Heidelberg. Auch am Uniklinikum in Heidelberg hat sich die Situation verschärft. Von der Notwendigkeit einer Triage ist das Haus aber noch weit entfernt. Gleichwohl ist die Belastung für die Mitarbeiter extrem hoch. Ein Gespräch mit Pflegedirektor Edgar Reisch und dem Leiter der Intensivstationen, PD Dr. Michael Preusch.
Der Platz in Deutschlands Intentivstationen wird eng. Bayern muss sogar schon Patienten verlegen. Wie ist die Situation am Uniklinikum?
Edgar Reisch: Wir können am Universitätsklinikum 78 Intensivbetten für Beatmungspatienten personell betreiben. Davon sind aktuell 21 mit Covid-Patienten belegt. Damit haben wir noch 57 Betten zur Verfügung für alle anderen Patienten, die zu uns kommen und ein solches Intensivbett benötigen. Je höher der Anteil an Covid-Patienten wird, desto mehr müssen wir in den anderen Intensivstationen die Kapazitäten reduzieren.
Edgar Reisch und Michael Preusch
Der Pflegedirektor des Universitätsklinikums, Edgar Reisch, ist seit 2003 in Heidelberg beschäftigt. In seiner Funktion gehört er auch dem Vorstand des Uniklinikums an.
Reisch ist zudem Geschäftsführer der Klinik Service GmbH und der Akademie für Gesundheitsberufe Heidelberg.
Michael Preusch ist Leiter der Inter-nistischen Intensivmedizin und Oberarzt an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Uniklinikums Heidelberg.
Im Jahr 2017 habilitierte Preusch an der Universität Heidelberg und i st Experte für Intensiv- und Notfallmedizin. bjz
Michael Preusch: Von diesen 21 Covid-Patienten sind 14 nicht geimpft. Der Anteil der Ungeimpften dominiert immer noch bei weitem. Landes- und bundesweit betrachtet liegen wir immer noch bei 80 bis 90 Prozent an Ungeimpften auf den Intensivstationen. Die geimpften Covid-Patienten waren alle keine kerngesunden Menschen, sondern bringen eine signifikante Anzahl von Grunderkrankungen mit.
Worin unterscheidet sich die vierte von der zweiten und dritten Welle?
Preusch: Es gibt drei Probleme. Erstens sind die Menschen, die wir aktuell behandeln, jünger als die Patienten der ersten, zweiten und dritten Welle. Das Durchschnittsalter beträgt dort aktuell 60 Jahre. Die Patienten bleiben zweitens deutlich länger bei uns als in der ersten und zweiten Welle, wo insbesondere ältere Patienten sehr früh gestorben sind. Und drittens haben wir - bundesweit - zehn bis 20 Prozent weniger Pflegepersonal zur Verfügung, die diese Betreuung gewährleisten können. Es sind keine Betten abgebaut worden. Es fehlt schlicht mehr Personal im Intensivbereich. Wir wissen mittlerweile aus Erfahrung, dass eine Pflegekraft mit ein bis zwei Covid-Intensiv-Patienten maximal gebunden ist.
Covid-19 ist ja sicher auch nicht die einzige Krankheit, mit der Sie auf der Intensivstation zu tun haben?
Preusch: Wir haben auch außerhalb von Corona ebenfalls hohe Belegungszahlen, in der Regel über 80 Prozent - Tumorpatienten, Schlaganfälle, Herzinfarkte, Verkehrsunfälle. Die müssen wir ja in gleicher Qualität versorgen, wie wir das vor Corona gemacht haben. In Baden-Württemberg haben wir aktuell 24 Prozent der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Da könnte man sagen, naja, das ist ja noch nicht mal ein Drittel. Aber das ist die Zusatzleistung zur Notfallversorgung, die wir ja weiterhin gewährleisten müssen. Insbesondere in Heidelberg haben wir als Zentrum der intensivmedizinischen Maximalversorgung sehr viele Schwerkranke außerhalb von Corona, die sehr pflegeaufwändig versorgt werden müssen.
Corona in der Region
Wieviele Covid-Patienten haben Sie außerhalb Ihrer Intensivstation?
Reisch: Wir haben im ganzen Klinikum aktuell 51 Covid-Patienten, also weitere 30 auf den Isolierstationen. Sie brauchen zwar keine Intensivpflege, müssen aber mit entsprechend großem hygienischen Aufwand versorgt werden. Problematisch ist außerdem, dass jahreszeitbedingt nun viele auch ältere Menschen hinzukommen, die mit anderen Infektionen an der Lunge behandelt werden müssen.
Bedauern Patienten, dass sie sich nicht haben impfen lassen?
Preusch: Traurigerweise sind die meisten, die zu uns auf die Intensivstation kommen, gar nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu bedauern. Die wenigen, die wir gesprochen haben, bereuen es, dass sie sich nicht haben impfen lassen. Bei den Angehörigen allerdings führt das Schicksal der Patienten zu einem deutlichen Umdenken. Impfkritiker sollten mal einen Blick auf unsere Intensivstationen werfen, die weinenden Angehörigen am Bett stehen sehen. Das würde die Impfquote nach oben treiben.
Stichwort Impfquote. Wieviele Ungeimpfte gibt es bei Ihnen noch?
Reisch: Je näher die Menschen an den Covid-Patienten arbeiten, desto höher ist die Impfquote. Auf den Intensiv- und Isolierstationen haben wir eine Impfquote von knapp 100 Prozent. Wir haben 13 800 Mitarbeiter am Uniklinikum. Geimpft sind jetzt 11 200.
Diskutiert wird auch eine baldige Notwendigkeit der Triage, also der Auswahl, welche Patienten angesichts der Überlastung überhaupt noch behandelt werden können.
Preusch: Von einer Triage im klassischen Sinn sind wir noch weit entfernt. Da hilft uns aber auch der Zusammenschluss mit den anderen Kliniken im Rhein-Neckar Kreis. Unser Management ist noch in der Lage, eine solche Situation zu vermeiden. Aber wenn die Anzahl der Patienten steigt, die eine intensivmedizinische Maximalversorgung benötigen - und die wird steigen, wenn es nicht mehr Erstimpfungen gibt - dann werden auch wir überlegen müssen, welchen Eingriff können wir akut noch durchführen und welchen Eingriff wir unter Umständen verschieben müssen.
Reisch: Um den Zustrom in die Kliniken zu vermeiden, müssen wir parallel zu verstärkten Grundimmunisierungen auch wieder die Infektionsketten unterbrechen. Die Disziplin bei den Hygieneregeln hat schon etwas nachgelassen meiner Beobachtung nach.
Können auch Geimpfte das Virus weitergeben? Reicht 2G also aus?
Preusch: Der Geimpfte steckt sich deutlich seltener an und er verbreitet deutlich seltener die Infektion. Aber es bleibt ein gewisses Restrisiko. Und deshalb ist die Einhaltung der AHA-Regeln weiterhin ganz entscheidend für den Verlauf der Pandemie.
Was wünschen Sie sich von den Menschen jetzt?
Preusch: Die Klinikmitarbeiter brauchen in dieser Welle keinen Applaus mehr vom Balkon herunter. Wer uns Wertschätzung entgegen bringen will, der lässt sich impfen und respektiert die Hygieneregeln.
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