Hirschberg/Weinheim. Der beißende Geruch von Ammoniak weht den Polizisten aus dem dreistöckigen Wohnhaus entgegen. Leutershausener hatten die Ordnungshüter verständigt: Eine Katze stecke beim Nachbarn in einem gekippten Gaubenfenster fest. Als die Beamten vor Ort sind, stellen sie fest: Das arme Tier ist längst tot. Die Polizei klingelt an der Tür, doch niemand macht auf. Die Hausbewohner wurden seit einer Weile nicht mehr gesehen. Bei all den Alarmzeichen entscheiden sich die Beamten dazu, die Feuerwehr zu rufen, um mit ihr in das Eigenheim zu gelangen. Was sie im Inneren vorfinden, verschlägt ihnen den Atem. Das Haus ist nicht nur von oben bis unten vermüllt - sondern auch voller Katzen in teils erbarmungswürdigem Zustand.
Feuerwehr trifft im Inneren auf die Bewohner des Hause
Im Inneren treffen die Einsatzkräfte die Bewohner an. Es geht ihnen gut. Der Polizei berichtet die Hausbesitzerin: „Sie habe das Klingeln nicht wahrgenommen, auch die Katze im gekippten Fenster nicht. Sie habe gedacht, es sei eine freilaufende Katze, die draußen schreien würde“, erklärt Sprecher Tobias Hoffert vom Polizeipräsidium Mannheim.
Neben dem Veterinäramt des Rhein-Neckar-Kreises werden auch die Berufstierrettung Rhein-Neckar und das Weinheimer Tierheim an diesem Mittwochabend verständigt. „Als ich die Adresse gehört habe, dachte ich nur: Oh Gott“, erklärt Heimleiterin Jutta Schweidler gegenüber unserer Redaktion. Denn das Haus und die verheerenden Umstände sind ihr bestens bekannt. Schon vergangenes Jahr waren die Tierschützer vor Ort: Damals ließen sie rund ein Dutzend kastrieren, um gegen eine unkontrollierte Vermehrung vorzugehen. „Eigentlich waren die Besitzer auf einem guten Weg. Sie bestellten Container, um das Haus zu entmüllen und Tabula rasa zu machen“, erzählt Schweidler.
Als sie erneut in dem Leutershausener Eigenheim steht, kann sie kaum glauben, welche Auswüchse das Tierhorten und die Vermüllung in der relativ kurzen Zwischenzeit wieder angenommen haben. Die Tierschützer müssen sich ihren Weg durch „riesige Müllberge“ bahnen; es liegt Unrat und Katzendreck herum. Die Tiere wiederum haben sich Tunnel durch den Müll gegraben. Überall wimmelt es von ihnen.
„Allein im ersten Stock waren 40 Katzen - fast alles Rassetiere“, berichtet Schweidler. Demnach handele es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch um keine Streuner. Die Besitzerin, die gemeinsam mit ihren betagten Eltern in dem Haus wohnt, müsse sie gekauft haben. Und zwar für viel Geld. Die Bewohner können selbst nicht sagen, wie viele Tiere sich in dem Haus aufhalten. Die Tochter der Hausbesitzer erzählt Schweidler von ihrer Überforderung. Die Tierheimleiterin erklärt sich am selben Abend bereit, die ganz kleinen Katzen, insgesamt 14 Kitten, in Weinheim aufzunehmen. Doch die sind längst nicht das Ende der Fahnenstange.
Am Tag darauf sind Polizei und Veterinäramt vor Ort. „Es wurde die Wegnahme aller Katzen verfügt“, erklärt Ralph Adameit, Sprecher beim Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises. Seither hätten die Berufstierrettung und das Tierheim mit dem Einfangen der Katzen zu tun. „Da auch Freigänger-Katzen eingefangen werden müssen, kann sich diese Aktion noch mehrere Tage hinziehen“, so Adameit.
Bisher gab es drei Einsatztage, um die Tiere einzufangen
Nach drei Einsatztagen mit den Katzenfängern schätzt Heimleiterin Schweidler die Anzahl der geretteten Lebewesen auf 60 Tiere. Ob es bei den drei Einsätzen bleibt, ist fraglich. „Bei uns ist die Hölle los“, berichtet sie. „Wir haben Zimmer voller Katzen. Das Tierheim ist mehr als überfüllt.“ Gleichzeitig erlebe man eine Welle der Hilfsbereitschaft. Zehn Tiere wurden bereits nach Heppenheim gebracht, weitere wurden vorübergehend vom Erlebnishof Gerhardsbrunn nahe Kaiserslautern aufgenommen. Am Montag sollen zehn der Katzen ins Walldorfer Heim gebracht werden.
Michael Sehr, Leiter der Berufstierrettung, erklärt, dass Fälle von Tierhortung traurige Normalität geworden sind. Monatlich werde der Fachdienst wegen ähnlich gelagerter Fälle aktiv. Der Einschätzung des Experten nach häuften sich die Fälle immer mehr. Woran das liegt? Da könne man nur Mutmaßungen anstellen. „Ich glaube, es hat mit Corona zu tun, dass viele Menschen seither immer noch zurückgezogen leben“, so Sehr. Für die Katze, für die das gekippte Fenster zur Todesfalle wurde, kam jedenfalls jede Hilfe zu spät. Sie wurde nun ins Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe zur Sektion gebracht. Die Polizei erklärt indes, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet zu haben.
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