Heidelberg. Psychische Belastungen in Homeoffice und Quarantäne, Arbeitsplatzverlust oder finanzielle Sorgen nach Kurzarbeit: Die Pandemie hat den Bedarf an sozialer Beratung und Unterstützung deutlich wachsen lassen, berichten die „großen Fünf“ der Wohlfahrtspflege in Heidelberg (AWO, Caritas, Paritätische, Deutsches Rotes Kreuz und Diakonie). Sie sehen in den nächsten Monaten und Jahren noch einiges auf sie zukommen.
Mit dem Fachkräftemangel sowie dem angespannten Wohnungsmarkt haben die Verbände es zwar auch schon vor dem Coronavirus zu tun bekommen - diese Effekte hätten sich indes unter dem Druck der Pandemie verstärkt. Dass sie sich vor fünf Jahren zu einer Liga zusammengeschlossen und die Kräfte konzentriert haben, habe sich bewährt, berichten die Vertreter von AWO, Caritas, Paritätischer, Diakonie und dem Roten Kreuz bei einem Pressegespräch am Mittwoch im Bürgerzentrum „Chapel“ in der Südstadt.
Aus Mannheim gesehen erscheint das „reiche“ Heidelberg gerne als „Insel der Seligen“. Doch genau hier beginnen die Probleme: „Es ist längst nicht alles Gold, was glänzt“, betont Stefanie Burke-Hähner, Geschäftsführerin des AWO Kreisverbands Heidelberg. Rund zehn Prozent der Heidelberger gelten laut einem von der Stadt in Auftrag gegebenen Bericht als arm. Susanna Re, Geschäftsführerin des Caritasverbands Heidelberg, fügt hinzu, dass „Armut nicht immer so offensichtlich“ sei - „aber das bedeutet nicht, dass sie nicht da ist“. Heidelberg sei „Pendlerstadt Nummer 1“, auch, weil sich viele Erwerbstätige keine Wohnung in der Unistadt mehr leisten könnten. „Unsere Kita öffnet um 7 Uhr - da wird es schwierig für auswärtige Mitarbeiter“, nennt sie ein Beispiel.
Martin Heß vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Heidelberg bestätigt ebenfalls, dass kaum einer der Mitarbeiter noch in der Stadt leben könne. Und Zahlen zur Armut in der Stadt seien auch nur bedingt belastbar, „wenn Hartz IV-Empfänger in den Rhein-Neckar-Kreis umziehen müssen“.
Freie Wohlfahrtspflege
- Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege Heidelberg ist ein Zusammenschluss der Wohlfahrtsverbände in Heidelberg (AWO, Caritas, Parität, DRK und Diakonie).
- Als Interessenvertretung der Wohlfahrtsverbände ist die Liga erste Ansprechpartnerin im Bereich Soziales für die Politik, kommunale Stellen, Behörden und weitere Institutionen des öffentlichen Lebens.
- Die Arbeitsfelder sind vielfältig: Hilfen für Alleinerziehende sowie Paar-, Ehe- und Lebensberatung, Dienste für Menschen mit Behinderungen, Hilfen in sozialen Notlagen, Menschen in Pflegeheimen und Menschen mit Migrationshintergrund oder geringem Einkommen.
Kündigung der Verträge verhindert
Dass ausgerechnet zum Ende des Pandemiejahrs 2021 die Stadt „vorsorglich“ alle Verträge mit den Verbänden gekündigt hatte, war ein Schock, wie sich Burke-Hähner erinnert. Zumal gerade Tariferhöhungen beschlossen worden waren. „Wenn jeder Einzelne von uns mit der Stadt hätte verhandeln müssen, wären wir sicher nicht so schnell einig geworden“, betont auch Heß.
Die Kündigungen wurden schließlich rückgängig gemacht. So sei man jetzt wieder „in guten Gesprächen mit der Stadt“, tausche sich regelmäßig auch mit Sozialbürgermeisterin Janssen aus - und spreche Probleme an, sobald sie sich abzeichnen. Drei Jahre stand Burke-Hähner als Sprecherin der Liga der „großen Fünf“ vor. Nun übergibt sie den Stab an ihre Kollegin Re. Die fünf Organisationen stehen für zusammen gut 1000 festangestellte Mitarbeiter. Dazu kommen Tausende ehrenamtliche Kräfte.
Die Fünf wechseln sich ab, damit an jedem Werktag eine Sozialsprechstunde angeboten wird. Das Beratungsangebot in der Pandemie aufrechtzuerhalten, sei eine Herausforderung gewesen. Zwar habe es einen Schub bei der Entwicklung der digitalen Formate gegeben - aber nicht jeder habe da mithalten können. Mit viel Einfallsreichtum hätten die Mitarbeiter versucht, in Kontakt zu bleiben: Stadtteilspaziergänge, Essen zum Mitnehmen in den Seniorenbegegnungsstätten, neue Beratungstelefone oder Unterlagen, die in Briefkästen deponiert oder durchs Fenster gereicht wurden, seien Beispiele dafür. „Aber das ist alles keine Dauerlösung“, blickt die neue Ligasprecherin voraus. Und: „Gute Sozialberatung funktioniert vor allem von Angesicht zu Angesicht“, unterstreicht Re.
„Der Liga-Zusammenschluss kommt unserer Klientel zugute“, zieht Hess nach fünf Jahren Bilanz des Bündnisses. „Soziale Sicherung funktioniert nur im Netzwerk“, beschwört Eva Oliveira (DRK Kreisverband Rhein-Neckar/Heidelberg) ebenfalls die Zusammenarbeit.
Wie belastet die geplante und viel diskutierte Impfpflicht für Pflegekräfte die Personalplanung der fünf Wohlfahrtspflege-Organisationen? Von AWO bis Diakonie scheint das in Heidelberg kein großes Problem zu sein. „Es wird den einen oder anderen geben, den wir verlieren werden“, vermutet Re zwar. Man erlebe aber, dass sich der eine oder andere Kritiker doch noch impfen lasse - die Impfpflicht komme schließlich einem Berufsverbot gleich. In zwei stationären Pflegeeinrichtungen der Caritas seien die Mitarbeiter zu 100 beziehungsweise 80 Prozent geimpft. Oliveira weiß von „weniger als einer Handvoll“ der 400 DRK-Mitarbeiter, die nicht geimpft seien. In der ambulanten Sozialstation, gibt Heß einen Einblick, seien von 28 zwei nicht immunisiert.
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