Hirschberg. Und - haben Sie es erkannt: das Gebäude, vor dem am Samstag das „MM“-Osterei lag? Das Herz der betreffenden Gemeinde. Auch geografisch nahezu im Zentrum dieser Kommune, die vor 50 Jahren als Zusammenschluss zweier bis dahin selbstständiger Orte geschaffen wird. Und dessen Notwendigkeit just durch jenen Zusammenschluss entsteht. Richtig: Es ist das Rathaus der Gemeinde Hirschberg.
Und diese Gemeinde ensteht bekanntlich genau vor 50 Jahren. 1975. Als Zusammenschluss von Leutershausen und Großsachsen. Zwar haben beide Orte eigene Rathäuser, doch keines reicht von seiner Größe her für die Verwaltung der neuen Fusionsgemeinde aus. Abgesehen davon, dass die Entscheidung für eines der beiden Ortsteil-Rathäuser die auf Grund der Fusion emotional ohnehin angespannte Atmosphäre zusätzlich belasten würde.
Langer Weg zur Entscheidungsfindung
Bereits im Fusionsvertrag vom 10. Januar 1974 wird daher in Paragraph 9 der Bau eines neuen zentralen Rathauses vorgesehen. Da andere vereinbarte Gemeinschaftsprojekte aber vordringlicher sind, dauert es jedoch mehr als zehn Jahre, bis das Vorhaben „Rathaus“ im Juni 1986 auf die Tagesordnung der Kommunalpolitik kommt. Die Idee einer dezentralen Verwaltungsorganisation, von den Grünen und Teilen der SPD zaghaft vorgebracht, wird nur kurz diskutiert - und verworfen.
Ein Gutachten ergibt für das neue Rathaus sechs mögliche Standorte, favorisiert aber - wie Bürgermeister Werner Oeldorf - das Grundstück in der Großsachsener Straße/Ecke Kapellenweg, ehemals zum nahe gelegenen Wiser’schen Schloss gehörig. An der Nahtstelle zwischen den zwei Ortsteilen gelegen, vermag es keinen der beiden zu benachteiligen.
Am 1. Februar 1988 startet der Architektenwettbewerb. „Die Gemeinde erwartet als Ergebnis eine ebenso unverwechselbare wie wirtschaftliche Lösung“, heißt es in der Ausschreibung. Auch barrierefrei soll das neue Gebäude sein, damals noch keineswegs selbstverständlich. „Auch Randgruppen wurden hier nicht vergessen“, lobt denn auch der Berichterstatter des „MM“ die Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung - jedoch in Worten, die heute niemand mehr wählen würde.
Bürger kippen Ergebnis des Architektenwettbewerbs
Der Rathausbau ist für Architekten lukrativ, und so beteiligen sich insgesamt 40 Büros, die meisten aus Mannheim und Heidelberg, wenige auch aus Weinheim. Am 16. Juni 1988 gibt das Preisgericht aus Fachleuten und Vertretern der Kommunalpolitik nach zweitägiger Beratung sein Urteil bekannt: Den ersten Preis holt der Mannheimer Reiner Schwambach, den zweiten der ebenfalls aus der Quadratestadt stammende Hans Richter.
An den Tagen danach erhalten die Bürger die Gelegenheit, in der Alten Turnhalle Pläne und Modelle in Augenschein zu nehmen und ihre Meinung kund zu tun. Und siehe da: Beim Bürgervotum liegt der Zweitplatzierte Richter klar vorne, der Favorit der Jury lediglich auf Platz 3.
Diesem Bürgervotum folgt denn auch der Gemeinderat: Am 20. Februar 1990 vergibt er den Auftrag für das Rathaus an Richter. Dafür votieren CDU, Freie Wähler und SPD, die Grünen dagegen. Die Kosten werden auf 5,8 Millionen D-Mark beziffert. Doch bereits als am 5. August 1991 der Erste Spatenstich gesetzt wird, liegen sie bei 6,2 Millionen.
Vier Mal wird an der Rathaus-Baustelle gefeiert
Drei Monate nach dem Spatenstich wird Grundsteinlegung gefeiert, und dies an einem besonderen Datum: am 9. November 1991, dem zweiten Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Und dieses Datum wird mit Bedacht gewählt: Denn am gleichen Tage wird auch die Urkunde über die Städtepartnerschaft mit dem sächsischen Niederau unterzeichnet.
Der Grundstein des Neubaus wird in einer Mauer eingelassen, die an das Foyer angrenzt und dessen Abdeckplatte daher sichtbar bleiben soll. Und die zeugt ebenfalls von einer Städtepartnerschaft, stammt sie doch aus dem französischen Brignais. In der Kassette platziert wird jeweils ein Exemplar der an der Bergstraße verbreiteten Zeitungen: Rhein-Neckar-Zeitung, Weinheimer Nachrichten, Mannheimer Morgen.
Und das Feiern nimmt gar kein Ende: Nach Spatenstich und Grundsteinlegung folgen am 28. Februar 1992 das Richtfest und am 15. Mai 1993 die Einweihung im Rahmen eines Volksfestes. Grund zum Feiern gibt es durchaus, denn der Bau ist im Zeitplan geblieben, allerdings nicht im Kostenrahmen. Anfang 1994 wird bekannt, dass das Bauwerk stolze sieben Millionen Mark kostet, also 700.000 mehr als geplant, eine Steigerung um über zehn Prozent. „Mir war’s ganz schwarz vor den Augen“, bekennt Bürgermeister Oeldorf zerknirscht im Gemeinderat.
Doch wie immer bei derartigen Verteuerungen haben die Verantwortlichen ihre Gründe. In diesem Fall: Der Untergrund des Bauwerks ist schlechter als vermutet. Hinzu kommt eine Ausgabe, die im Kostenvoranschlag schlicht vergessen wird, nämlich die Haustechnik für 100.000 D-Mark. Doch eine (damals) reiche Gemeinde steckt sowas weg: Die nötige Summe wird komplett aus den Rücklagen finanziert.
Zum Abschluss Kunstgalerie und Glockenspiel
Und so geht auch die Ausschmückung des Bauwerks im Inneren weiter. Im Oktober 1995 wird die Rathaus-Galerie eingeweiht - fortan Heimat von Kunstwerken, die von der Gemeinde während der sieben Hirschberger Kultutrage seit 1986 erworben werden, aber auch Ort wechselnder Ausstellungen.
1996 schließlich kommt das Glockenspiel aus Meißener Porzellan hinzu - eine Idee, die Bürgermeister Oeldorf bereits seit langem im Kopf hat, um die Tradition des Glockenspiels in Rathaus-Türmen an der Bergstraße auch bei diesem Neubau zu berücksichtigen. Und aus Meißener Porzellan soll es sein, da in der Nähe von Meißen ja Hirschbergs Partnerstadt Niederau liegt.
Allerdings ist für diesen i-Tupfen des Bauwerks kein Geld vorhanden. Eine Spendenaktion muss also her, die denn auch große Resonanz findet. Die kleinste Spende beträgt 24 D-Mark, die größte ist ein zweistelliger Tausenderbetrag. Insofern ist das Rathaus mehr als andere in der Region ein echtes Haus der Bürger.
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