Heidelberg. Jedes Leben – ob prominent oder nicht – ist eine spannende Geschichte. Davon ist Verena Glaese überzeugt. Die Heidelbergerin arbeitet als Video-Biografin. Das heißt, sie erstellt kurze oder längere Videos von Menschen, die sie darum bitten, und dokumentiert so deren Leben. Manchmal sind es auch Familienangehörigem, die mit dem Ergebnis Eltern oder Großeltern überraschen möchten. Am Wochenende begrüßt Glaese in Heidelberg Kolleginnen und Kollegen aus dem ganzen Land: Die Mitglieder des Vereins Biographiezentrum feiern das 20-jährige Vereinsbestehen. Bei einer öffentlichen Lesung am Samstag können Interessierte einen Einblick in die Arbeit von Biografen bekommen.
Mit "wahren Geschichten" in Erinnerung bleiben
„Ich brenne für diese Arbeit und finde persönliche Geschichten unfassbar spannend“, erzählt Glaese, die früher 20 Jahre im Bereich Unternehmenskommunikation tätig war. „Meine Motivation ist, Menschen zu unterstützen, in Erinnerung zu bleiben und ihre Nachwelt zu inspirieren“, erklärt sie.
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Vom 5. bis 7. April wird das Vereinsjubiläum in Heidelberg gefeiert. Mehr als 20 Biografinnen und Biografen aus ganz Deutschland werden zu Gast am Neckar sein. „Wahre Geschichten“ ist der Vortrag am Samstag, 6. April, um 19 Uhr im Stadtteil Bergheim überschrieben (Lutherzentrum, Vangerowstraße 5). Der Eintritt ist frei; es wird um eine Spende gebeten, die in die Arbeit des Hospiz Louise in der Weststadt fließt.
Wirkt wie ein Kriminalroman, ist aber die Wirklichkeit
Mit etwas mehr als 60 Mitgliedern ist der Verein eine kleine, aber sehr bunte Truppe. Die alljährlichen Tagungen des Biographiezentrums mit Schulungen, Austausch und öffentlicher Lesung finden an wechselnden Orten in ganz Deutschland statt. 2023 trafen sich die Mitglieder im niedersächsischen Schwarmstedt. In diesem Jahr haben die Heidelberger Organisatorinnen Verena Glaese und Angela Oberthür – beide selbst erfahrene Biografinnen und Autorinnen – ihre Kolleginnen und Kollegen nach Heidelberg gelockt. „Es ist ja ein besonderes Treffen“, verweist Glaese auf das Jubiläum.
Ihre Kollegin Oberthür aus Rauenberg arbeitet seit vielen Jahren als Musiktherapeutin und Musikerin. „Unsere Eltern hatten viel zu erzählen: die Mutter im Krieg geboren, der Vater als Kind den Kriegsausbruch und die folgenden Kriegsjahre bewusst erlebt. Was er erzählte, kam mir vor wie ein Kriminalroman, nur dass seine Geschichten nicht ausgedacht, sondern echt waren“, beschreibt die Biografin Oberthür, welche Faszination die Lebensgeschichten auf sie ausüben.
Auftraggeber aus allen Bevölkerungsschichten
Glaese hält mit Kamera und Mikrofon gleichzeitig auf besondere Weise die Lebendigkeit eines Menschen fest. „Seine Gestik, seine Mimik, die Art, wie er oder sie spricht“, nennt sie Details. Ihre Auftraggeber sind Unternehmer genauso wie „Durchschnittsbürger“. Namen nennt sie mit Rücksicht auf ihre Kunden nicht – nur einen darf sie verraten: Der frühere Bürgermeister von Mauer, Erich Mick, von 1976 bis 2001 im Amt, hat ein gefilmtes Leben in Auftrag gegeben.
„In einem Filmporträt wirken die Geschichten einfach lebendiger. Das habe ich besonders bei den Passagen gemerkt, in denen ich über mein Herzensprojekt berichte – den Homo heidelbergensis, und die Menschen, die ich dadurch kennenlernen durfte“, würdigt Mick das Ergebnis: „Während der Aufnahmen im Studio war ich auf einmal wieder in Frankreich, in unserer Partnerstadt Tautavel. Gänsehaut pur, als ich von der Marseillaise erzählte, die wir während unseres damaligen Besuchs spontan für die Gemeinde spielten.“
"Persönliche Historiker" sind in den USA deutlich gängiger
In den USA sei es bereits deutlich gängiger, sich einen „persönlichen Historiker“ zu engagieren, weiß die Heidelbergerin. Ihr Beruf bringt sie regelmäßig an Orte, die in der Lebensgeschichte Ihrer Kunden eine wichtige Rolle spielen – auch im Ausland. Die Türkei, Indonesien, Österreich und Bogotá standen bereits als Reiseziele an.
Die Kosten für einen solchen Lebensfilm können im fünfstelligen Bereich liegen, wenn es ein langer und aufwendiger Film werden soll. Aber es gibt auch deutlich günstigere Varianten, versichert Glaese. Und jeder könne auch selbst zum Autor seiner Lebensgeschichte werden, Schreibseminare helfen dabei.
Das Biographiezentrum hat seinen Sitz in Kaufering bei München. Der Publizist und Kunsthistoriker Andreas Mäckler gründete den Verein 2004. Über die Homepage bekommt man nicht nur Kontakt zu einem Biografen in der Nähe, sondern auch Informationen, wie man selbst mit dem Aufschreiben seiner Lebensgeschichte beginnen kann. Seminare sind ebenfalls im Angebot.„Eine Biografie ist auch eine Reise zu sich selbst“, weiß Glaese. Was war positiv, was hat gut getan? In der Psychologie und in der Seniorenpflege genauso wie in der Sozialarbeit wird Biografiearbeit heilsam oder unterstützend eingesetzt.
Lebensgeschichten sind nicht nur spannend, sondern geben auch tiefe und intime Einblicke in Beziehungen und die Psyche. Die Mitglieder des Vereins Biographiezentrum verpflichten sich in einem Ehrenkodex, das Gehörte mit absoluter Diskretion zu behandeln. Nicht umsonst bleiben Tagebücher – die älteste Form der Biografie – oft in der Schublade oder ganz unten im Schrank versteckt. Was irgendwie schade ist.
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