Heidelberg. Supermärkte, Büros, Arztpraxen, Schulen und Kitas geschlossen, Bewohner für Stunden aus ihren Wohnungen verbannt: Nach dem Fund einer 250-Kilo-Weltkriegsbombe im Bereich der Großbaustelle Europaplatz/Grüne Meile in der Heidelberger Bahnstadt herrschte am Freitagvormittag Ausnahmezustand. Um 14 Uhr, 23 Stunden nach dem Fund des Relikts aus dem Zweiten Weltkrieg auf einer Baustelle in der Nähe des Hauptbahnhofs, gab es Entwarnung: Die Bombe wurde ohne größere Probleme entschärft, und alle Bahnstädter konnten zurück in ihre Wohnungen.
In der Bäckerei „Laib und Leben“ am Langen Anger steht in der Frühe die Geschäftsführerin und organisiert ihren schnell entworfenen „Plan B“: Ihre frischen Backwaren lässt sie an eine Schule im Pfaffengrund liefern - lieber verschenken als wegwerfen. Gegenüber, am Fuß der Czernystraße, liegt ein Wohn- und Geschäftsblock. Die Supermärkte durften am frühen Morgen noch öffnen, mussten dann aber zumachen. Von der Evakuierung betroffen sind rund 4000 Bahnstadtbewohner, dazu Menschen, die in dem Bereich arbeiten. Viele sind am Abend vorher schon informiert, kommen gar nicht erst zum Arbeitsplatz. Rund 300 Einsatzkräfte sind im Einsatz - Landespolizei, Bundespolizei, Feuerwehr, Kommunaler Gemeindevollzugsdienst sowie Deutsches Rotes Kreuz.
Züge werden angehalten
Die Baustellen auf dem Europaplatz und dem neuen Kongresszentrum ruhen. Die Grundschule Bahnstadt mit Kita auf dem Gadamerplatz blieb am Morgen geschlossen. Die Halle 02 musste bereits am Donnerstagabend eine Veranstaltung absagen, weil sie unmittelbar neben dem Gefahrenbereich liegt. Auch der Bahnbetrieb im Hauptbahnhof ist betroffen. Kurz vor Mittag schließen der Ticketshop und der Buchladen. Dann wird der vordere Ausgang des Hauptbahnhofs gesperrt, drinnen läuft die Räumung an. Auf der Bahnstadtseite durfte man bereits ab dem Morgen nicht mehr zu den Gleisen. Alle Züge werden entweder umgeleitet oder ein paar Minuten lang angehalten. Auf der Bergheimer Seite des Bahnhofs sind das „F+U“-Schulzentrum und ein Geschäftskomplex mit Passage verwaist.
Im „SNP Dome“ hat die Stadt ein Ausweichquartier für die Bahnstadtbewohner eingerichtet. Wo sonst Basketballfans die Sportler anfeuern, sitzen nun gut drei Dutzend Frauen und Männer mit kleinem Gepäck. Meist sind es ältere Leute, die hier vorübergehend einen blauen Kunststoffsitz einnehmen. Mirczyslawa Wölk ist gerade aus dem Shuttlebus ausgestiegen, der am Langen Anger gestartet ist und zwischen der Sportstätte an der Speyerer Straße und dem Evakuierungsbereich pendelt. Eigentlich, erzählt die Seniorin, habe sie am Freitagvormittag nach Viernheim zum Einkaufen fahren wollen. Doch am Vorabend erzählte ihr die Tochter von der Bombe. „Da habe ich meine Pläne geändert, denn es hieß ja gleich, dass auch der Zug- und Bahnverkehr betroffen sein würde.“ Auf der gegenüberliegenden Seite spielt Susanne Schmidt mit ihre Kindern Liam (7) und Ilana (4). Am Donnerstagabend hatte die Polizei bei der Familie geklingelt und über die Lage informiert. „Um 7 Uhr sollten wir das Haus verlassen haben.“ Schmidt ist Lehrerin und unterrichtet an der Bahnstadtschule am Gadamerplatz. Über das soziale Netzwerk „WhatsApp“ hätten sich die Eltern untereinander informiert. Mit einem Rucksack voller Spiele und den beiden jüngsten ihrer vier Kinder hat sie sich gegen 9 Uhr auf den Weg zum „SNP Dome“ gemacht. Mit dabei: Familienhund Lennox. Der 2,5 Jahre alte Australian Shepherd, der auch als Schulhund im Einsatz sein darf, liegt nun brav zusammengerollt neben der Szene und ist froh, bei der Familie sein zu dürfen.
Im Pfaffengrunder Feuerwehrgerätehaus hat die Stadt ein Pressezentrum eingerichtet. Hier behalten Salina Busse von der Bundespolizei und Manuel Pollner, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mannheim, den aktuellen Stand im Blick. „Die Evakuierung läuft reibungslos“, berichtet Pollner. Der Zeitpunkt der Bombenentschärfung sei auch deshalb auf den Vormittag gelegt worden, weil viele berufstätige Bahnstädter dann nicht zu Hause wären. Im jungen Stadtteil, in dem viele Familien mit kleinen Kindern wohnen, liege zum Glück weder ein Pflegeheim, noch ein Krankenhaus. Es gebe zudem kaum ältere oder bewegungseingeschränkte Personen, die besondere Unterstützung bräuchten.
Gegen 13 Uhr steht ein Polizeihubschrauber über dem Einsatzgebiet - zur Kontrolle. Tatsächlich entdecken die Beamten unmittelbar vor der Bombenentschärfung noch drei Personen - eine kommt mit dem Auto aus der Tiefgarage, ein Radfahrer und ein Fußgänger gefährden die Aktion in letzter Sekunde. „Eigentlich lagen wir sehr gut im Zeitplan“, erklärt Ordnungsamtsleiter Bernd Köster, der den Einsatz leitet. Beamte hätten die Personen, deren Motivation man nicht kenne, sofort aus dem Bereich geholt. Für Mathias Peterle, der auf das Okay der Einsatzkräfte wartet, bevor er sich an die Entschärfung der Bombe macht, aber kein zusätzlicher Stress, wie er erzählt. Da beunruhigt ihn schon eher, dass der Zünder der Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg einen „arg mitgenommenen“ Eindruck macht. Mit Lösungsmittel bereitet er den Einsatz am rostigen Zünder vor, bevor er ihn ruhig herauszieht.
Letzter Fund vor fünf Jahren
In der Hauptfeuerwache - sie liegt unmittelbar jenseits der Grenze des Evakuierungsbereichs - ist das Einsatzzentrum eingerichtet.
Heidelberg ist im Zweiten Weltkrieg weitgehend von Bombenangriffen verschont geblieben. Ganz in der Nähe des jüngsten Fundes war zuletzt vor fünf Jahren ein Blindgänger bei Bauarbeiten gefunden worden. Das war am selben Tag, als der britische Prinz William mit seiner Frau, der Herzogin Kate, zu Gast in Heidelberg war. Damals war aber keine Evakuierung im vergleichbaren Ausmaß notwendig.
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