Heidelberg. Ja ist denn schon Weihnachten?, möchte man rufen: Die Heiliggeistkirche Heidelberg wird überrannt, jeder möchte sich noch ein Plätzchen sichern, um dabei zu sein am 12. Mai, bei diesem Gottesdienst. So viele Menschen sind es, dass am selben Tag sogar zwei Termine hintereinander angeboten werden. Und toll: Der Anteil der Jungen ist groß.
Platzkarten in der Kirche vergeben zu müssen, damit niemand draußen bleiben oder stehen muss: Das wünschten sich nicht nur Pfarrer oder Pfarrerinnen auch anderenorts wohl aus vollem Herzen – zumindest hin und wieder. Jedes Jahr meldet sich eine sechsstellige Zahl von Gläubigen offiziell von der Kirche ab – bei den Katholiken sind es fast eine halbe Million Personen. Doch auch bei den Protestanten gingen 2022 rund 380 000 Menschen der Kirche verloren. Das entspricht der Einwohnerzahl von Karlsruhe und Speyer zusammen. Die Lage ist dramatisch. Wenn es so weitergeht, übersteigt die Zahl der Konfessionslosen bald die der Katholiken und Protestanten zusammen.
Ist ein bisschen mehr Show der richtige Weg, wieder eine größere Schar an Gläubigen einzufangen? Warum nicht – wenn die Inhalte stimmen. Niemandem wäre geholfen, wenn die vielen Menschen, die jetzt vorfreudig in die Kirche strömen, am Ende ernüchtert und vielleicht sogar enttäuscht wieder den Gottesdienst verlassen würden. Weil sie gefühlt hätten, dass man sie mit großen Versprechen eingefangen und dann mit einem schalen Restgeschmack wieder entlassen hätte. Solche Mogelpackungen haben sie im Leben genug, und genau dagegen möchte der Glaube einen Gegenpol setzen – das gilt für jede Konfession.
Eine Luftblase wird es in der Heiliggeistkirche nicht geben. Auch weil US-Superstar Taylor Swift nicht persönlich in die Heiliggeistkirche kommt und es kein reines Konzert wird. Stattdessen werden sich Pfarrer Vincenzo Petracca und seine Kirchengemeinde mit den anderen Gottesdienstbesuchern sehr intensiv damit auseinandersetzen, was in den Texten des Popstars steht, welche Haltung die Sängerin zeigt und lebt. Und was daran sehr christlich ist.
Schon die frühen Organisatoren von Gospelgottesdiensten wussten, dass das nüchterne Wort Menschen leichter erreicht, wenn es mit Musik und Tanz daherkommt. Das ist viel mehr als nur Show, es ist eine ganzheitliche Art, Glaubensgemeinschaft zu erleben – unter anderem. Und so ist es eigentlich eine wunderschöne Vorstellung, dass wir alle ein bisschen „Swiftie“ sind – so nennen sich die Fans des Stars.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Pop-Gottesdienst: Wir sind alle Swifties