgarten: Die Pfefferminze, die hier angebaut wird, trocknet sie auf dem Dachboden.

„Eine andere Welt“

„Man tritt durch das Tor ein und hat Ruhe und Frieden“, schwärmt Bossle von ihrem Wohnort: „Man ist dann in einer ganz anderen Welt.“ Von ihrem Stockwerk aus blickt sie auf die angrenzende Kirche, die in der Abendsonne glänzt und nachts angestrahlt wird. Wenn Freunde zu Besuch sind, hört sie regelmäßig den geradezu begeisterten Ausruf: „Das gibt‘s doch gar nicht!“

Das gilt auch für den Sohn und die Tochter. Deren erste Frage lautet, ob es auch ein Schlossgespenst gibt. „Aber natürlich“, antwortet Bossle und verweist auf die nächtlichen Geräusche auf dem Dachboden. Das aber sind Fledermäuse. Auch diese wertvollen, weil seltenen Zeitgenossen fühlen sich hier echt wohl.

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