Stadtpoliti - Im Haupt- und Finanzausschuss soll über eventuelle Nachbesserung gesprochen werden / Diskussion im Kulturausschuss

Nach Protesten - Ausschuss kassiert geplante Literatur-Kürzungen in Heidelberg

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Michaela Roßner
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Die Autorinnen, Verleger und Übersetzerinnen haben am Dienstag im Karlstorbahnhof ihre Protestaktionen vorgestellt. Nun können sie aufatmen. © Philipp Rothe

Heidelberg. Die Kürzungen im Literaturhaushalt von 60 000 Euro auf zwei Jahre verteilt sind offenbar vom Tisch: Bei einer Enthaltung hat sich der Kultur- und Bildungsausschuss jetzt bei seiner öffentlichen Sitzung im Rathaus am Marktplatz dafür ausgesprochen, den Etat für die City of Literature und die Literaturtage auf den ursprünglichen Stand zurückzustellen. Die Verwaltung soll aus dem Topf von Investitionen, die anders als geplant nicht angegangen werden können, die nötigen Summen herauslösen. Die Sprecher mehrere Fraktionen bedauerten die „Fehlentscheidung“, einige entschuldigten sich auch bei den in großer Zahl im Zuschauerraum anwesenden Literaturschaffenden.

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Literaturschaffende protestieren gegen Kürzungen

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Der Sitzung waren mehrere Proteste vorausgegangen. Vor dem Rathaus warnten rund 50 Autorinnen, Übersetzer, Verlegerinnen und Buchhändler beziehungsweise Antiquariatsbetreiber vor den Folgen der Kürzungen für das Image der Unesco-Literaturstadt. Heidelberg trägt den Titel seit 2014 - als einzige deutsche Stadt. Zum Netzwerk der rund 250 Creative Cities (Kreativstädte) der Welt gehört auch Mannheim als Unesco-Musikstadt.

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Protest von Literaturschaffenden vor dem Heidelberger Rathaus

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Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson (Grüne) formulierte einen „Seitenhieb“ gegen die Parteienvertreter: „In den Haushaltsberatungen ist keine einzige Sekunde über Kulturhaushalt gesprochen worden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir wenigstens diskutiert hätten“, blickte er auf die aus seiner Sicht aktuell „unglückliche“ Entwicklung.

SPD bezeichnet Umstände bei Haushaltsberatung als "unglücklich"

Auch SPD-Fraktionschefin Anke Schuster sah Missverständnisse als Ursache der vor einigen Wochen verabschiedeten Haushaltsmittel: „Die Fehler entstanden vermutlich auch aus diesem Grund: Wir hatten diesmal eigentlich gar keine Haushaltsberatungen! Die übliche zweitägige Sitzung hat wegen der Pandemie nicht stattgefunden. Stattdessen gab es eine Online-Veranstaltung. Der Ablauf war sehr unglücklich.“ Die Idee der SPD zu den Kürzungen - denen mehrere Fraktionen zustimmten - sei aufgrund der Rechnungsergebnisse entstanden. „Jetzt wissen wir, dass es andere Kostenstrukturen gibt, die zu einem anderen Rechnungsergebnis führen.“

Luitgart Nipp-Stolzenburg (Grüne) erkannte an, dass rückwirkende Kürzungen, wie in diesem Fall geschehen, „besonders schwierig“ seien. Die Literaturtage liefen bereits, als der Haushalt verabschiedet wurde. Der Etat war wegen der Pandemie mit Verzögerung aufgestellt worden. Nipp-Stolzenburg zog aber auch den Vergleich zum Literaturherbst, der mit nur 10 000 Euro Zuschuss auskommen muss. „Wir fordern ein Konzept und einen Überblick über alle in dem Bereich geförderten Projekte“, sagte sie.

CDU: „Literatur besitzt hohen Stellenwert in Heidelberg“

Matthias Kutsch (CDU) fand es „sehr gut, dass die Diskussion geführt wurde“. Es habe offensichtlich Klärungsbedarf gegeben, „inhaltlich und finanziell“. Literatur besitze einen hohen Stellenwert in der Stadt und sei ein fester Bestandteil der Kulturstadt am Neckar. Das Thema Literaturtourismus sei bereits diskutiert und im Haushalt verankert worden. „Die Literatur in der Stadt lässt sich noch viel sichtbarer machen“, sagt Kutsch weiter. Insgesamt sei die Förderung des Literaturbereichs aber seit 2015 gestiegen.

Dramaturgin Ingeborg von Zadow hatte zuvor analysiert, dass die Diskussion um die Kürzungen „vielleicht auch deshalb entstanden ist, weil unsere Stadt noch nicht selbstbewusst genug den Titel ausfüllt“. Zum Selbstverständnis der Creative-Cities-Netzwerke gehöre, dass Kultur als Motor einer nachhaltigen Stadtentwicklung verstanden werde. Da fehle es in Heidelberg noch an einigem: ein kreatives Zentrum, eine Imagekampagne, Literatur-Tourismus. „Es muss als gesamtstädtische Aufgabe angesehen werden“, regte sie an: „Warum zum Beispiel haben wir noch kein ‚Café Hilde Domin‘?

Der Germanistikprofessor Roland Reuß, der früh mit einer „Brandrede“ auf die drohenden Kürzungen reagiert und 200 Unterschriften gesammelt hatte, betonte, dass der Zeitpunkt für die Streichung sehr ungünstig gewählt worden sei. Mit „fatalen Auswirkungen auf das Image der Stadt.“ Nun sei das abgewendet: „Es handelte sich wohl um ein Missverständnis, denn erklären konnte man sich das nicht“, schloss Reuß. Der Haupt- und Finanzausschuss soll sich jetzt in seiner nächsten öffentlichen Sitzung mit dem Thema befassen.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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