Heidelberg. Am Montagabend fällt im historischen Rathaussaal mehrfach ein Wort: „Drushba“ – Freundschaft. Freundschaft ist das Band, das die Welt zusammenhält. Bei einem Festakt wird der letzte offizielle Schritt vollzogen: Um 19.11 Uhr unterzeichnen Oberbürgermeister Eckart Würzner und sein ukrainischer Amtskollege Gennadiy Trukhanov den Städtepartnerschaftsvertrag zwischen Heidelberg und Odessa. Stürmischer Applaus brandet auf, Handys werden gezückt, und unter den rund 100 geladenen Gästen haben einige im Publikum mit den eigenen Emotionen zu kämpfen.
Denn diese neue – für Heidelberg insgesamt neunte – Städtepartnerschaft ist von hoher Symbolik, aber eben auch von mannigfaltigen Hilfsaktionen umgeben. Sie ist eingebettet in die Säulen von Krieg und Frieden. In der gesamten Ukraine, aber gerade auch in Odessa, der Perle am Schwarzen Meer, ist genau dies seit dem 24. Februar 2022 und Beginn des russischen Angriffskrieges von Wladimir Putin grausame Realität.
Heidelberg und Odessa: Ein starkes Zeichen der Solidarität setzen
Es geht um Signale an Städte, Regierungen und die Weltgemeinschaft, also positioniert OB Würzner die Universitätsstadt in seiner Rede: „Wir können uns gar nicht vorstellen, wie der Alltag in einer Stadt wie Odessa aussieht, die jeden Tag und jede Nacht angegriffen wird und Angst und Schrecken herrschen. Wie es den Kindern geht, die nicht unbeschwert spielen und zur Schule gehen können. Wie es den Menschen geht, die einen wunderschönen Strand vor der Haustüre haben, aber der durch Minen so gefährlich ist.“
In der Ukraine und in der Millionenstadt Odessa ist die Frage, „Wo ist der nächste Luftschutzbunker?“, omnipräsent. Umso wichtiger sei es, mit der Städtepartnerschaft ein „starkes Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine“ zu setzen. Würzner: „Der freie Westen muss der russischen Aggression Grenzen setzen, denn Putin wird jede Grenze ignorieren. Die Ukraine kämpft mit unglaublichem Engagement nicht nur für sich selbst, sondern verteidigt auch die Grundwerte Europas.“
Eine Simultandolmetscherin übersetzt für Generalkonsul Yurii Nykytiuk, Bürgermeister Trukhanov und eine vielköpfige ukrainische Delegation Würzners Einordnungen als Décalage – in den Stuhlreihen des Saales, der Stadtgeschichte, Demokratie und Kulturvielfalt ausstrahlt, werden mehrfach Taschentücher gezückt. Würzner trifft den richtigen Ton. Mit Authentizität, Vertrauen und Empathie – und ohne Betroffenheitsrhetorik.
Der Festakt gerät zum hoffnungsvollen Fanal zwischen Heidelberg und Odessa. Bürgermeister Trukhanov (60), seit 2014 in der multinationalen Hafen-, Wissenschafts-, Wirtschafts-, Sport- und Kulturmetropole im Amt, rückt bewegt die Hilfe Deutschlands in den Fokus: „Danke, dass Sie auf der Seite der Wahrheit und Gerechtigkeit stehen. Wir haben mutige Leute! Wir bezahlen die Unabhängigkeit mit dem Preis unseres eigenen Lebens.“ Trukhanov ergänzt, dass sich seine Arbeit durch die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg elementar gewandelt habe. Der ausgebildete Leutnant, Ingenieur und Rechtsanwalt zeigt den Anwesenden drei Videos.
Drei Videos erzählen Geschichten aus Odessa
Eines erzählt von den Schönheiten Odessas, der Wiege der Kultur, des Handels und des Tourismus, berichtet über die nach einem Luftangriff zerstörte Verklärungskathedrale, in Schutt und Asche gelegte Wohnhäuser, tote Menschen in den Straßen. Die Botschaft an russische Soldaten: „Ihr werdet uns nicht brechen!“
Ein weiteres zeigt Szenen aus dem Adaptivsport – Ex-Soldaten, die ihre Extremitäten verloren haben und beim Rollstuhl-Basketball, Boxen, Turnen, Golf, Billard oder Rudern Sport als Herausforderung annehmen – mit Prothesen.
Und noch ein anderes Video illustriert den Einsatz eines Drehleiterfahrzeugs der Feuerwehr Heidelberg, das von Kevin Ludwig am 21. Oktober 2022 in Lemberg (Lwiw) für Odessa übergeben wurde. „Dafür sind wir ihnen von Herzen dankbar. Die Technik des Fahrzeugs ermöglicht es uns, in die Treppenhäuser vorzustoßen und Menschenleben zu retten“, so Trukhanov.
Diesbezüglich setzt die Stadt Heidelberg am Dienstag ein Ausrufezeichen: Ein Feuerwehrfahrzeug, zwei Müllfahrzeuge und 500 Erste-Hilfe-Verbandskästen werden an Odessa übergeben. Eckart Würzner dazu: „Neben der Anteilnahme können wir hiermit einen konkreten Beitrag leisten, den Alltag in unserer neuen Partnerstadt Odessa zu erleichtern.“
Szenenwechsel, zurück zum Festakt. Bei Kateryna Malakhova, Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Rhein-Neckar e.V. (DUG), hinterlassen der soeben unterzeichnete Partnerschaftsvertrag und der Eintrag ins Goldene Buch Wirkung. „Für uns ist das ein moralisches Zeichen, das uns Hoffnung gibt, den Krieg zu beenden“, sagt sie auf Nachfrage dieser Redaktion, „ich habe Gänsehaut.“ Malakhova lebt mit ihrem Mann seit acht Jahren in Deutschland. Die „DUG“ habe seit Kriegsbeginn 112 beladene Lkws, 80 Minibusse, 12 Lösch- und 24 vollausgestattete Rettungsfahrzeuge in die Ukraine geliefert. Ihre Mutter lebt in Nischyn im Norden. Drohnenangriffe gibt es überall. „Die Lage ist ganz schwierig. Die Leute brauchen psychologische Hilfe, um ein einigermaßen normales Leben führen zu können“, meint Kateryna Malakhova.
Wörter wie „Drushba“ und „Myr“ (Friede) sagt sie nicht. Doch sie trägt diese nach dem emotionalen Festakt auf den Lippen.
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