Heidelberg.
Er verbirgt sein Gesicht hinter einem aufgeschlagenen Prospekt vor den Kameras, trägt eine FFP2-Maske – und schielt doch an dem selbstgewählten Sichtschutz vorbei in den Saal, wo nur wenige Zuhörer sitzen: Seit Freitagmorgen muss sich ein Jugendtrainer vor der Jugendkammer des Heidelberger Landgerichts wegen schweren sexuellen Missbrauchs von vier Kindern und Jugendlichen verantworten. Die Hauptverhandlung findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, um die Intimsphäre der zur Tatzeit zwölf bis 15 Jahre alten Jungs zu schützen.
Anträge, die Öffentlichkeit während der insgesamt fünf angesetzten Verhandlungstage auszuschließen, hatten die drei Vertreter der betroffenen Familien und der Verteidiger des Angeklagten gestellt. Der Vorsitzende Richter André Merz sah zwar „sehr wohl das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit“, das Geschehen aufzuklären. Dennoch überwiege der Schutzaspekt der „noch sehr jungen Geschädigten“.
Strafgesetzbuch
- Den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern regelt Paragraf 176 im Strafgesetzbuch (STGB).
- Der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.
- Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs definitiert Missbrauch so: „Jede sexuelle Handlung, die an Mädchen und Jungen gegen ihren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht zustimmen können. Täter und Täterinnen nutzen dabei Macht- und Autoritätspositionen aus.“
- Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800/2 25 55 30.
Denn es sei davon auszugehen, dass Umstände aus der Intimsphäre der sehr jungen Nebenkläger zur Sprache kommen werden. Allein die Urteilsverkündung, die für Anfang Januar 2023 erwartet wird, soll öffentlich sein. Ob das auch für die Begründung des Urteils gilt, bleibt zunächst offen: Möglicherweise wird das Gericht hier ebenfalls die Öffentlichkeit ausschließen. Sollte sich der Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs bestätigen, muss der 48-jährige Angeklagte mit einer Haftstrafe zwischen zwei und 15 Jahren rechnen.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen aufgenommen, nachdem die Eltern eines Jungen Verdacht geschöpft und die Polizei informiert hatten. Laut Anklage soll der verheiratete Angeklagte in mehreren Fällen ihm anvertraute Kinder und Jugendliche zu sexuellen Handlungen in seinem Beisein aufgefordert und in einem Fall sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen haben. Die Taten liegen mehrere Jahre zurück.
Vertrauen erschüttert
Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Vereins- und Jugendtrainingsumfeld beschäftigt die Justiz immer wieder. So stand im August 2020 ein Pädagoge und Institutsleiter vor dem Heidelberger Landgericht, der zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde, weil er in mehr als 60 Fällen anvertraute Schüler – im Klassenraum, aber auch auf Freizeiten – sexuell genötigt und missbraucht hatte. Der Pädophile hatte da schon eine Vorgeschichte: 1997 war er bereits wegen ähnlicher Fälle verurteilt worden. Seine Position als Übungs- und Jugendleiter in einem Heidelberger Schwimmverein hatte er genutzt, um Jungs näherzukommen.
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Fälle wie diese erschüttern nicht zuletzt das Vertrauen der Eltern, die ihre Mädchen und Jungen den meist ehrenamtlich arbeitenden Trainern und Betreuern überlassen. Was tun die Vereine, um solche Taten zu verhindern? Diese Frage beschäftigt auch den Badischen Sportbund.
In Baden-Württemberg sind rund 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis einschließlich 18 Jahre in Sportvereinen angemeldet. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die Deutsche Sportjugend (dsj) haben in Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedsorganisationen einen Ehrenkodex entworfen, den Sportvereine übernehmen, anpassen und unterschreiben lassen können. Darin heißt es unter anderem: „Ich werde das Recht des mir anvertrauten Kindes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf körperliche Unversehrtheit achten und keine Form der Gewalt, sei sie physischer, psychischer oder sexualisierter Art, ausüben.“
Selbstverpflichtung formuliert
Eine solche Selbstverpflichtung gibt es auch im Rugby – nach dem Schützenverein von 1490 die älteste und bedeutendste Sportart in Heidelberg: Sie geht bis 1850 zurück. Sechs Vereine sind zum Teil sogar international erfolgreich. „60 Prozent der männlichen Nationalspieler und 70 Prozent der weiblichen kommen aus Heidelberg“, sagt der Präsident des baden-württembergischen Rugby-Verbands, Claus-Peter Bach, der einen Vertrauens- und Imageverlust für alle Vereine befürchtet. Viele Eltern seien verunsichert, ob sie ihre Kinder überhaupt noch auf den Trainingsplatz lassen sollen. Seit dem Frühsommer kursierten Gerüchte zu dem Fall.
Den Verband und die anderen fünf Vereine störe immens, dass der betroffene Verein sich noch nicht geäußert habe und klarstelle, dass es um ihn und diesen einen Jugendleiter gehe: „Die gesamte Rugbygemeinschaft steht unter Verdacht.“ Auch Sponsoren seien alarmiert. Bisher gelte natürlich die Unschuldsvermutung, Bach hofft auf gründliche Aufarbeitung vor Gericht. „Das hat eine sehr große Bedeutung für unseren Sport.“
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