Konzertkritik

So heiß her ging's beim Konzert von Von Wegen Lisbeth in Heidelberg

Die Berliner Indie-Rock-Band beschert ihren Fans in der ausverkauften Halle02 ein in vielerlei Hinsicht intensives Konzert

Von 
Markus Mertens
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Die Berliner Indie-Rock-Band Von Wegen Lisbeth um Frontmann Matthias Rohde(r.) bei ihrem umjubelten Auftritt in der Heidelberger Halle02. © Markus Mertens

Heidelberg. Die Welt populärer Kompositionen ist reich an Bands, die die kleinen Anekdoten und Wirrungen des Alltags, die ein Leben täglich mit Besonderheit erfüllen, zu Musik gemacht haben. Viele widmeten dieser Kunst das Hauptaugenmerk. Doch gab es vor dem Jahr 2006 keine Band, wie Von Wegen Lisbeth, die den Schneid gehabt hätte, diese Phrasen und Zustände, all die atmosphärischen Details und Menschen in ein Genre zu kleiden, das sonst auf Drastik und Tempo geeicht ist: den Indierock.

Der Auftritt des Quintetts aus der Bundeshauptstadt in der Halle02 ist demnach nicht nur randvoll mit Fans, die genau diese Melange aus dynamischen Riffs, Beats und Harmonien samt scheinbar trivialer Anekdoten zu einem Kunstwerk ganz eigenen Zuschnitts gedeihen lassen. Die Stimmung ist entsprechend heiß - und das ganz im Wortsinne. Denn das Heidelberger Veranstaltungshaus gleicht an diesem Konzertabend fast schon einer Sauna. Die schier unerträgliche Hitze drängt, der Schweiß rinnt, die Oberteile der Gäste kleben an der Haut. Über mangelnde Intensität jedenfalls kann sich niemand beklagen.

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Und dann? Dann müssen Sänger Matthias Rohde und Julian Hölting (Bass), Perkussionist Robert Tischer und die Zschäbitz-Musikanten Dominik (Gitarre) und Julian (Schlagzeug) eigentlich nur noch auf die Bühne treten, um allein für das gefeiert zu werden, was die drei Alben in den gut eineinhalb Jahrzehnten bereits bewirkt haben. Das „Westkreuz“ etwa singen textsichere Fans nicht nur komplett auswendig, sondern auch aus vollem Halse mit, die „30 Segways“ rollen in herrlich paradox-humoristischer Art und Weise über die Akkordautobahn, so dass selbst eine Empowerment-Nummer wie „Alles ok“ eigentlich nur als Untertreibung gewertet werden kann.

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Quintett gibt buchstäblich alles

Denn das Quintett gibt für sein Publikum in Heidelberg sprichwörtlich alles. Auch für die Musiker werden die Temperaturen irgendwann zu einer Wanderung an der Grenze des Leistbaren, die im Schweiße des eigenen Angesichts doch Erfüllung verspricht. Zumal sinnträchtige Songs wie „Kafka“, „Bärwald“ und „Drüben bei Penny“ ein melodisch-inhaltliches Feld zwischen bürgerlicher Normalität und künstlerischem Anspruch formulieren, das keineswegs zum Scheitern verurteilt ist.

Ohne Zweifel darf man große Stücke des heutigen Erfolgs der Berliner Jungs um Frontmann Matthias Rohde dem Umstand zuschreiben, dass sich Von Wegen Lisbeth über Jahre hinweg als Begleitband von AnnenMayKantereit ein eigenes Publikum erspielen, auf gesundem Wege und kontinuierlich zu mehr Bekanntheit finden - und sich so ganz organisch eine Fanbasis bilden konnte.

Dass viele der Anhänger jedoch über Jahre hinweg dem speziellen Stil der Band verbunden bleiben, während immer mehr Zuhörer auch über digitale Kanäle ihren Zugang finden, erklärt eine Euphorie, die sich aus beidem speist: Treue aus Entschlossenheit und der Faszination des Neuen. Dass Sätze wie aus dem Chart-Hit „Kneipe“ („Mach, was du willst / Aber bring nie wieder / Deinen neuen Freunde / In meine Kneipe“) längst Kult-Charakter genießen, kommt fast wie ein Ornament hinzu - und stellt unmissverständlich klar, dass die Simplizität des Andersseins auch ein narrativer Wert an sich sein kann, wenn er mit so viel Überzeugungskraft vorgetragen wird, wie hier in Heidelberg.

„Meerschweinchen“ als Krönung

Für das letzte bisschen Überschwang in der der stickig-heißen Halle02 braucht es dann nur noch „Meerschweinchen“ und „Freigetränke“. Zwei Dinge, die man gerne geschenkt nimmt. Zwei Dinge, die eigentlich keinen Bezug zueinander haben. Zwei Dinge, die dennoch - oder gerade deswegen - im größeren Kontext eines Konzertes stehen, das deshalb so überragt, weil es sich den gängigen Mechanismen von Logik und Konsistenz wirksam entzieht, um allein durch den Mut zur Chuzpe zu glänzen. Mehr Charakter kann sich Indie-Rock nun wirklich kaum wünschen!

Freier Autor

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