Heidelberg. Neun Jahre lang hat der Rechtsanwalt Silvio Käsler (51) die Heidelberger Außenstelle des „Weißen Rings“ geleitet. Nun gibt er diese ehrenamtliche Führungsaufgabe an Mareike Keller (31) ab. Die Psychologin leitet im Hauptberuf das Heidelberger Childhood-Haus, in dem Kinder unterstützt werden, die Opfer von Gewalt wurden.
Es ist ein Ehrenamt, das viel Einfühlungsvermögen erfordert und die Helfenden eher mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert: Männer und Frauen, die sich beim Weißen Ring um Opfer von Kriminalität kümmern. Da sein, zuhören, schnell kompetente Hilfsangebote vermitteln – das sind unter anderem die Aufgaben dieser Experten für die Nöte derer, die sich in der Kriminalstatistik hinter anonymen Zahlen verbergen.
Idee zur Gründung durch „Aktenzeichen XY...ungelöst“
Für die Gründung des „Weißen Rings“ 1976 in Mainz hatte sich besonders Eduard („Ede“) Zimmermann, der langjährige Moderator von „Aktenzeichen XY ... ungelöst“, eingesetzt. Viel zu häufig rückten im Zusammenhang mit Kriminalität die Täter in den Mittelpunkt. „Auch bei Polizei und Justiz kam den Opfern allenfalls eine Rolle als Zeugen zu“, erinnert sich der Landesvorsitzende des Weißen Rings Baden-Württemberg, Hartmut Grasmück, der zur Amtsübergabe von Käsler auf Keller nach Heidelberg kam.
Hilfe für Opfer
- Der „Weiße Ring“ ist 1976 in Mainz gegründet worden.
- Einer der Initiatoren war Eduard Zimmermann, der lange die Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ moderierte.
- Er ist Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität.
- Bundesweit sind 2900 ehrenamtliche, professionell ausgebildete Opferhelferinnen und -helfer in 18 Landesverbänden im Einsatz.
- Die Arbeit wird ausschließlich durch Spenden finanziert und von 400 Außenstellen koordiniert.
Der Weiße Ring bekomme keine öffentlichen Zuschüsse und finanziere sich allein über die Jahresbeiträge der 41 000 Mitglieder sowie über Spenden und Nachlässe. „Unsere Hilfe ist sehr konkret“, sagt Grasmück. Jeder Betroffene erhalte zunächst einen Scheck für eine juristische Beratung. Danach werde individuell geschaut, was am dringendsten sei – das könne zum Beispiel Ersatzkleidung sein, wenn das Opfer seine Kleidung wegen möglicher Spuren ausziehen muss. Vom einmaligen Kontakt bis zur Begleitung über Monate reiche die Intensität der Betreuung.
Käsler und Keller fanden beide über ihre Berufe Kontakt zum Weißen Ring: Käsler hat sich 2007 als Rechtsanwalt in Heidelberg-Ziegelhausen niedergelassen und zunächst als Strafverteidiger Kontakt zu schwerer und sehr schwerer Kriminalität bekommen. Dabei beschäftigten ihn diejenigen, die unter den Taten zu leiden haben, bald mehr als die Angeklagten. Und so wurde er zum Opferanwalt – und engagierte sich ab 2012 nebenher ehrenamtlich im Weißen Ring, wo er erst hospitierte, dann die internen Ausbildungen absolvierte – bis ihm 2015 die Leitung der Außenstelle Heidelberg angetragen wurde.
Keller kennt das Hilfe-Netzwerk, zu dem auch der Weiße Ring gehört, aus ihrer Arbeit im Childhood-Haus, wo sie seit 2021 arbeitet. Seit Mai 2023 ist sie Mitglied im Weißen Ring und hat sich nun ein Jahr lang auf die neue Aufgabe vorbereitet. Etwa zehn Stunden investiert die Psychologin und Mutter von zwei kleinen Kindern nun pro Woche in das Ehrenamt. Besonders stolz ist sie, dass sich bereits ein junges Team aus vier Mitarbeiterinnen gebildet hat, das sie unterstützt. Grasmück hört das gerne, galt der Weiße Ring doch lange als „Club weißer alter Männer“, was auch ein wenig daran gelegen haben mag, dass viele pensionierte Polizeibeamte wie er, der auch Polizeipräsident in Heilbronn war, ihre Freizeit in den Dienst der Opferhilfe stellen.
„Ein eigener Raum, wo wir unsere Beratung anbieten und Teambesprechungen abhalten können“, formuliert Keller einen Wunsch. Der Weiße Ring mietet aus Kostengründen keine Räume für die Außenstellen an. Behörden oder auch private Gönner helfen manchmal aus.
Silvio Käsler bleibt Keller im Team als Mitarbeiter erhalten. Nur die Leitung der Außenstelle Heidelberg, neben der für Mannheim und der für den Rhein-Neckar-Kreis die dritte in der Region, gibt Käsler schweren Herzens ab. Es sei einfach zu viel geworden neben der freiberuflichen Tätigkeit, nennt er zur Begründung. Eines ist Käsler sehr wichtig: In seiner Amtszeit habe er immer sehr streng Beruf und Ehrenamt getrennt. „Die Menschen, die zu uns in die Beratung kamen, habe ich immer darauf hingewiesen, dass sie den Beratungsscheck selbstverständlich für jeden Rechtsanwalt ihrer Wahl verwenden können“, erklärt er. Wollten die Opfer dennoch gerne von ihm auch vertreten werden, habe er das vorher mit der Bundesgeschäftsstelle abgeklärt.
Drei Amokläufe in der Amtszeit erlebt
Käsler erlebte in seiner Amtszeit nicht nur den Amoklauf in der Universität im Januar 2022 mit, sondern auch den Amoklauf in Dossenheim im August 2013 und die Amokfahrt auf dem Bismarckplatz im Februar 2017. Als vor zweieinhalb Jahren ein 18 Jahre alter Täter bewaffnet in einen Hörsaal im Neuenheimer Feld eindrang, in dem 30 Erstsemester saßen, mehrmals schoss und eine aus der Pfalz stammende 23-Jährige tötete, war die Meldung noch kaum raus, da bekam Käsler bereits Unterstützungsangebote von mehreren anderen Außenstellen des Weißen Rings, dem Landesverband und dem Bundesverband. Und: „Die Uni hat damals sehr viel selbst aufgefangen“, sagt er dankbar.
Häusliche Gewalt und deren Auswirkungen begegnen den Opferhelfern beinahe täglich. Wie in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits möglich, fordert der Weiße Ring auch in Baden-Württemberg den Einsatz von Fußfesseln für Gefährder. „Das würde einigen Frauen das Leben retten“, sagt Grasmück.
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