Heidelberg. Als das renommierte Branchenverzeichnis Guide Michelin im Oktober die Welt mit einer neuen Auszeichnung beglückte, klirrten auch im Europäischen Hof in Heidelberg die Gläser. Mit einem Michelin-Key, analog zu einem Michelin-Stern in einem Restaurant, gehört das seit 1865 in der vierten Generation von einer Familie betriebene Hotel nun auch für Michelin zu den prestigeträchtigsten Adressen der deutschen Hotellerie. Die Auszeichnung basiert auf Kriterien wie Design, Servicequalität, Individualität und Preis-Leistungs-Verhältnis. Gwendal Poullennec, internationaler Direktor des Guide Michelin, betonte anlässlich der Verleihung vor wenigen Wochen in Frankfurt die Bedeutung der Anonymität bei den Bewertungen und hob hervor, dass die Auswahl auf intensiven, inkognito durchgeführten Tests basiert.
Heidelberger Hotellerie
„Die Hotellerie in Heidelberg steht nicht so gut da“, sagt Caroline von Kretschmann, geschäftsführende Gesellschafterin des Europäischen Hofs.
Die Tourismus-Statistik für Heidelberg hat für das Jahr 2023 rund 1,6 Millionen Übernachtungen in 88 Betrieben dokumentiert. Damit ist das Vor-Corona-Niveau noch nicht ganz wieder erreicht.
Im Vergleich zum Jahr 2019 gab es 2023 über 300 Betten mehr, während die Kosten bei den Betreibern der Hotels nach von Kretschmanns Worten „explodiert“ sind. Verlierer sind weniger die Hotel-Ketten, sondern die Privatbetriebe.
Auffällig ist, dass zusätzliche Betten ausschließlich im Bereich Hotel garni entstanden sind und nicht im gehobenen Segment.
Caroline von Kretschmann (kleines Bild) ist geschäftsführende Gesellschafterin des Europäischen Hofs mit 122 Zimmern und 165 Mitarbeitenden. „Wir sind überglücklich, Teil dieser renommierten Auszeichnung zu sein“, sagt sie und gibt den Dank an ihr Team weiter, das täglich mit „großer Herzlichkeit, Hingabe und Professionalität einen beseelten Ort“ schaffe, an dem Menschen glückliche Momente erleben könnten. „Michelin kennt jeder“, sagt sie und ist sich sicher, dass ein Michelin-Key eine Größe sei, an der sich Menschen orientieren könnten. „Wertvoll und gut“, findet sie die Ausweitung der Bewertungskriterien auf Hotels. Auch das „Heidelberg Suites“ wurde mit einem Key bedacht, während der Ketschauer Hof im pfälzischen Deidesheim sogar zwei bekam.
9032 Übernachtungsbetten für Touristen aktuell in Heidelberg
In die große Freude in Heidelberg mischt sich in diesen Wochen aber auch ein wenig Sorge, denn der Europäische Hof liefert in diesem Jahr nicht die Umsatzzahlen, die er bräuchte, um die Kostenexplosionen auf allen Ebenen zu kompensieren. „Wir haben ein schwieriges Jahr“, räumt die allseits geschätzte Hotel-Chefin ein, um nachzuschieben: „Wir schauen ein wenig sorgenvoll in die Zukunft.“
Man braucht derweil keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, warum das so ist. Im vergangenen Jahr sind in der Stadt 400 Hotelbetten hinzugekommen. 9032 Betten gibt es aktuell und der Europäische Hof ist eben keine Hotelkette, wie sie einem allerorten an Bordsteinrändern entgegen blinken, sondern ein privat geführtes Haus ohne finanzstarke Investoren. Die Corona-Nachholeffekte, die die Branche im vergangenen Jahr noch spürte, sind verpufft und die Konsumzurückhaltung ist in den Buchungszahlen ablesbar. Hinzu kommen andere Prozesse wie die Digitalisierung. Firmen buchen weniger Hotels für ihre Mitarbeiter, weil große Konferenzen inzwischen oft genug auch per Teams oder Webex abgehalten werden können. Zudem profitieren zurzeit eher die Hotels in den großen Metropolen München, Hamburg, Berlin. Ist Heidelberg einfach zu klein?
TikTok-Tanzvideo aus Europäischem Hof in Heidelberg ging viral
Zwischen von Kretschmanns Zeilen schwingt insofern auch ein wenig Existenzangst mit, sollten sich die wirtschaftlichen Kennzahlen nicht schleunigste wieder entscheidend ändern. Zu alledem sei der Europäische Hof zuletzt aufwendigen Renovierungsprozessen unterworfen gewesen, um beispielsweise alle Duschen begehbar zu machen. Auch das geht ins Geld, denn die 122 Zimmer unterscheiden sich jeweils.
Und dennoch: Der Europäische Hof gehört – gerade im Bereich der Stadthotels – zu den führenden Adressen der Republik. Nicht umsonst firmiert das Haus unter 5-Sterne-Superior. Mit der Michelin-Auszeichnung verbindet von Kretschmann auch das Ziel, neue Gästegruppen erschließen zu können. Vereinzelt zeige sich das bereits. „Wir haben konkret schon ein paar Buchungen dadurch erzielt“, sagt sie. Die viel größere Vision, die sie verfolgt, ist eine andere. Mit ihren Leuten will sie das „herzlichste 5-Sterne-Stadthotel Deutschlands werden“. Dass sie auf diesem Weg schon weit gekommen ist, beweisen nicht zuletzt die schon mehrfach eingestreuten Tanzeinlagen in der Hotellobby. Mehr Herzlichkeit geht kaum. Auf Instagram und TikTok erzielten die Videos mitunter Rekord-„Einschaltquoten“. Die Geschäftsführerin lebt diesen Spaß auch vor und ihr gelingt es auf diese Weise, die Luxus-Herberge auch als Ausbildungsbetrieb beim jungen Publikum interessant zu machen. Ob es einen Einfluss auf die Vergabe der Michelin-Keys gab? Eher nicht.
„Wir haben gelernt, mit dramatischen Krisen umzugehen“, sagt von Kretschmann und bezieht das nicht auf die Tanzvideos, sondern auf die Geschichte des Hauses, das seit 1865 zwei Weltkriege überstanden hat.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-michelin-sterne-als-retter-in-der-not-europaeischer-hof-in-heidelberg-leidet-_arid,2259979.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html