Mannheim. Hin und wieder sind es die kleinen Dinge, die viel über den großen Zusammenhalt aussagen. So wie am Dienstagabend, als Sebastian Hinze ein feines Gespür für die besondere Situation bewies. Der Trainer der Rhein-Neckar Löwen sah nämlich nicht nur den Einzug seiner Mannschaft ins Viertelfinale der European League gegen Sporting Lissabon, sondern das große Ganze unter der Berücksichtigung eines Einzelnen. Was der 44-Jährige eigentlich „selten“ macht, wie Hinze sagt.
Diesmal aber versammelte er nach dem 31:29-Sieg im Play-off-Rückspiel über den RK Nexe Nasice das Team um sich und hob bei seiner Kabinenansprache einen Spieler extra hervor: Torwart Joel Birlehm. Der Keeper zeigte beim Erfolg über den kroatischen Handball-Erstligisten nach seiner Einwechselung fraglos eine famose Leistung. Der Trainer attestierte ihm eine „Riesenpartie“. Doch Hinze ging es nicht allein um die sechs Paraden (Fangquote 46 Prozent) des 26-Jährigen, sondern noch wesentlich mehr um die Gesamtsituation. Und die war zuletzt für Birlehm frustrierend. Einfach enttäuschend. Weil er kaum, eigentlich gar nicht, spielte.
Trainer Hinze hebt den Torwart heraus
Hinze lobte den Torwart für dessen professionelles Verhalten. Für dessen Einstellung. Und damit auch seinen Charakter. „Er hat die Situation in den vergangenen Wochen und Monaten angenommen, hat im Training geackert. Und man wusste, dass er da sein wird, wenn man ihn brauchen würde. Das sagt extrem viel über ihn als Teamplayer aus“, lobte Hinze den Torwart, der seine Rolle klaglos annahm. Auch wenn er es lieber anders gehabt hätte.
„Es war keine einfache Situation für mich“, gab Birlehm zu. Was keinesfalls überrascht. Der gebürtige Herforder ist ein sehr ambitionierter Torwart. Er will immer spielen. Über 60 Minuten. Das gilt zwar vermutlich für jeden Handballprofi, für ihn aber vielleicht noch ein bisschen mehr als für einige andere. Birlehm ist ein vom Ehrgeiz Getriebener. Aber eben auch keiner, der sich über seine Reservistenrolle beklagen würde. Sonst hätte es in dieser Saison bei den Löwen mit ihren drei Toptorhütern schon längst kräftig geknallt. Hat es aber nicht. Weil die Mannschaft über allem anderen steht.
Löwen-Abschied ließ Birlehms Welt zusammenbrechen
Neben Birlehm spielen auch noch der Schwede Mikael Appelgren und Junioren-Weltmeister David Späth bei den Mannheimern. Es ist eine ungewöhnliche, ausgesprochen schwierige Konstellation. Und keine Dauerlösung, weshalb die Löwen Birlehm Ende des vergangenen Jahres mitteilten, dass sie in Zukunft auf das Duo Späth/Appelgren setzen werden.
Für den 26-Jährigen brach damals eine Welt zusammen. Denn er identifiziert sich zu 100 Prozent mit den Löwen und hätte sich gut vorstellen können, seine Karriere bei den Badenern zu beenden. Das sei vielleicht ein „naiver sportromantischer Gedanke gewesen“, räumte er damals ein. Gerade nach solchen Spielern sehnen sich aber die Fans. Denn es zeigt, wie sehr jemand den Verein lebt und liebt. Wie sehr er an diesem Club hängt. So wie Birlehm, der Ende des vergangenen Jahres im Augenblick der Enttäuschung nicht nur ankündigte, sondern versprach: „Bis zu meinem letzten Tag werde ich alles für die Löwen reinwerfen.“ Ehe es für ihn dann bei der TSV Hannover-Burgdorf weitergeht.
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Man kann schon jetzt behaupten, dass Birlehm Wort gehalten hat. Er trainiert wie ein Besessener, lässt sich nicht hängen, hilft seinen Torwartkollegen, bringt sich ein, will besser werden, arbeitet und feilt an Details. „Ich nehme meine Aufgabe an und versuche, im Training Gas zu geben. Meine Abläufe haben sich auch nicht geändert“, berichtet der Schlussmann, der sich nach wie vor auf jedes Spiel so vorbereitet, als sei er der einzige Torwart im Kader. Um gerüstet zu sein, wenn er gebraucht wird. So wie am Dienstag gegen Nasice.
Ab Sommer geht es in Hannover weiter
Beim Stand von 22:22 (45. Minute) rückte er zwischen die Pfosten und wehrte einen Siebenmeter ab. Da Späth zuvor kaum noch einen Ball gehalten hatte, blieb Birlehm anschließend auf dem Feld und spielte sich in einen Rausch. Zweieinhalb Minuten später hielt der 26-Jährige auch den nächsten Strafwurf, weitere spektakuläre Glanztaten kamen dazu und sorgten dafür, dass die Löwen nach zwischenzeitlichem 20:22-Rückstand (42.) und dem 24:19-Hinspielsieg nicht doch noch ernsthaft ums Weiterkommen bangen mussten.
Im Viertelfinale gegen Lissabon hat der Bundesligist nun sogar eine realistische Chance auf das Final Four. Die erste Partie wird am 23. April in Heidelberg ausgetragen, eine Woche später fällt die Entscheidung in Portugal. „Hinspiel, Rückspiel - das ist ein toller Wettbewerb, den wir so in Deutschland nicht haben“, freut sich Birlehm auf die beiden reizvollen Duelle gegen eine „sehr agile Mannschaft, die einen modernen Handball spielt“. Das werde eine „Mammutaufgabe“, glaubt der Schlussmann, der sich natürlich nur allzu gerne mit einer Teilnahme an der Endrunde, noch besser - sogar mit einem Titel - verabschieden möchte.
Mit Größe hat Birlehm auch auf das Aus bei der Nationalmannschaft reagiert
Ab Sommer geht es für ihn dann in Hannover weiter. Bei den Niedersachsen will er sich auch wieder für die Nationalmannschaft empfehlen. An der WM 2023 nahm der 26-Jährige noch teil, zur Heim-EM zwölf Monate später verlor er seinen Platz an Clubkollege Späth.
Auch diese Nachricht nahm Birlehm vor etwa dreieinhalb Monaten übrigens mit absoluter Größe auf und reagierte auf seine Nicht-Berücksichtigung als echter Sportsmann. Laut Späth gehörte ausgerechnet Birlehm zu „meinen ersten Gratulanten“. Es sind eben hin und wieder die kleinen Dinge, die viel über den Zusammenhalt aussagen. Und über den Charakter eines Menschen sowieso.
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