Geschichte - In Dossenheim geboren, in Schriesheim politisch aufgestiegen, in Leutershausen Rathauschef: Vor 85 Jahren übernahm August Reinhard den Chefposten in der Gemeinde

Wie der Judenhasser August Reinhard Bürgermeister von Leutershausen wurde

Von 
Stephanie Kuntermann
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Das Haus der jüdischen Familie Schriesheimer in der Leutershausener Hauptstraße 1, nach „Arisierung“ 1937 als Horst-Wessel-Haus Sitz der örtlichen Nazi-Partei. © WN

Leutershausen. Seine Antrittsrede vom September 1937 war ganz im Stil der Zeit. In der Judenfrage dürfe es keine falsche Sentimentalität geben, gibt ein Zeitungsbericht seine Worte wieder und zitiert weiter: „Wir müssen mit aller Härte an dieses Problem herantreten. Es ist am Ort noch manches nicht so, wie es sein sollte.“ So stellte sich der frisch ernannte Bürgermeister August Reinhard bei der NSDAP-Mitgliederversammlung vor. 85 Jahre ist das jetzt her, und die Vorgänge markieren einen Einschnitt in der Ortsgeschichte. Denn der fanatische Antisemit ließ seinen Worten bald Taten folgen.

Doch erst einmal zurück zum Anfang: August Johann Reinhard wurde am 23. Juli 1898 in Dossenheim geboren; seine Eltern waren Elisabeth/Lisette, geborene Stephan oder Stefan, und Johann Philipp Michael Reinhard, der einer Dossenheimer Familie entstammte. Am 21. März 1925 heiratete er Lina Katharina Sommer, deren Familie aus Schriesheim stammte. Webseiten für Ahnenforschung belegen, dass ihre Mutter, Margareta Forschner, einer alteingesessenen Familie entstammte.

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Von
Martin Tangl
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Gemeinderat in Schriesheim

Nach seiner Heirat ließ er sich in der Weinstadt nieder und arbeitete als Postbediensteter, wie der Hirschberger Ortschronist Rainer Gutjahr herausfand. 1933 gehörte Reinhard dem Schriesheimer Gemeinderat an, 1935 wurde er erneut in das Gremium berufen. Zwei Jahre später kam seine Karriere richtig in Schwung; das lag an der zerstrittenen NSDAP-Ortsgruppe des Nachbarorts. Deren Leiter Georg Hahn wurde 1936 abgesetzt; zunächst führte der Schriesheimer NSDAP-Bürgermeister Fritz Urban die Geschäfte. Im Juni 1937 legte Bürgermeister Georg Peter Hauck sein Amt nieder, wohl wegen Konflikten mit „hemdsärmeligen Hauruck-Methoden der NS-Gemeindepolitik“, wie Gutjahr schreibt. Der Kreisleiter brachte Reinhard ins Spiel, und am 2. Juli berief ihn Landrat Ludwig Vehsenbeckh ins Amt, zugleich wurde er Ortsgruppenleiter und trat beide Posten am 16. August an.

Zur selben Zeit verstarb Max Haarburger in der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch. Dass Leutershausener zur Beerdigung auf dem Jüdischen Verbandsfriedhof in Hemsbach kamen, empörte Reinhard. „Ungefähr 20 deutsche Volksgenossen“ hätten es nicht übers Herz gebracht, „dem Juden“ das letzte Geleit zu verweigern, ließ der Bürgermeister darauf in der Zeitung verlautbaren - eine unverhohlene Drohung an alle „Judenfreunde“.

Wenig später, am 8. September, erwarb Reinhard das Haus an der Hauptstraße 1 zum Preis von 10 000 Reichsmark vom bisherigen Eigentümer Alfred Schriesheimer für die Gemeinde. Man darf davon ausgehen, dass diese Weggabe nicht freiwillig erfolgte, denn seit 1722 gehörte das Gebäude Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und diente als Versammlungsort, bevor 1868 die Synagoge eingeweiht wurde.

Sitz der örtlichen Nazi-Partei

Zum 1. Oktober musste es geräumt sein, darauf zogen Parteiorganisationen dort ein, die Parteizentrale sowie eine Bücherei mit Propagandaliteratur - das Gebäude hieß fortan „Horst-Wessel-Haus“. Auch der Druck auf die Verwaltungsmitarbeiter nahm zu: Wer nicht in die Partei eintrat, riskierte, seine Arbeit zu verlieren. Am 1. April 1939 zogen die beiden letzten jüdischen Bürger fort, Greta und Fritz Stiefel. Nun sei die Gemeinde „judenfrei“, frohlockte Reinhard: „Die letzten Krummnasen verließen den Ort.“ Alfred Schriesheimer und seine Frau waren zuvor nach Karlsruhe gezogen; sie wurden 1940 nach Gurs deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

Bis zum Einmarsch der US-Armee war Reinhard im Amt; dann flüchtete er auf einem Fahrrad, das der Gemeinde gehörte. Lange war er untergetaucht, seine Frau gab an, nicht zu wissen, wo er sich aufhalte. Doch lebte er in Falkau im Schwarzwald, wo er Zimmer vermietete.

Geld von der Kommune

Anfang 1954 machte er wieder von sich reden, sein Anwalt meldete Ansprüche auf Zahlung eines „Übergangsgelds“ bei der Gemeinde an. Nach Grundgesetz-Artikel 131 und dem 1951 in Kraft getretenen entsprechenden Gesetz, das die Rechtsverhältnisse von Staatsdienern regelte, wollte er als „Beamter zur Wiederverwendung“ eingestuft werden, was ihm ein monatliches Einkommen von 300 Mark gesichert hätte.

In seinem Gesuch teilte er mit, dass sich sein Vorgänger, Ortsgruppenleiter Hahn, schlimmere „Ausfälligkeiten“ als er habe zuschulden kommen lassen - was der Gemeinderat allerdings anders sah, wie Gutjahr weiß. Um eine tatsächliche Arbeitsaufnahme ging es indes nicht. „Man habe Reinhard schon vor Monaten mitgeteilt, dass er bei der Gemeinde eine zumutbare Beschäftigung erhalten könne“, zitiert der Chronist. Der Ex-Bürgermeister legte allerdings ein Attest vor, das ihm bescheinigte, gesundheitlich dazu nicht in der Lage zu sein.

Ob tatsächlich eine Pension ausgezahlt wurde, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch das Ende Reinhards: Die Behörden führten ihn unter der Berufsbezeichnung „Bürgermeister außer Dienst“. Am 30. Juli 1972 starb er in Mannheim-Käfertal, Planetenweg 17. An dieser Adresse befindet sich noch heute ein Altenheim, das Zinzendorfhaus.

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