Der eine Star, Thomas Hampson, sagt wegen Corona-Spätfolgen ab, ein anderer Star kommt stattdessen: Günther Groissböck, und er liefert in der Neuen Aula beim Heidelberger Frühling einen umjubelten Liederabend ab. Bewundernswert dabei sein prachtvolles „Material“, sprich Stimme, die so frei strömen kann und mit attraktiven Farben aufwartet. An seiner Seite die Pianistin Alexandra Goloubitskaia, deren selbstbewusstes Spiel mit energetischem Zugriff das „Gesamtpaket“ bestens vervollständigt. Auch sie eine Entdeckung des Abends.
Russischer Vortrag
Ein kleines Zeichen setzte der Wiener mit der Weltkarriere, als er mit Liedern von Modest Mussorgsky darauf verwies, dass Russland mehr bedeutet als aktuell Krieg und Aggression – und dass ein kultureller Boykott (es gibt schon Buchhandlungen, die Tolstoi und Dostojewski aus dem Sortiment verbannen!) der dortigen Tradition Kulturverlust bedeuten würde.
Die „Lieder und Tänze des Todes“ sang er auf Russisch, und deutete den individuellen Ausdruck, den eigenwilligen Stil mit kühner Harmonik und das russisch-melancholische Idiom mit Raum füllender Kraft und Größe, in die er viel Empfindung einbettete. Denn dieser Liedsänger, der primär auf den großen Opernbühnen zu Hause ist, hat mehr zu bieten als Stolz und Glanz. In den Liedern von Anton Bruckner, ein Dankeschön, dass er mit ihnen bekannt machte, spürte er deren verhaltenem Schmerz nach, während er den Vertonungen des Bruckner-Schülers Hans Rott sehr schöne, gleitende Linienführung in spätromantischer Färbung mitgab.
Den Abend hatte der Sängern mit vier Schumann-Liedern eingeleitet, deren balladenhafte Grundierung, etwa beim „Belsazar“, ihm liegt. Dennoch hatte der Hörer den Eindruck, dass sich Günther Groissböck erst an die Raumcharakteristik gewöhnen musste. Über eine Hugo Wolf-Zwischenstation setzte er fünf Mahler-Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ ans Endes dieses Liederabends, changierend zwischen metaphorischer Künstlichkeit und naturhaftem Ausdruck. Durch ihn kann man Mahler mögen lernen.
Als Zugabe sang Günther Groissböck Schuberts Hymne an die Musik „Du holde Kunst“. Von dieser waren der Sänger und seine Pianistin einen Abend lang beseelt.
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